"Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser," soll Lenin zur Frage über Freiheiten und Entscheidungsmacht der Bürger im Kommunismus gesagt haben. Doch ohne gegenseitiges Vertrauen kann eine Gemeinschaft nicht funktionieren, egal ob Lebens-, Volks- oder Staatengemeinschaft, ob Familie, Sportmannschaft oder Handelsbund. Vertrauen gehört offensichtlich zu den elementaren Merkmalen eines Menschlebens. Wer Vertrauen hat, tauscht sich mit anderen aus, sucht Lösungen in Krisensituationen. Aber was ist Vertrauen eigentlich, und vor allem: Wie entsteht es? Ist das kindliche Urvertrauen angeboren, oder lernen wir erst im Laufe unserer Entwicklung zu vertrauen? Die Hamburger Psychoanalytikerin Ann Kathrin Scheerer spricht von Vertrauenspotenzial.
"Ich glaube, dass wir alle darüber einstimmen, dass man so etwas wie Urvertrauen pflegen muss, und dass das ganz kleine Kind gute Erfahrungen braucht, um in seinem Urvertrauensbedürfnis gestärkt zu werden. Es kommt ganz sicher mit einer Urangst auf die Welt, weil es natürlich eine Ahnung davon hat, wie ausgeliefert es ist. Ich persönlich finde es schön zu denken, dass es auch mit Urvertrauensfähigkeit geboren wird, damit man diese "Organ" nicht zerstört. Wenn man die Vertrauensfähigkeit betrachtet wie ein noch unreifes körperliches Organ, dann wird man noch ein bisschen aufmerksamer."
Für Scheerer basiert das Grundvertrauen auf zwei Einsichten: Einerseits müssen wir das Vertrauensverhältnis auch dann aufrechterhalten können, wenn die Vertrauensperson abwesend ist, uns allein lässt. Und andererseits müssen wir mit der Erkenntnis leben, dass wir nicht allmächtig unsere Umwelt kontrollieren, sondern uns mit Unannehmlichkeiten abfinden müssen. Vertrauen scheint also zu entstehen, wenn man lernt, mit enttäuschtem Vertrauen umzugehen.
"Wenn wir uns binden können, und dafür brauchen wir ja Vertrauen, und möglichst auch ein grundsätzliches Vertrauen, dann müssen wir ja auch mit dem Verlust fertig werden. Und dann braucht man eine Fähigkeit das zu betrauern, damit man dann wieder neu anfangen kann. Wenn man nicht trauern kann, bleibt man ewig hängen an dem Verlust und gerät in eine Melancholie oder eine Depression."
Welches Urvertrauen man entwickelt, entscheidet zwar nicht über den Erfolg in Beruf und Gesellschaft aber über das eigene Glück. Von Vertrauen spricht man derweil nicht nur auf zwischenmenschlicher Ebene. Auch in Politik und Wirtschaft haben wir es mit Vertrauenskrisen zu tun. Die modernen Gesellschaften durchleben gar eine Vertrauensobsession, meint die Historikerin und Leiterin des Berliner Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung Ute Frevert. Vertrauen spiele heute eine umso wichtigere Rolle, weil wir im Gegensatz zur Vormoderne in hochkomplexen und unübersichtlichen Gemeinschaften leben.
"Was das Vertrauen in der modernen Gesellschaft von der vormodernen unterscheidet ist, dass die moderne Gesellschaft Vertrauen gewissermaßen als eine Tugend moderner Menschen definiert, und Menschen auch dazu auffordert, Vertrauen zu haben."
Anstelle des Gottvertrauens, mit dem man früher unvorhersehbaren Unglücksfällen und Unsicherheiten in der persönlichen Lebenswelt begegnete, basiere das Vertrauen heute eher auf Institutionen. Aber kann ein Mensch gegenüber Gesetzen, der Gesundheitsversorgung, wirtschaftlicher und politischer Stabilität oder sozialer Absicherung überhaupt Vertrauen empfinden? Was heißt es, wenn derzeit immer wieder Vertrauen in die Märkte oder in das Europäische Einigungsprojekt gefordert wird?
