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Wie wollen wir leben?

Immer mehr politische Bücher wenden sich an jugendliche Leser. So auch "Der Traum von einer besseren Welt: Die großen Menschheitsutopien". Es stellt neun Utopien von einer besseren Gesellschaft vor, die die Menschen schon seit 2500 beschäftigen.

Von Ute Wegmann | 06.09.2010
    Zur Auseinandersetzung mit Geschichte und Politik gehört für junge Menschen die Frage, wie man sich eine Gesellschaft vorstellt, in der man glücklich werden kann. Mit dem vorliegenden Sachbuch der Utopien bietet Manfred Mai dem jugendlichen Leser dazu Denkanstöße.

    "Es geht darum, dass man begreift, dass es wichtig ist, auch über den Tag hinauszudenken, sich Gedanken zu machen, wie wollen wir leben? Wie soll eine Gesellschaft organisiert sein? Da haben sich schon Menschen Gedanken gemacht, als es noch viel schwieriger war zu leben als heute."

    Die unterschiedlichen Ansätze der Utopisten sind philosophisch-, christlich- oder wissenschaftsorientiert. Bis zum 19. Jahrhundert sind ihre Gedanken über das, was man verbessern sollte, geprägt vom Fortschrittsoptimismus.

    "Wissen ist Macht", sagt Francis Bacon und stellt in dem Romanfragment NEU-ATLANTIS die Wissenschaften über die Religion.
    Der Bericht des Ich-Erzählers beginnt mit einer Schiffsreise, auf der 51 Männer von Peru nach China segelten. Ohne Lebensmittel in der Südsee dem Tod geweiht, entdeckten sie eine Insel. Ein Priester erzählte ihnen nach und nach die Geschichte der Inselbewohner und des Hauses Salomon, einer Art Universität.

    "So spärlich Bacon sich zu politischen Institutionen, zur Arbeitswelt und zum Alltagsleben äußert, so ausführlich beschäftigt er sich mit dem Haus Salomon und seinen Aufgaben. Insgesamt gibt es 36 Ämter, in denen viele Spezialisten und Hilfskräfte arbeiten. Sie experimentieren mit Pflanzen und Tieren, bauen Maschinen, um die Kraft von Wasser und Wind zu nutzen, stellen in Laboratorien aus Pflanzen allerlei Heilmittel her. Sie fangen Sonnenstrahlen auf und arbeiten an Maschinen, die Wärme erzeugen.Das Ganze Forschen und Experimentieren ist keineswegs Selbstzweck, es dient dem Ziel 'den besten Staat' zu schaffen."

    Alle von Mai ausgewählten utopischen Gesellschaftsentwürfe resultieren aus einer Kritik an den herrschenden Zuständen ihrer Zeit. Alle gehen davon aus, dass der Mensch selber für die politisch-gesellschaftliche Situation verantwortlich ist und sie somit auch verändern kann. Mai hat die Utopien auf ihre Grundgedanken reduziert, um sie vergleichen zu können. Einer kurzen historischen Einordnung folgt die Darstellung der Kernaussagen, belegt durch Originaltextpassagen. Dabei vermeidet er komplizierte Formulierungen und wissenschaftliche Fußnoten.

    Alle Ideen beschäftigen sich mit den Fragen nach Eigentum, nach Recht, Erziehung und Bildung, der Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen und der Regierbarkeit eines Staates.

    Die erste futuristische Utopie, so Manfred Mai, schreibt Louis-Sebastian Mercier. Geboren in Paris im Jahr 1740, steht der Schriftsteller als Anhänger der Aufklärung dem absolutistischen Frankreich kritisch gegenüber. In seinem Roman "Das Jahr 2440" entwirft er nicht wie andere Utopisten vor ihm einen neuen Staat auf einer fernen Insel oder in einem unbekannten Land, sondern er beschreibt Paris 700 Jahre später. In seinem Staatsentwurf setzt er vor allem auf die soziale Verantwortung der Reichen. Bei Mercier gestaltet der Mensch die Geschichte und auch den neuen Staat. Der Staat ist kein statisches Modell mehr wie bei seinen Vorgängern.

    "Mercier greift aber noch ein weiteres Thema auf, das uns heute modern und von neuer Aktualität erscheint. Auch wenn er kein Kommunist ist, kritisiert er doch den kapitalistischen Grundsatz, immer mehr Gewinne erzielen zu müssen. Heute leben wir in einer Welt der Überproduktion, zumindest gilt dies für die Industriestaaten. Längst geht es nicht mehr darum, Bedürfnisse zu stillen - ein Traum aller Utopisten, sondern darum, neue Bedürfnisse zu wecken und dabei möglichst viel, auch auf Kosten anderer, zu verdienen. Mercier lehnte dies ab."

    Auch Marx und Engels mit der Idee einer klassenlosen Gesellschaft sind vertreten.

    "Das war eine heiß diskutierte Sache, weil Marx ja die Utopisten eigentlich ablehnt hat. Er wollte ja keine Utopien, weil das für ihn Märchenlandschaften waren. Er wollte das wissenschaftlich und hat da auch den Begriff 'Konkrete Utopie' erfunden aber er hätte sich nie als Utopist bezeichnet."

    Den modernsten und zeitnahsten Entwurf beschreibt Ernest Callenbach in seinem Roman "Ökotopia", entstanden im Jahr 1974 aus der kalifornischen Gegenkultur der Friedens- und Naturschutzbewegungen, die eine Abkehr von den Industriegesellschaften forderte. Er bringt als erster auf den Punkt, was wir heute ökologische Verantwortung nennen.
    Manfred Mais Sachbuch "Der Traum von einer besseren Welt" gibt einen Einblick in utopische Staatsmodelle der letzten 2500 Jahre. Mai möchte mit seinen Büchern vor allen Dingen Jugendliche erreichen, deshalb sind Sprache und Diktion klar und gut verständlich.

    Philosophie und Politik spannend präsentiert, darüber freuen sich jüngere und ältere Leser.

    Keine jugendgefährdende, aber eine jugendbildende Schrift. In unserer neuen Rubrik "U 18" war das: "Der Traum von einer besseren Welt: Die großen Menschheitsutopien". Das Buch von Manfred Mai ist bei Hanser erschienen mit 160 Seiten für 14,90 Euro. Ute Wegmann hat das Buch für uns gelesen.