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Wie weit sind die BAföG-Fahnder?

Seit Wochen rumort es an den deutschen Hochschulen: Denn alle Bafög-Empfänger wurden und werden daraufhin überprüft, ob sie bei der Antragstellung auch wirklich jeden Bausparvertrag und jedes Sparbuch angegeben haben.

    Campus & Karriere: Im Studio ist jetzt mein Kollege Armin Himmelrath. Herr Himmelrath, in den letzten Wochen war ja spekuliert worden, dass sich das zu Unrecht ausgezahlte Bafög auf bis zu eine halbe Milliarde Euro belaufen soll. Hat sich diese Zahl bestätigt?

    Armin Himmelrath: Sie ist noch nicht definitiv, aber es ist im Bereich des Möglichen. Diese Schätzung ist ganz sicher nicht aus der Luft gegriffen. Sie beruht auf den Zahlen aus Nordrhein-Westfalen. Da wurden für das Jahr 2001 12.000 Bafög-Empfänger überprüft. Jeder vierte von denen, also mehr als 3.000, hat einen falschen Antrag gestellt. Diese 3.000 haben schon 16 Millionen Euro zurückgezahlt an die nordrhein-westfälische Landeskasse. Wenn man das auf die bundesweiten Studentenzahlen hochrechnet, kommt man eben bei 380.000 studierenden Bafög-Empfängern auf diese 400 bis 500 Millionen Euro. Die Erfahrungen in den anderen Bundesländern sind ebenso wie in Nordrhein-Westfalen: In der Regel wird schnell zurückgezahlt, wenn einmal ein Bescheid rausgegangen ist. Berlin hat schon zehn Millionen Euro eingenommen, in Brandenburg sind es 2,7 Millionen. Im Grunde meldet jetzt jede Hochschulstadt so langsam den Wasserstand. Da kommen für Münster 2.700 falsche Anträge heraus, für München 2.000. Das bewegt sich schon in ganz, ganz erklecklichen Zahlen. Einer der krassesten Fälle ist vielleicht Mannheim. Dort wurden bisher 144 Empfänger alter Bafög-Anträge überprüft. Bisher ist ein einziger davon als wirklich unbedenklich aussortiert worden. 143 von 144 müssen mit mehr oder weniger hohen Rückzahlungen rechnen.

    Campus & Karriere: Sie haben es gesagt: Im Moment sind das alles Hochrechnungen. Sind denn die Überprüfungen mittlerweile abgeschlossen? Oder anders gefragt: Können sich Bafög-Empfänger, die noch keine Post von ihrem Bafög-Amt bekommen haben, sicher sein, dass sie jetzt nicht mehr überprüft werden?

    Armin Himmelrath: Nein, sicher sein können sie überhaupt nicht. Der Stand der einzelnen Bundesländer bei der Überprüfung - es geht ja um die Jahre 2000 und 2001 - ist sehr unterschiedlich. Die Bayern zum Beispiel - eines der größeren Bundesländer - sind noch etwas hinterher, Niedersachsen hat auch noch keine Gesamtzahlen gemeldet. Deshalb sollte sich auch niemand allzu sicher fühlen. Davor warnt jedenfalls auch Wilhelm Achelpöler, er ist Rechtsanwalt in Münster und hat sich genau mit dieser Materie beschäftigt.

    Wilhelm Achelpöler: Wer einen Freistellungsauftrag bei seiner Bank unterschrieben hat muss davon ausgehen, dass die Bank das Bundesamt für Finanzen darüber informiert hat, welche Zinseinkünfte im Jahre 2001auf dieses Konto entfallen sind. Im Jahre 2001 ist dann das Einkommenssteuergesetz geändert worden. Es ermöglicht jetzt das, was früher bei Sozialhilfeempfängern schon möglich war jetzt auch bei Studenten: Man kann jetzt feststellen, welche Studenten welche Zinseinkünfte erzielt haben, indem man einen automatisierten Datenabgleich durchführt. Ein solcher Datenabgleich ist durchgeführt worden. Dadurch wissen jetzt die Studentenwerke, welche Zinseinkünfte die einzelnen Studierenden erzielt haben.

    Armin Himmelrath: Jetzt gibt es natürlich etliche Widersprüche, also Leute, die sich gegen diese Bescheide wehren. Es gibt auch einige seltsame Fälle. Es hat sich zum Beispiel ein Student aus Dresden bei uns in der Redaktion gemeldet und gesagt: Ich habe in meinem Studentenleben mit insgesamt elf Mitbewohnern in verschiedenen WG-Konstellationen zusammengelebt, habe in der Zeit immer das WG-Geld verwaltet, zum Beispiel das Kautionsgeld für die Miete. Jetzt muss ich alle diese elf Mitbewohner ausfindig machen, um mir bestätigen zu lassen, dass das gar nicht mein Geld war. Das wird ihm nämlich sonst angerechnet, weil er es unter seinem Namen auf seinem Sparbuch angelegt hat. Ein anderer Fall: Studentische Aktienbesitzer, die etwa in 2001 Aktien bei der Antragstellung besessen haben, sind Opfer einer Gesetzesänderung geworden. In dem Jahr wurde nämlich beschlossen, dass, um harte Schwankungen zu vermeiden, Aktienbesitz mit dem letzten Währungstag des Vorjahres gewertet wird. In 2000 waren die Börsen noch ganz, ganz oben, in 2001 waren sie das schon nicht mehr. Da kann es sein, dass man jetzt Aktien hat, die de facto vielleicht vier, fünf Euro wert sind, die aber mit vierzig oder fünfzig Euro angerechnet werden.

    Campus & Karriere: Das sind ja zum Teil bizarre Beispiele, wie Studierende auf die Listen der Bafög-Fahnder geraten können. Lässt sich denn absehen, dass die Politik und die Bafög-Ämter Konsequenzen ziehen?

    Armin Himmelrath: Bisher noch nicht. Die Überprüfungen laufen ja. Es ist auch viel, viel Aufwand, der damit betrieben werden muss. Die Bafög-Ämter klagen, dass deswegen sogar Neuanträge liegen bleiben oder verzögert werden, weil eben so viele Altfälle abgearbeitet werden müssen. Mittlerweile hat sich auch das Deutsche Studierendenwerk eingeschaltet und hat angemahnt, dass diese Freibeträge, die für die Studierenden gelten, viel, viel zu niedrig sind. Im Moment sind es 5.200 Euro. Dass das jetzt aber gleich eine Anhebung nach sich zieht oder dass die Politik das etwa plant, das ist nicht abzusehen. Es ist eigentlich kein Wunder, weil ja im Moment die Kassen leer sind. Da wird sicher jeder Euro, der irgendwie zurückgeholt werden kann, gerne genommen.

    Campus & Karriere: Wir versuchen auch immer, Rat zu geben. Also ganz kurz, ganz knapp: Was kann man als Student tun, wenn man einen Überprüfungs- oder Rückzahlungsbescheid vom Bafög-Amt bekommt?

    Armin Himmelrath: Man sollte Ruhe bewahren. Das sagt auch Wilhelm Achelpöler, der Rechtsanwalt in Münster. Er sagt, man solle es auf jeden Fall überprüfen lassen, entweder von einem Anwalt oder von der AStA-Beratung, und dann eben weitersehen. Wer allerdings schnell zurückzahlt, weil er ein bisschen ein schlechtes Gewissen hat, braucht eigentlich nichts zu fürchten, denn es ist eine Ordnungswidrigkeit. Das heißt, wer etwa Jura studiert und noch in den Staatsdienst will, kann das danach auch immer noch tun.