Hans Joachim Wiese: Frau Wieczorek-Zeul, am vergangenen Donnerstag wurde ein Entwicklungshelfer der Deutschen Welthungerhilfe in Afghanistan ermordet. Am Freitag hat der Bundestag die Entsendung von Tornado-Aufklärungsflugzeugen nach Afghanistan beschlossen. Warum verschlechtert sich die Sicherheitslage in Afghanistan immer weiter, obwohl der Westen sich dort immer stärker militärisch engagiert?
Heidemarie Wieczorek-Zeul: Zunächst mal möchte ich sagen, wie sehr das Engagement der zivilen Wiederaufbauhelfer und Entwicklungshelfer in Afghanistan hochzuschätzen ist. Der Herr Rübling von der Deutschen Welthungerhilfe hat ohne Bewaffnung seine Arbeit geleistet, er hat selbstlos den Menschen dort helfen wollen. Und wir drängen darauf, dass die afghanische Regierung alles tut, um die Mörder wirklich ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Und deshalb noch einmal meinen Dank an alle die, die in Afghanistan diesen zivilen Wiederaufbau leisten.
Es ist eine Riesen-Wiederaufbauleistung in Afghanistan im Gang, die wird nur im öffentlichen Bewusstsein nie in dem Maße wahrgenommen. Afghanistan ist das Land, das das höchste Maß an Entwicklungsmitteln von der Bundesrepublik erfährt im Vergleich zu allen anderen unserer Partnerländer – 100 Millionen. Es geht nicht um eine militärische Auseinandersetzung dort, sondern es geht um den Wiederaufbau, um den politischen, den sozialen, den wirtschaftlichen Wiederaufbau, die Herstellung von Zivilgesellschaft, und es geht darum, das auch militärisch abzusichern.
Wiese: Ja, aber das scheint ja nicht zu funktionieren, wie wir es jetzt an diesem traurigen Beispiel wieder erlebt haben. Der Tornado-Einsatz ist beschlossen worden, es werden auch immer mehr zusätzliche Soldaten zumindest in den Süden des Landes geschickt, und trotzdem immer wieder diese Zwischenfälle. Droht nicht eine Irakisierung des Landes?
Wieczorek-Zeul: Also, ich halte solche Vergleiche schon deshalb für völlig unzulässig, weil es völlig unterschiedliche Ausgangssituationen sind und weil das dem Land auch nicht gerecht wird. In Afghanistan gibt es einen Auftrag der Internationalen Gemeinschaft, auch der Vereinten Nationen, zum politischen Wiederaufbau, auch zur militärischen Seite. Und das ist etwas völlig anderes, als diese Situation zu vergleichen mit einem Land wie dem Irak, wo es einen Angriffskrieg durch die USA gegeben hat.
Wiese: Sie stehen also ohne Wenn und Aber hinter dem Tornado-Einsatz, also hinter der militärischen Absicherung der zivilen Leistungen in Afghanistan?
Wieczorek-Zeul: Der Auftrag im Jahr 2001 war einerseits dieser politische Auftrag, der durch ISAF abgesichert wird, aber er war auch der Auftrag des Engagements gegen Terrorismus - und auch das militärische Vorgehen notfalls gegen Terroristen. Und in dieser Bindungswirkung sehe ich mich. Ich habe damals der Regierung angehört und habe diesen Beschluss mitgetragen.
Wiese: Und trotzdem werden auch angesichts dieses Mordes jetzt wieder die Stimmen lauter, die nach einem Strategiewechsel rufen. Die sagen: Weniger militärischer Einsatz, mehr ziviler Aufbau – bis hin zu einem Ende des Bundeswehreinsatzes. Was sagen Sie dazu?
Wieczorek-Zeul: Na ja, also, der Strategiewechsel, für den haben wir uns ja sehr eingesetzt innerhalb der NATO, nämlich wegzukommen davon – so zu sagen nur auf das Militär zu setzen, wie das die amerikanische Seite ja zum Teil gemacht hat und dabei eben auch Zivilisten zu gefährden und auch die Menschen gegen sich aufzubringen.
