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"Wie wollen wir sterben?"

Es ist Herbst geworden - Zeit der Melancholie, für manche auch des Trübsinns oder gar der Todessehnsucht. Passend zur Jahreszeit fragte die Akademie der Künste in Berlin "Wie wollen wir sterben?". In der Gesprächsrunde, zu der Akademiepräsident Klaus Staeck eingeladen hatte, ging es auch um das moderne Begehren nach unbemerktem Sterben.

Von Arno Orzessek |
    "Jeder wünscht sich natürlich, schnell, irgendwann, dass man's nicht merkt. Am besten einschlafen und nicht aufwachen oder so etwas."

    Der Theaterregisseur Thomas Langhoff formulierte das moderne Begehren nach unbemerktem Sterben - und tat es im Wissen, dass das reines Wunschdenken ist. Kaum jemand schläft heutzutage einfach so hinüber. Weshalb die Frage "Wie wollen wir sterben?" alle angeht - und sich an der überalterten Berliner Akademie der Künste laut Präsident Klaus Staeck gerade im Herbst aufdrängt.

    "In der Herbstmitgliederversammlung haben wir unsere Nachrufe zu besprechen, die manche nicht mögen, dann nicht auch kommen - andere geradezu begeistert sind und sagen: Das Beste an der Akademie sind die Nachrufe."

    Man konnte dem locker dahin geplauderten Akademie-Gespräch von Anfang an zugute halten, dass es vom schmalen Grat zwischen falschem Bierernst und fehlender Pietät nicht abstürzte. Auch der Umgang mit dem Makabren war souverän - so bei Zeit-Mitherausgeber Michael Naumann.

    "Die beeindruckendste Tote war natürlich meine Mutter. Nicht so beeindruckend war, dass ich nach ihrem Tod feststellen musste, dass in dem Krankenhaus ihr gesamter Schmuck gestohlen worden war und mir dann gesagt wurde: Das ist üblich."

    Thomas Langhoff zitierte aus George Taboris tragischer Farce Mein Kampf.

    "Der Herzl verwickelt sich in ein Gespräch mit der Frau Tod. Die holt eine Liste heraus und sagt, sie müsse verschiedene Leute abarbeiten ... Sie fragt ihn, wie er heißt. Da sagt der Herzl: Zoff, Zacharias Zoff. Da sagt sie: Nein, nein, es geht nicht nach dem Alphabet."

    Im ernsteren Teil der Diskussion sollte es um das besondere Verhältnis der Künstler zum Sterben gehen - deshalb saßen weder Ärzte noch Politiker auf dem Podium. Doch niemand war systematisch vorbereitet. Man pendelte zwischen kulturellen Apercus und Bekenntnissen. Auch der Dresdner Opern-Regisseur Peter Konwitschny, Jahrgang 1945, legte eines ab:

    "Ich habe auch noch keinen Toten gesehen, obwohl ich schon so alt bis und fürchte mich ein bisschen davor, dass meine Mutter jetzt demnächst vielleicht doch stirbt, die ist 98."

    Immerhin hatte Peter Konwitschny eine regelrechte These zu Kunst und Sterben.

    "Wenn ich etwas zu sagen hätte, müssten alle in die Oper gehen, Voraussetzung, dass sie gut inszeniert sind natürlich. Dann würde vieles anders sein, glaube ich ... Man bekommt quasi Lust, ich will nicht sagen, zu sterben, aber in so einen Moment zu kommen, in dem mal von Wahrheit die Rede ist. Wo das ganze Hick und Hack weg ist, weil der Tod da ist."

    Die Literaturwissenschaftlerin Christine Becker erzählte vom relativ entspannten Abscheiden ihres Mannes ...

    "Also Jureck Becker, dessen Frau ich war, weshalb ich hier sitze ... "

    ... und rechnete der Kunst erstklassige Sterbehelfer-Qualitäten zu:

    "In dem wir uns mit Kunst befassen ... führen wir eher ein erfülltes Leben, als indem wir es nicht tun. Das heißt, das ist ein Weg, zu einem ausgefüllten Leben. Und das ist meines Erachtens natürlich die Grundlage für Gelassenheit im Sterben."

    Während des Schlagabtauschs zu Patienten-Verfügungen und Sterbehilfe entpuppte sich Michael Naumann als dezidierter Anhänger der "Lebensheiligkeit" und Freund der jüdisch-christlichen Tradition. "Einschläferungen" nannte Michael Naumann die niederländische Sterbehilfe-Praxis - und sie ist ihm ein Graus

    "In dem Augenblick, in dem diese Art und Weise, mit dem Leben umzugehen, vielleicht dann auch noch auf europäischer Ebene rechtsverbindlich ist, dann wandere ich in den Vatikan aus."

    Dagegen wehrte sich in der Diskussion, die dem sanft entschlafenden Gespräch noch einmal Lebendigkeit verschaffte, ein Arzt, der bei der Sterbehilfe-Organisation Dignitate mitarbeitet.

    "Das Modell Holland ist ein schlechtes Modell. Wir wollen aber bitte ein besseres Modell ... "

    Es wurde konkret; es wurde laut. Die Kunst geriet restlos in Vergessenheit.

    "Ich habe keine Angst vor dem Tod. Einfach eine Zyankali-Tablette bei sich oder etwas, was einen sanft tötet ... Das macht man irgendwann mal und dann ist man weg von der Bühne ... "

    sagte der eine Diskutant. Andere entgegneten ihm:

    "Sie kommen an die Zyankali-Kapsel gar nicht ran" - "Wenn Sie Ihre Zyankali-Kapsel haben und da drauf beißen können und sagen, so, ich bin jetzt fertig, dann ist das ja schön!"

    Ein dritter wollte gar keine Sterbehilfepillen:

    "Ich möchte nicht schmerzfrei sterben, ich möchte nicht schmerzfrei leben, ich möchte auch nicht, dass schmerzfrei geboren wird."

    Nein, die Sterbe-Diskussion in der Akademie der Künste war nicht substanzlos. Es zeigte sich jedoch, dass das Sterben ein zu widerspenstiges Ding ist, um ihm mal eben in neunzig improvisierten Minuten beizukommen. Das 24. Akademie-Gespräch bot nicht mehr als ein mittelmäßiger Fernseh-Talk.

    Aber so oder so: Das Podium spendierte viele allgemeine Lebens- und Sterbetipps. Christine Becker empfahl:

    "Dass wir so sorgfältig mit dem Leben umgehen sollten, dass wir auch früher bereit sind, zu gehen."

    Und Akademie-Präsident Klaus Staeck legte ein für alle Mal fest, was den Sinn des Lebens vor dem Sterben ausmacht.

    "Der Sinn des Lebens ist das Leben, was denn sonst?"