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"Wie werde ich ein verdammt guter Schriftsteller?"

600 zu 20 lautet die entmutigende Formel für den schriftstellerischen Nachwuchs - jeder 30. kommt durch! In Leipzig nämlich, bei der Bewerbung auf einen der raren Studienplätze der erfolgreichsten Kaderschmiede des deutschen Literaturbetriebs. Zwar gibt es Schreibkurse allerorten, und mancher soll schon zum Autor gereift sein, ohne je einen Tutor, Mentor oder Lektor gesehen zu haben, doch Schreiben ist nur die halbe, respektive gar keine Miete. Auf den nachgeordneten Zirkus kommt es an: in Klagenfurt zu kämpfen, einen Verlag zu finden, anständige Auflagen zu verkaufen, auf Lesereise zu gehen. Wer in Leipzig immatrikuliert war und sich nicht dummerweise auf Lyrik verlegte, hat damit keine Probleme mehr. Leipzig ist das Entree für ein Leben als Berufsschriftsteller. Also lesen alle 580 jährlich Abgewiesenen mit Tränen in den Augen das Buch "Wie werde ich ein verdammt guter Schriftsteller?", herausgegeben von den beiden Literaturinstitutsprofessoren - und namhaften Schreibern - Josef Haslinger und Hans-Ulrich Treichel. Die Tausende, die sich in Leipzig nicht einmal zu bewerben trauen, lesen es natürlich auch.

Von Florian Felix Weyh | 17.02.2005
    Was lesen sie? Von wem lesen sie es? Letzteres ist einfach zu beantworten: Sie lesen in der Mehrzahl programmatische Skizzen jener Schreibenden, die es geschafft haben, sich neben dem eigenen Werk ein zweites Standbein in der Ausbilderei geschaffen zu haben. Als staatliches Unternehmen verleiht das Leipziger Literaturinstitut sogar den schmückenden Professorentitel; zur Apanage tritt also noch Glanz hinzu. Wenn’s der Kulturnation hilft, soll man es nicht bemäkeln - aber was hilft? Als Leipziger Basis-Mantra gilt: Talent muss, Fleiß soll, Bildung darf sein. Für den richtigen TQ - Talentquotienten - pro Jahrgang sorgt die Auswahlkommission, deren Kriterien im Buch nicht mal in einem Nebensatz Erwähnung finden. Diese Hürde gemeistert, beginnt mit den Studenten die Arbeit an Körper und Geist, wobei mit Körper "Textkörper" gemeint ist, und mit Geist die flatterhafte narzisstische Psyche junger Ich-will-was-werden-und-weiß-nicht-warum-Genies. In der Summe dokumentieren alle Essays des Bandes dieselbe Herangehensweise an entstehende Literatur, wie sie seit jeher von Verlagslektoren praktiziert wird: Chaos raus, Strukturen rein; Verben rein; Adjektive raus; Abstraktionen durch Bilder ersetzen - und immer an den Leser denken! Die beiden konkreten Beispiele der Textverbesserung bei Norbert Hummelt (Lyrik) und Burkhard Spinnen (Prosa) vermögen Skeptiker allerdings kaum davon zu überzeugen, dass institutionalisierte Literaturausbildung sein muss, denn im Vorher/Nachher-Vergleich können beide abgedruckten Textvarianten gut nebeneinander bestehen, ihre Veränderungsbegründungen überzeugen nicht. Das trifft den heiklen Kernpunkt des Bandes: Man merkt ihm an, dass mit ihm ein Überbau geschaffen werden soll, der einerseits die eigene Ausbilderexistenz rechtfertigen, andererseits jedoch auch Selbstzweifel an der generellen Vermittelbarkeit von Schreibkunst niederkämpfen muss. Natürlich weiß man in Leipzig um die Kriterienvielfalt von Literatur, die längst das Stadium der Kriterienlosigkeit erreicht hat. Ohne Kanon ist Ausbildung nicht möglich, doch vorm Kanon schütze uns die Postpostpostmoderne.

    Mithin ein entbehrliches Buch - doch paradox wirksam: Den abgewiesenen Bewerbern spendet es nämlich gerade wegen seiner Entbehrlichkeit Trost, untermauert es doch die Ahnung, dass nicht alle Wege zu Ruhm und Reichtum über Leipzig führen. Zum Glück gibt es darin auch ein paar nützliche Sätze. Etwa die perfide Gretchenfrage von Katja Lange-Müller, was man eher aufgeben könne, Lesen oder Schreiben? Wer "Lesen" antwortet, ist eigentlich schon durchgefallen, denn ein illiterater Schreiber bleibt grundsätzlich unbelehrbar. Andererseits: Wer das eigene Schreiben zu opfern vermag, bringt wohl nicht das nötige Stehvermögen für ein Leben zwischen Verriss und Ramschkiste auf. In ähnliche Richtung geht Hans-Ulrich Treichels Wunsch nach einem Essay über "aufgehörte Schriftsteller" - sozusagen als Hoffnungsschimmer möglicher Suchtentwöhnung. Die hat eine Ausnahmeabsolventin des Instituts kaum nötig. Bei Juli Zeh ist Schreiben weder ans spätere Wahrgenommenwerden, noch an einen bestimmten Sozialstatus geknüpft; ihr Studium in Leipzig bedeutete auch keine berufsbildende Maßnahme. "Einer der wenigen Vorteile juristischer Examina", schreibt die heutige Volljuristin, "besteht darin, dass man sich bei einem Lernpensum von acht Stunden am Tag und zwei Probeklausuren in der Woche beim besten Willen nicht als Schriftsteller verstehen kann." Muss man auch nicht. Die Literaturgeschichte ist voll von Autoren mit Arztpraxen und Anwaltskanzleien; Diplomschriftsteller sucht man darin vergebens.