Also, dieser Strategiewechsel, der muss ja jetzt auch Wirkung zeigen. Und infolge dessen denke ich, wäre es das absolut falsche Signal, auch ein Signal, dass man den Kampf aufgibt. Und das würde in der afghanischen Bevölkerung auch niemand verstehen.
Wiese: Nun beginnt morgen in Bonn ein zweitägiges informelles Treffen der EU-Entwicklungsministerinnen und –minister unter Ihrer Leitung, denn Deutschland hat ja derzeit bekanntlich nicht nur die EU-Präsidentschaft inne, sondern auch die der G8-Staaten. Ist solch ein Treffen mehr als eine Expertenversammlung? Bietet es auch die Chance, Entwicklungspolitik zu erklären, sie populärer zu machen?
Wieczorek-Zeul: Das Treffen, das auf dem Petersberg bei Bonn stattfindet, führt zum ersten Mal europäische Entwicklungsminister und –ministerinnen und Vertreter der afrikanisch-karibisch-pazifischen Staaten zusammen. Und da geht es vor allen Dingen auch darum, im Hinblick auf das, was die Europäische Union plant an Abkommen mit diesen Staaten, ein Stück wechselseitiges Verständnis zu schaffen.
Das sind immer sehr komplizierte Vertragselemente, die da diskutiert werden, aber im Kern geht es eigentlich um die Frage: Wie können wir dazu beitragen, dass diese Staaten – zumal auch die afrikanischen – von den Vorteilen der Globalisierung auch profitieren können, und wie können wir dazu beitragen, dass das entwicklungsförderlich für sie auch gelingt?
Wiese: Sie haben jetzt schon ein Stichwort gesagt, mehrfach hatten Sie schon zuvor erklärt, die deutsche Doppelpräsidentschaft nutzen zu wollen, um Afrika in den entwicklungspolitischen Mittelpunkt zu stellen. Warum gerade Afrika, warum nicht Asien, warum nicht Lateinamerika, wo doch die Probleme möglicherweise nicht geringer sind?
Wieczorek-Zeul: Afrika ist unser Nachbarkontinent, jeder sieht und spürt das auch, wenn man die Flüchtlinge sieht, die von Marokko aus nach Europa kommen. Afrika ist im wahrsten Sinne des Wortes uns nahe, und die Probleme – wie gesagt – werden uns auch erreichen, wenn wir nicht dazu beitragen, sie vor Ort zu lösen. Und ich möchte auch mit dazu beitragen, den Blick auf Afrika zu verändern, denn wir nehmen normalerweise Afrika als Kontinent von Krisen, Katastrophen, von Kriegen wahr.
Und die Wahrheit ist: Afrika hat sich sehr positiv in einer Reihe von Staaten und auch insgesamt entwickelt, und zwar insofern, als sie eigentlich den Versuch machen, mit der Afrikanischen Union und den einzelnen Einrichtungen – Menschenrechtsgerichtshof, afrikanisches Parlament – im Grunde regionale Kooperation in einem Kontinent, so ähnlich wie das in Europa der Fall ist, zu organisieren und auch die Probleme mit Friedensmissionen selber auf ihrem eigenen Kontinent zu regeln. Oft nicht schnell genug, wie wir das wünschen würden, auch wie ich das wünsche, aber man muss diesen Prozess doch auch anerkennen. Das ist der eine Punkt.
Und der zweite Punkt: Afrika hat durchschnittliche Wachstumsraten in den letzten Jahren von teilweise über fünf Prozent, und zwar unabhängig von der Frage, dass es ölfördernde Länder gibt. Und das macht einfach deutlich: Da ist die wirtschaftliche Entwicklung vorangekommen. Und das Allerwichtigste ist, dass sie tatsächlich auch die Armen in diesen Ländern erreicht. Und das ist auch ein Teil unserer Zusammenarbeit.