"Aus meiner Sicht geht es da gar nicht so sehr um Vertrauen, sondern es geht um Institutionen, die einen guten Job machen. Das ist nicht die Ebene, auf der wir eigentlich von Vertrauen reden. Vertrauen hat immer etwas absolut Persönliches, es ist etwas, das sich zwischen Menschen abspielt. Natürlich haben Institutionen auch menschliche Gesichter, aber da greift dieses Vertrauenswort nicht. Warum wir es trotzdem benutzen ist eine interessante Frage, und da kommt das Obsessive hinein."
Wo Ute Frevert von der Vertrauensobsession demokratischer Gesellschaften spricht, für deren Funktionieren Bürger und Politiker sich gegenseitig vertrauen müssen, weist Philip Kitcher, Professor für Philosophie an der New Yorker Columbia-University, auf eine Vertrauenskrise hin, die unsere demokratischen Gesellschaften elementar bedrohe. Kitcher setzt sich mit der Vertrauenswürdigkeit von Wissenschaftlern und Experten in der Öffentlichkeit auseinander. In allen Bereichen der Wissenschaft herrsche heute eine solche Vielfalt von Meinungen, Theorien und Interpretationen, dass nicht nur die Bürger, sondern auch die Wissenschaftler selbst zusehends das Vertrauen in die Verlässlichkeit von Forschungsergebnissen verlören.
"Ein gewisser Grad an Vertrauen ist unerlässlich. Über eine lange Zeit glaubten viele Gesellschaften an Expertengruppen, die nicht beeinflusst waren, wirklich nach der wissenschaftlichen Wahrheit suchten und diese dann auch publik machen würden. Genau dieses Vertrauen haben wir heute verloren. Wir tendieren immer mehr dazu, die wissenschaftliche Gemeinschaft als etwas Feindliches, Abgehobenes und Fremdartiges zu sehen, das uns unser Leben schwer macht."
So werde auch die Debatte um die Klimaerwärmung durch verfälschte Forschungsergebnisse und die schiere Menge an sich widersprechenden wissenschaftlichen Theorien blockiert. Die Wissenschaft dürfe sich nicht in partikulare politische oder finanzielle Interessen stellen, so Kitcher. Die Vertrauenskrise in die Neutralität der Wissenschaft sei gleichzeitig auch eine Krise der Demokratie.
"Niemand kann sich in allem auskennen, vor allem nicht einer so komplizierten Welt wie der unseren. Egal ob es um Klimawandel, Nuklearenergie, Gentechnologie, Medizintechnik oder Wirtschaft geht. Das Problem ist, dass wenn Sie bestimmte Dinge nicht wissen, sie für eine Politik wählen, die Ihren eigentlichen Interessen vielleicht zuwider läuft."
Wenn weder der Mensch noch die Gesellschaft ohne Vertrauen lebensfähig sind, Misstrauen aber auch vor Irreleitung schützt, wie viel Skepsis darf und wie viel Vertrauen muss dann sein? Für Jan Philip Reemtsma vom Hamburger Institut für Sozialforschung sind Misstrauen und Vertrauen keineswegs Gegensätze, sondern bedingen einander:
"Vertrauen braucht Misstrauen, weil ich unterscheiden muss, wohinein setze ich Vertrauen und wohinein nicht. Jemand, der nur Vertrauen kennt, der läuft sofort gegen die Wand. Jemand, der nur Misstrauen kennt, der bewegt sich nicht vom Fleck. Das heißt, beide wären nicht lebensfähig, und das gibt es gar nicht. Vertrauen bedeutet immer, misstrauisch zu sein in mancher Hinsicht, und misstrauisch zu sein bedeutet, in ganz viele Dinge Vertrauen zu haben, damit ich mich auf das konzentrieren kann, dem mein Misstrauen gilt."
Wie vielfältig der Begriff Vertrauen gebraucht und interpretiert wird, aber auch die kulturellen Unterschiede im Aufbau eines zwischenmenschlichen Vertrauens, wurden auf der Tagung im Potsdamer Einstein Forum allzu deutlich. Ist Vertrauen eine menschliche Grundeigenschaft, ein Gefühl oder gar eine bewusste Entscheidung? Für die Psychoanalytikerin Ann Kathrin Scheerer ist Vertrauen vor allem eine grundsätzliche Haltung dem Leben gegenüber:
"... ob man zuversichtlich ist, dass man seinen Weg schon machen wird, auch gegen Widerstände. Ob man einen Weg findet aus dem Unglück heraus. Das hat man nicht flächendeckend, aber grundsätzlich vielleicht. Dies beide Komponenten gehören dazu: eine positive Grundhaltung und ein skeptisches Nachdenken darüber."
