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Wie weit fliegen Pollen?

Seit Frühjahr dieses Jahres ist der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen in der Europäischen Union für bestimmte Sorten erlaubt. Doch ist die Haftungsfrage noch immer ungelöst. Kann ein Bauer seinen Nachbarn, der zum Beispiel gentechnisch veränderten Raps anbaut, auf Schadenersatz verklagen, wenn die Reinheit seiner eigenen Pflanzen dadurch verletzt wird? Dazu müsste man zunächst wissen, wie weit die Pollen fliegen. Das Zentrum für Umweltforschung an der Universität Bremen hat nun ein Computermodell entwickelt, mit dem die Ausbreitung von transgenem Raps simuliert wird. Betrübliche Erkenntnis: Manipulierte Sorten breiten sich schleichend aus - und offenbar massiver als bislang angenommen.

Von Folkert Lenz |
    Bislang greifen vor allem Landwirte außerhalb der Europäischen Union gern auf Rapssorten zurück, deren Gene verändert wurden. Diese Sorten sind unempfindlich gegen Pflanzenschutzmittel, die so genannten Total-Herbizide. So kann der Bauer Unkraut auf dem Feld mit der chemischen Keule bekämpfen, ohne dass der Raps Schaden nimmt.

    Doch für den Nachbarlandwirt, der gerne herkömmliche Pflanzen anbauen möchte, hat das fatale Folgen. Denn in der konventionellen Ernte dürfen nicht mehr als 0,9 Prozent der Samen veränderte Eigenschaften tragen - sonst muss die ganze Ernte als genverändert deklariert werden. Und die Vermischung beim Raps geht schnell, erklärt der Biologe Hauke Reuter vom Zentrum für Umweltforschung der Universität Bremen:

    " Das ist im Prinzip relativ einfach, weil der Pollen von Raps unter anderem über Wind verbreitet wird. Das heißt, über den Pollen können die Transgene andere Rapspflanzen, andere Rapspopulationen erreichen. Und der zweite Punkt ist natürlich, dass der Pollen auch über Insekten verbreitet wird. "

    Außerdem sind Rapssamen langlebig - und können auch nach zehn Jahren noch austreiben. Selbst dann, wenn auf den ehemaligen Rapsfeldern längst Weizen oder Mais angebaut wird. Wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass transgener Raps bislang gentechnikfreie Äcker kontaminiert, das simulieren die Bremer Umweltforscher am Computer. Dazu haben sie die Daten zahlloser Studien über die Ausbreitung von Raps aus aller Welt in das Programm eingespeist. An Hand von digitalen Landkarten können sie hochrechnen, wie sich der Einzug von Genraps in den deutschen Hauptanbaugebieten an der mecklenburgischen oder schleswig-holsteinischen Ostseeküste auswirken würde: Nur noch ein Drittel der konventionellen Rapsäcker wäre laut dieser Schätzung auch nach zehn Jahren frei von gentechnisch veränderten Pflanzen.

    So müssten Schutzmaßnahmen für herkömmliche Bestände noch einmal gründlich überdacht werden, meint der Bremer Ökologe Broder Breckling:

    " Wenn wir Isolationsabstände von beispielsweise 200 Metern vorschreiben, dann nützt das noch nicht sehr viel. Oder wenn jemand von gentechnischer Landwirtschaft zurückwechseln möchte auf konventionelle, dass er dann schätzungsweise zehn bis zwölf Jahre warten muss, bis er hinreichend sicher sein kann, dass in seinem Bestand keine unerwünschten Rapspflanzen mehr wachsen. "

    Ein spezielles europäisches Problem: Hier zu Lande ist Raps allerorten als Wildpflanze zu finden. Jeder kennt die gelben Blüten in Hafenanlagen, neben Schienen und Straßen oder in Industriegebieten. Genauso würde sich auch der Genraps schleichend ausbreiten, so die Sorge der Bremer Umweltforscher. Dabei könnte er zu einem Super-Unkraut werden, warnt die Biologin Ulrike Middelhoff:

    " Das hat man in Kanada innerhalb von wenigen Jahren schon beobachtet. Weil die mit vier herbizidresistenten Rapssorten operieren, von denen drei gentechnisch verändert sind. Die haben in wenigen Jahren dreifach resistente Rapspflanzen in allen möglichen Ständen. Das ist also auch im Weizen oder im Mais oder wo auch immer, da sind dann diese Rapspflanzen vorhanden. "

    ...die sich mit Pflanzenschutzmitteln nicht mehr bekämpfen lassen. Die Wissenschaftler haben außerdem beobachtet, dass die Rapsgene auf verwandte Arten übergehen: Sie können sich auch bei Rukola, Senf oder Rettich einkreuzen. Das führt zu nachhaltigen und langfristigen Problemen. Broder Breckling:

    " Also für einen Landwirt, der sich entschließt, einmal transgenen Raps anzubauen, entsteht das Problem, dass er diese Entscheidung so schnell nicht wieder rückgängig machen kann. Hinzu kommt für die konventionell wirtschaftende Nachbarschaft, dass die nicht weiß, was in ihre Bestände eingekreuzt wird. Das Anbaumanagement insgesamt wird schwieriger, aufwändiger und letztlich unsicherer."

    Landwirte, die saubere Bestände durch Gentransfer verunreinigen, müssen für die Schäden aufkommen - so sieht es das Gentechnikgesetz vor. Die Bremer Computersimulation kann zwar das mögliche Ausmaß der Kontamination vorhersagen. Für Haftungsstreits vor Gericht ist die Methode aber wertlos, so Breckling:

    " Modelle werden bei uns im Allgemeinen nicht als Beweismittel bei Gerichten zugelassen. Es ist aber möglich, die Plausibilität von bestimmten Entwicklungszusammenhängen an Hand von Modellen nachzuvollziehen. Und es können Hinweise gegeben werden, welche Regeln für die Landwirtschaft aufgestellt werden müssten, um unerwünschte Entwicklungen zu vermeiden."