Wiese: Aber dann stellt sich mir die Frage: Was ist denn überhaupt das Ziel von Entwicklungspolitik? Geht es darum, vor dem Hintergrund dessen, was Sie gerade gesagt haben, aus den Entwicklungsländern, zum Beispiel in Afrika, Industrieländer zu machen und damit auch alle Probleme, die die Industrieländer jetzt schon verursachen, zu multiplizieren - also zum Beispiel den Klimawandel durch noch mehr CO2-Ausstoß noch mehr zu verschärfen?
Wieczorek-Zeul: Na ja, jedes Land ist souverän. Wir wollen auch nicht, dass uns etwas vorgeschrieben wird. Wir können keinem Land vorschreiben, wie es seinen Entwicklungsweg wählen will, das ist sicher richtig. Aber gerade die afrikanischen Länder diskutieren mit uns gemeinsam auch die Frage – diese Länder, zumal die afrikanischen Länder, fast alle Entwicklungsländer, sind diejenigen, die betroffen sind vom Klimawandel und die dramatisch von ihm betroffen sein werden, ohne dass sie ihn selbst verantwortet haben, und die im Grunde auch erwarten, dass es ein Stück Hilfe und Unterstützung in diesem Prozess gibt.
Was meine ich damit? Also, der gesamte Stromverbrauch des afrikanischen Kontinents ist kleiner als der Deutschlands, nur um mal ein Beispiel zu geben. Und alle Berichte der UN sagen uns, dass es in diesen Partnerländern sein kann, dass es Einkommenseinbußen bis zu 30 oder 40 Prozent in diesen Ländern geben wird, wenn der Klimawandel sich so fortsetzt. Das heißt, es gibt auch ein gemeinsames Interesse an einer europäisch-afrikanischen Energiepartnerschaft, die das überwindet, was Sie angesprochen haben, die eben auf erneuerbare Energien setzt. Und da ist in Afrika eigentlich die Voraussetzung ja auch ideal. In Kenia gibt es die Geothermie, gerade im südlichen Afrika sind die Möglichkeiten für Solarenergie in größerem Umfang eigentlich gegeben. Bisher wird ja noch sehr stark auf Biomasse etwa gesetzt. Und es gibt einen Teil afrikanischer Länder, die ölfördernd sind.
Also, wir wollen gerade diese Partnerschaft so gestalten, dass sie wirklich wechselseitiges Interesse aufgreift, dass sie nicht die Fehler macht, die die Industrieländer bei uns gemacht haben. Aber sie werden natürlich auch nicht akzeptieren, dass wir ihnen sagen: Die Fehler, die wir gemacht haben, dürft Ihr nicht wiederholen. Sie werden es aus eigenem Antrieb, hoffe ich, auch in dieser Kooperation so sehen, wie ich es eben skizziert habe.
Wiese: Lassen Sie mich da nachhaken. Es geht also nicht darum, jetzt etwa Südafrika so zu mobilisieren, mit Autos zu bestücken, wie es zum Beispiel in Europa der Fall ist – oder wenn, dann mit Kraftfahrzeugen, die schon klimafreundlicher sind?
Wieczorek-Zeul: Das sollte das Ziel auch in einer solchen Zusammenarbeit sein, setzt aber auch voraus, dass man das Gespräch dazu führt. Denn, wie gesagt, wer nach Europa oder sogar in die USA fliegt, der wird sagen: Ja, was da existiert, wollen auch wir haben als Chance. Und wir müssen noch einmal deutlich machen: Wenn wir heute nicht gemeinsam handeln, werden sich die Klimakatastrophen dramatisch für uns auswirken, aber natürlich auch dramatisch für diese Länder.