Tagung "On trust"
"Ich glaube, dass wir alle darüber einstimmen, dass man so etwas wie Urvertrauen pflegen muss, und dass das ganz kleine Kind gute Erfahrungen braucht, um in seinem Urvertrauensbedürfnis gestärkt zu werden. Es kommt ganz sicher mit einer Urangst auf die Welt, weil es natürlich eine Ahnung davon hat, wie ausgeliefert es ist. Ich persönlich finde es schön zu denken, dass es auch mit Urvertrauensfähigkeit geboren wird, damit man diese "Organ" nicht zerstört. Wenn man die Vertrauensfähigkeit betrachtet wie ein noch unreifes körperliches Organ, dann wird man noch ein bisschen aufmerksamer."
Für Scheerer basiert das Grundvertrauen auf zwei Einsichten: Einerseits müssen wir das Vertrauensverhältnis auch dann aufrechterhalten können, wenn die Vertrauensperson abwesend ist, uns allein lässt. Und andererseits müssen wir mit der Erkenntnis leben, dass wir nicht allmächtig unsere Umwelt kontrollieren, sondern uns mit Unannehmlichkeiten abfinden müssen. Vertrauen scheint also zu entstehen, wenn man lernt, mit enttäuschtem Vertrauen umzugehen.
"Wenn wir uns binden können, und dafür brauchen wir ja Vertrauen, und möglichst auch ein grundsätzliches Vertrauen, dann müssen wir ja auch mit dem Verlust fertig werden. Und dann braucht man eine Fähigkeit das zu betrauern, damit man dann wieder neu anfangen kann. Wenn man nicht trauern kann, bleibt man ewig hängen an dem Verlust und gerät in eine Melancholie oder eine Depression."
Welches Urvertrauen man entwickelt, entscheidet zwar nicht über den Erfolg in Beruf und Gesellschaft aber über das eigene Glück. Von Vertrauen spricht man derweil nicht nur auf zwischenmenschlicher Ebene. Auch in Politik und Wirtschaft haben wir es mit Vertrauenskrisen zu tun. Die modernen Gesellschaften durchleben gar eine Vertrauensobsession, meint die Historikerin und Leiterin des Berliner Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung Ute Frevert. Vertrauen spiele heute eine umso wichtigere Rolle, weil wir im Gegensatz zur Vormoderne in hochkomplexen und unübersichtlichen Gemeinschaften leben.
"Was das Vertrauen in der modernen Gesellschaft von der vormodernen unterscheidet ist, dass die moderne Gesellschaft Vertrauen gewissermaßen als eine Tugend moderner Menschen definiert, und Menschen auch dazu auffordert, Vertrauen zu haben."
Anstelle des Gottvertrauens, mit dem man früher unvorhersehbaren Unglücksfällen und Unsicherheiten in der persönlichen Lebenswelt begegnete, basiere das Vertrauen heute eher auf Institutionen. Aber kann ein Mensch gegenüber Gesetzen, der Gesundheitsversorgung, wirtschaftlicher und politischer Stabilität oder sozialer Absicherung überhaupt Vertrauen empfinden? Was heißt es, wenn derzeit immer wieder Vertrauen in die Märkte oder in das Europäische Einigungsprojekt gefordert wird?
"Aus meiner Sicht geht es da gar nicht so sehr um Vertrauen, sondern es geht um Institutionen, die einen guten Job machen. Das ist nicht die Ebene, auf der wir eigentlich von Vertrauen reden. Vertrauen hat immer etwas absolut Persönliches, es ist etwas, das sich zwischen Menschen abspielt. Natürlich haben Institutionen auch menschliche Gesichter, aber da greift dieses Vertrauenswort nicht. Warum wir es trotzdem benutzen ist eine interessante Frage, und da kommt das Obsessive hinein."