Wir haben ja alle Einschätzungen, dass zum Beispiel Malaria dramatisch zunehmen wird, dass die Konsequenzen auch in den Ländern selber dramatisch werden. Zum Beispiel schätzt man, dass es bis zu 200 Millionen Flüchtlinge geben kann, wenn Hunger dort ausbricht, wenn Ernten ausbleiben, wenn Katastrophen dort durch den Klimawandel verstärkt werden. Und insofern gibt es ein gemeinsames Interesse daran, dass wir den Anpassungsprozess mit unterstützen, auch den notwendigen Veränderungsprozess, den sie auch – bezogen auf die Energie – brauchen, wenn sie aus der Armut herauskommen wollen. Und das kann nur mit dem Aspekt erneuerbarer Energien und Energieeffizienz gelingen.
Und das ist hervorragend, denn das ist der Schwerpunkt, weil eben Deutschland dabei große Chancen, große Exportchancen hat. Also, es gibt ein gemeinsames Interesse. Es geht aber auch darum, das will ich auch nochmal sagen, dass natürlich auch nachhaltige Investitionen in Afrika verwirklicht werden. Denn erstens werden wir die Ziele, die Armut zu bekämpfen, dazu beizutragen, dass alle Kinder bis zum 14. Lebensjahr in die Schule gehen, um nur zwei davon zu nennen, die werden wir nicht erreichen nur durch die Mittel der Entwicklungszusammenarbeit.
Sondern wir brauchen auch Investitionen, die Wachstum dort generieren, und zwar ausländische, aber auch heimische, zum Beispiel dadurch, dass wir fördern Micro-Finanzfonds, um dazu beizutragen, dass gerade auch arme Menschen, zumal Frauen, gute Chancen haben, ihre eigene Existenz zu gestalten. Und deshalb nochmal: Entwicklungszusammenarbeit heißt, in diesen Ländern dazu beizutragen, Hilfe zur Selbsthilfe und die eigene Entwicklung entscheiden zu können.
Wiese: Bleiben wir beim entwicklungspolitischen Schwerpunkt Afrika zunächst, Frau Wieczorek-Zeul. Nirgendwo auf der Welt ist die HIV-Infektionsrate so hoch wie im südliche Afrika. Wie kann Entwicklungspolitik dazu beitragen, dass sich dort keine Aidspandemie entwickelt, wenn sie sich nicht schon entwickelt hat.
Wieczorek-Zeul: Die hat sich entwickelt. Wir haben als Regierung ja einen Aktionsplan zur Bekämpfung von HIV/Aids beschlossen im Kabinett. Und wir haben in diesem Bericht noch mal deutlich gemacht: Es ist mittlerweile so, dass weltweit, das ist ja nicht nur Afrika, 40 Millionen Menschen infiziert sind, dass im letzten Jahr drei Millionen Menschen an HIV/Aids gestorben sind, dass es im südlichen Afrika so viele Aids-Waise gibt, wie in Deutschland Kinder leben – damit man auch das einfach noch mal als Verhältniszahl kennt – und was mich besonders beunruhigt, ist, dass vor allen Dingen Frauen mittlerweile fast mehr als die Hälfte, jedenfalls etwa 60 Prozent mindestens in Afrika südlich der Sahara unter den Infizierten sind.
Das Ziel ist, drastisch dazu beizutragen, Neuinfektionen zu verhindern und den Trend zu stoppen, einmal indem Prävention, Prävention, Prävention praktiziert wird. Das ist auch ein Schwerpunkt unserer Entwicklungszusammenarbeit. Wir sind in etwa 50 Ländern in der Partnerschaft genau in diesem Bereich tätig, Und das heißt auch Zugang zu Kondomen ermöglichen, den Menschen sagen, ihr könnt euch schützen, ihr müsst euch schützen. Aids ist kein Gottesurteil, das von selbst kommt, sondern es ist eben durch unter anderem Geschlechtsverkehr übertragbar.
Und insofern kommt es darauf an, diese Aufklärung zu leisten, Prävention zu leisten, es kommt aber auch darauf an, Zugang zu kostengünstigen Medikamenten zu ermöglichen. Das tun wir in der Zusammenarbeit mit Unternehmen, auch in Afrika. Und das dritte ist, mit dazu beizutragen, dass vor allen Dingen auch die Rolle von Frauen bestärkt wird. Denn man kann sagen, wer die Frauen stärkt, schwächt die Aidspandemie. Und das ist wichtig. Je mehr Frauen auch eigene Rechte haben, je mehr Frauen wirtschaftlich eigenständig sind, um so eher können sie sich auch selbst schützen.