Wo Ute Frevert von der Vertrauensobsession demokratischer Gesellschaften spricht, für deren Funktionieren Bürger und Politiker sich gegenseitig vertrauen müssen, weist Philip Kitcher, Professor für Philosophie an der New Yorker Columbia-University, auf eine Vertrauenskrise hin, die unsere demokratischen Gesellschaften elementar bedrohe. Kitcher setzt sich mit der Vertrauenswürdigkeit von Wissenschaftlern und Experten in der Öffentlichkeit auseinander. In allen Bereichen der Wissenschaft herrsche heute eine solche Vielfalt von Meinungen, Theorien und Interpretationen, dass nicht nur die Bürger, sondern auch die Wissenschaftler selbst zusehends das Vertrauen in die Verlässlichkeit von Forschungsergebnissen verlören.
"Ein gewisser Grad an Vertrauen ist unerlässlich. Über eine lange Zeit glaubten viele Gesellschaften an Expertengruppen, die nicht beeinflusst waren, wirklich nach der wissenschaftlichen Wahrheit suchten und diese dann auch publik machen würden. Genau dieses Vertrauen haben wir heute verloren. Wir tendieren immer mehr dazu, die wissenschaftliche Gemeinschaft als etwas Feindliches, Abgehobenes und Fremdartiges zu sehen, das uns unser Leben schwer macht."
So werde auch die Debatte um die Klimaerwärmung durch verfälschte Forschungsergebnisse und die schiere Menge an sich widersprechenden wissenschaftlichen Theorien blockiert. Die Wissenschaft dürfe sich nicht in partikulare politische oder finanzielle Interessen stellen, so Kitcher. Die Vertrauenskrise in die Neutralität der Wissenschaft sei gleichzeitig auch eine Krise der Demokratie.
"Niemand kann sich in allem auskennen, vor allem nicht einer so komplizierten Welt wie der unseren. Egal ob es um Klimawandel, Nuklearenergie, Gentechnologie, Medizintechnik oder Wirtschaft geht. Das Problem ist, dass wenn Sie bestimmte Dinge nicht wissen, sie für eine Politik wählen, die Ihren eigentlichen Interessen vielleicht zuwider läuft."
Wenn weder der Mensch noch die Gesellschaft ohne Vertrauen lebensfähig sind, Misstrauen aber auch vor Irreleitung schützt, wie viel Skepsis darf und wie viel Vertrauen muss dann sein? Für Jan Philip Reemtsma vom Hamburger Institut für Sozialforschung sind Misstrauen und Vertrauen keineswegs Gegensätze, sondern bedingen einander:
"Vertrauen braucht Misstrauen, weil ich unterscheiden muss, wohinein setze ich Vertrauen und wohinein nicht. Jemand, der nur Vertrauen kennt, der läuft sofort gegen die Wand. Jemand, der nur Misstrauen kennt, der bewegt sich nicht vom Fleck. Das heißt, beide wären nicht lebensfähig, und das gibt es gar nicht. Vertrauen bedeutet immer, misstrauisch zu sein in mancher Hinsicht, und misstrauisch zu sein bedeutet, in ganz viele Dinge Vertrauen zu haben, damit ich mich auf das konzentrieren kann, dem mein Misstrauen gilt."
Wie vielfältig der Begriff Vertrauen gebraucht und interpretiert wird, aber auch die kulturellen Unterschiede im Aufbau eines zwischenmenschlichen Vertrauens, wurden auf der Tagung im Potsdamer Einstein Forum allzu deutlich. Ist Vertrauen eine menschliche Grundeigenschaft, ein Gefühl oder gar eine bewusste Entscheidung? Für die Psychoanalytikerin Ann Kathrin Scheerer ist Vertrauen vor allem eine grundsätzliche Haltung dem Leben gegenüber:
"... ob man zuversichtlich ist, dass man seinen Weg schon machen wird, auch gegen Widerstände. Ob man einen Weg findet aus dem Unglück heraus. Das hat man nicht flächendeckend, aber grundsätzlich vielleicht. Dies beide Komponenten gehören dazu: eine positive Grundhaltung und ein skeptisches Nachdenken darüber."
Tagung "On trust"