Wiese: Stichwort Rolle der Frau. Ist es nicht so, dass dieses Thema in der bisherigen Entwicklungspolitik ohnehin vernachlässigt worden ist?
Wieczorek-Zeul: Ja, das ist mein Thema seit Anfang an. Weil ich auch weiß, wie wichtig es ist, dass man Frauen stärkt, wie wichtig es ist, dass man Diskriminierungen überwindet, habe ich auch selber einen sehr emotionalen Bezug dazu. Und deshalb ist die Förderung von Frauen in der Entwicklungszusammenarbeit immer für mich eine Frage der Menschenrechte, der Frauenrechte gewesen.
Man muss immer wieder deutlich machen, die Länder, die den Frauen wirtschaftlichen Zugang ermöglichen, haben hohe Wachstumsraten. Die Länder, die die Frauen benachteiligen und aus dem Arbeitsmarkt herausdrängen oder gar nicht zulassen, dass sie ihre eigene Existenz gestalten, die jedenfalls haben schlechtere Wachstumsraten. Und das heißt, Frauen zu benachteiligen ist nicht nur gegen die Menschenrechte und gegen die Rechtsansprüche insgesamt, sondern es ist auch wirtschaftlich und ökonomisch falsch, schädlich und sehr, sehr kurzsichtig.
Wiese: Sie nannten vorhin schon eine der Leitlinien deutscher Entwicklungspolitik. Hilfe zur Selbsthilfe heißt sie. Wäre es nicht eine besonders effektive Hilfe zur Selbsthilfe, wenn die Industrieländer endlich damit aufhörten, ihre eigenen Märkte gegen Waren aus den Entwicklungsländern abzuschotten, oder zum Beispiel ganz unrentable landwirtschaftliche Produkte mit Milliardensummen zu subventionieren?
Wieczorek-Zeul: Sie haben völlig recht. Es geht darum, auch in der noch zu verhandelnden Doha-Runde, in der ja den Entwicklungsländern zugesagt worden ist, dass es eine Entwicklungsrunde wird, sicher zu stellen, dass wirklich die Agrar-Export-Subventionen auslaufen, die ja die Märkte in den Entwicklungsländern kaputt machen, mit dafür zu sorgen, dass die Länder eben bessere Exportchancen selbst auch haben und vor allen Dingen auch mit dazu beizutragen, dass sie davon Gebrauch machen können.
Wiese: Wie weit, Frau Wieczorek-Zeul, ist Deutschland denn eigentlich von dem politischen Ziel entfernt, 0,7 Prozent des Bruttoinlandprodukts für Entwicklungshilfe zur Verfügung zu stellen. Die Bundesregierung könnte die Doppelpräsidentschaft doch nutzen, da mit gutem Beispiel voran zu gehen.
Wieczorek-Zeul: Wir tun das auch. Sie müssen sich vorstellen, als ich als Entwicklungsministerin angefangen habe im Jahre 1998 lag die Vergleichszahl, die in der OECD ja festgelegt wird, bei 0,26 Prozent. Wir sind jetzt bei 0,36 Prozent. Und wir haben uns als Bundesregierung in unserer Koalitionsvereinbarung vorgenommen, bis zum Jahr 2010 0,51 Prozent zu erreichen und bis zum Jahr 2015 0,7 Prozent. Das ist ehrgeizig, aber das Ziel 0,7 war ja den Entwicklungsländern in den 70er Jahren schon versprochen worden.
Was die Altvorderen damals aber nicht gemacht haben, sie haben kein Zeitziel festgelegt, Wir haben jetzt ein Zeitziel festgelegt, und ich werde sehr darauf beharren, dass wir das auch wirklich einlösen. Gerade wer die G8- und EU-Ratspräsidentschaft hat, muss da auch Vorbild sein. Und es muss immer wieder auch erinnert werden, weltweit sind wir in den Rüstungsausgaben wieder wie im heißesten Kalten Krieg bei 1,1 Billion US-Dollar für Rüstung, davon die Hälfte US-Rüstungshaushalt und weltweit praktisch nur ein Zehntel davon, 103 Milliarden US-Dollar, für Entwicklungszusammenarbeit.
Ich bin ganz sicher, wenn wir dieses Gewicht zu Gunsten der Entwicklungszusammenarbeit verschieben, haben wir eine Zukunft, die weniger von Gewalt und weniger Konflikten geprägt ist.
Wiese: Vor zwei Jahren haben die G8-Staaten im schottischen Gleneagles nicht nur ein vergleichsweise umfangreiches Finanzhilfepaket für Afrika beschlossen, sondern auch einen Schuldenerlass für 29 Staaten. Ist ein Schuldenerlass gleichzusetzen mit Entwicklungshilfe?
Wieczorek-Zeul: Aus meiner Sicht ja. Wenn Schulden erlassen werden im Ausgleich dafür, dass die Armut im Land bekämpft wird, heißt das ja, dass in den Haushalten der Partnerländer die Mittel, die sonst für Zins und Tilgungen eingesetzt würden, dann auch für Bildung, für Gesundheit, für Aids-Bekämpfung eingesetzt werden kann. Und deshalb ist aus meiner Sicht auch ein Schuldenerlass ein entwicklungspolitisch sinnvolles Instrument.
Übrigens, dieser Schuldenerlass, der in Gleneagles beschlossen worden ist, der im Umfang von 55 Milliarden US-Dollar war, den haben wir umgesetzt in den internationalen Finanzinstitutionen in der Weltbank und IBF. Das ist eingelöst. Was noch nicht eingelöst ist, in Gleneagles ist vereinbart worden, dass man bis zum Jahr 2010 die Mittel der Entwicklungszusammenarbeit für Afrika verdoppeln will. Und da muss jetzt sehr genau gesehen werden, wie die einzelnen Schritte der Beteiligten dann auch sind.
Wiese: Nun gibt es ja auch immer wieder Bestrebungen, Militäreinsätze – nicht nur Schuldenerlass, sondern Militäreinsätze – als Entwicklungshilfe zu deklarieren und so die sogenannte ODA-Quote, das ist also der Entwicklungshilfeanteil am Bruttoinlandsprodukt, die berühmten 0,7 Prozent, nach oben zu treiben. Das hatten zum Beispiel schon beim Kongoeinsatz der Bundeswehr einige Unionsabgeordnete gefordert. Was halten sie davon?
Wieczorek-Zeul: Also, die Kriterien für das, was als Official Development Assistance, also als offizielle Entwicklungszusammenarbeit der Staaten bewertet werden kann, wird in der OECD einstimmig festgelegt. Und der Kongoeinsatz war richtig und wichtig. Ich habe mich sehr frühzeitig für ihn eingesetzt, damit eben ein Bürgerkrieg verhindert werden kann. Aber es ist eben keine Entwicklungszusammenarbeit.
Und ich bin dafür, dass es auch mal eine Auflistung gibt, welches sind eigentlich die Länder, die Friedenseinsätze in welchem Umfang und auch mit welchen finanziellen Lasten betreiben und unterstützen. Das ja, aber es ist eben keine Entwicklungszusammenarbeit und infolgedessen kann es da auch nicht gerechnet werden.
Wiese: Wie stehen sie zu einem Militäreinsatz in Dafour im Sudan, um dort das Morden endlich zu beenden? Auch das wird ja immer wieder gefordert.
Wieczorek-Zeul: Man muss da jetzt unterscheiden. Ohne die UN– und Afrikanische Union–Mission in Dafour voranzubringen, wird das Morden nicht beendet werden. Und da muss man sich noch mal daran erinnern. Die UN hat ja einen entsprechenden Beschluss gefasst im Sicherheitsrat. Er soll zusammen mit der Afrikanischen Union vorangebracht werden, und das würde etwa 17000 Soldaten bedeuten. Die sollten aus meiner Sicht – und ich glaube, das versteht auch jeder – eher aus afrikanischen, dann auch islamischen, arabischen Ländern kommen und nicht von den Europäern gestellt werden.
Aber eines ist auch klar: Ohne diese Truppe werden die Menschen nicht geschützt werden können. Und es ist von Beginn an einer meiner Punkte gewesen, dass ich gesagt habe, wir können doch nicht der Vertreibung und der Ermordung von mehreren Hunderttausenden Menschen zusehen, und auch da wieder die Frauen, die besonders vergewaltigt werden, die für ihr Leben gezeichnet sind durch die Gewalttaten, die ihnen gegenüber ausgeübt werden. Da dürfen wir nicht zusehen und können das auch nicht zulassen.
Das heißt, ich dränge darauf, dass es endlich wirkliche Sanktionen gegenüber der sudanesischen Regierung gibt, damit sie die Soldaten dann auch tatsächlich ins Land lässt. Und ich finde es immer noch einen absoluten Skandal, dass es nur ein Waffenembargo gegenüber Dafour gibt aber für den Rest des Sudans nicht. Also, da gibt es noch genügend Druck und Potential auch, um auf die sudanesische Regierung einzuwirken. Aber es muss schnell gehen, es muss schnell gehen.
Wiese: Frau Wieczorek-Zeul, Sie gelten als SPD-Linke, das ist ja nicht unbekannt. Möglicherweise haben Sie es da in einer Großen Koalition mit all ihren Zwängen zur parteipolitischen Rücksichtnahme besonders schwer. Fühlen Sie sich gemeinsam vielleicht mit dem linken SPD-Flügel und als Entwicklungsministerin in dieser Regierung, in dieser Koalition noch gut aufgehoben?
Wieczorek-Zeul: Also, die Frage ist immer, was möchte man in einer solchen Koalition durchsetzen. Ich habe eben, glaube ich, aus dem, was ich gesagt habe, deutlich gemacht: Es gibt so wichtige Aufgaben, die wir alle in dieser Koalition und auch in dieser Legislaturperiode lösen können und lösen müssen, dass alles, was mal Streit und Konflikt ausmacht, aus meiner Sicht dann immer auch zurück stehen muss.
Denn wenn wir das schaffen würden, was wir jetzt hier skizziert haben, dann hätten wir als Große Koalition in diesem Bereich einen Beitrag zu einer gerechteren Welt geschaffen und damit auch zu einer friedlicheren Welt, und wir hätten einen Riesenschritt voran gemacht. Und da ist eine breitere parlamentarische Basis in einer Großen Koalition sicher sogar von Vorteil.
Heidemarie Wieczorek-Zeul: Zunächst mal möchte ich sagen, wie sehr das Engagement der zivilen Wiederaufbauhelfer und Entwicklungshelfer in Afghanistan hochzuschätzen ist. Der Herr Rübling von der Deutschen Welthungerhilfe hat ohne Bewaffnung seine Arbeit geleistet, er hat selbstlos den Menschen dort helfen wollen. Und wir drängen darauf, dass die afghanische Regierung alles tut, um die Mörder wirklich ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Und deshalb noch einmal meinen Dank an alle die, die in Afghanistan diesen zivilen Wiederaufbau leisten.
Es ist eine Riesen-Wiederaufbauleistung in Afghanistan im Gang, die wird nur im öffentlichen Bewusstsein nie in dem Maße wahrgenommen. Afghanistan ist das Land, das das höchste Maß an Entwicklungsmitteln von der Bundesrepublik erfährt im Vergleich zu allen anderen unserer Partnerländer – 100 Millionen. Es geht nicht um eine militärische Auseinandersetzung dort, sondern es geht um den Wiederaufbau, um den politischen, den sozialen, den wirtschaftlichen Wiederaufbau, die Herstellung von Zivilgesellschaft, und es geht darum, das auch militärisch abzusichern.
Wiese: Ja, aber das scheint ja nicht zu funktionieren, wie wir es jetzt an diesem traurigen Beispiel wieder erlebt haben. Der Tornado-Einsatz ist beschlossen worden, es werden auch immer mehr zusätzliche Soldaten zumindest in den Süden des Landes geschickt, und trotzdem immer wieder diese Zwischenfälle. Droht nicht eine Irakisierung des Landes?
Wieczorek-Zeul: Also, ich halte solche Vergleiche schon deshalb für völlig unzulässig, weil es völlig unterschiedliche Ausgangssituationen sind und weil das dem Land auch nicht gerecht wird. In Afghanistan gibt es einen Auftrag der Internationalen Gemeinschaft, auch der Vereinten Nationen, zum politischen Wiederaufbau, auch zur militärischen Seite. Und das ist etwas völlig anderes, als diese Situation zu vergleichen mit einem Land wie dem Irak, wo es einen Angriffskrieg durch die USA gegeben hat.
Wiese: Sie stehen also ohne Wenn und Aber hinter dem Tornado-Einsatz, also hinter der militärischen Absicherung der zivilen Leistungen in Afghanistan?
Wieczorek-Zeul: Der Auftrag im Jahr 2001 war einerseits dieser politische Auftrag, der durch ISAF abgesichert wird, aber er war auch der Auftrag des Engagements gegen Terrorismus - und auch das militärische Vorgehen notfalls gegen Terroristen. Und in dieser Bindungswirkung sehe ich mich. Ich habe damals der Regierung angehört und habe diesen Beschluss mitgetragen.
Wiese: Und trotzdem werden auch angesichts dieses Mordes jetzt wieder die Stimmen lauter, die nach einem Strategiewechsel rufen. Die sagen: Weniger militärischer Einsatz, mehr ziviler Aufbau – bis hin zu einem Ende des Bundeswehreinsatzes. Was sagen Sie dazu?
Wieczorek-Zeul: Na ja, also, der Strategiewechsel, für den haben wir uns ja sehr eingesetzt innerhalb der NATO, nämlich wegzukommen davon – so zu sagen nur auf das Militär zu setzen, wie das die amerikanische Seite ja zum Teil gemacht hat und dabei eben auch Zivilisten zu gefährden und auch die Menschen gegen sich aufzubringen.
Also, dieser Strategiewechsel, der muss ja jetzt auch Wirkung zeigen. Und infolge dessen denke ich, wäre es das absolut falsche Signal, auch ein Signal, dass man den Kampf aufgibt. Und das würde in der afghanischen Bevölkerung auch niemand verstehen.
Wiese: Nun beginnt morgen in Bonn ein zweitägiges informelles Treffen der EU-Entwicklungsministerinnen und –minister unter Ihrer Leitung, denn Deutschland hat ja derzeit bekanntlich nicht nur die EU-Präsidentschaft inne, sondern auch die der G8-Staaten. Ist solch ein Treffen mehr als eine Expertenversammlung? Bietet es auch die Chance, Entwicklungspolitik zu erklären, sie populärer zu machen?
Wieczorek-Zeul: Das Treffen, das auf dem Petersberg bei Bonn stattfindet, führt zum ersten Mal europäische Entwicklungsminister und –ministerinnen und Vertreter der afrikanisch-karibisch-pazifischen Staaten zusammen. Und da geht es vor allen Dingen auch darum, im Hinblick auf das, was die Europäische Union plant an Abkommen mit diesen Staaten, ein Stück wechselseitiges Verständnis zu schaffen.
Das sind immer sehr komplizierte Vertragselemente, die da diskutiert werden, aber im Kern geht es eigentlich um die Frage: Wie können wir dazu beitragen, dass diese Staaten – zumal auch die afrikanischen – von den Vorteilen der Globalisierung auch profitieren können, und wie können wir dazu beitragen, dass das entwicklungsförderlich für sie auch gelingt?
Wiese: Sie haben jetzt schon ein Stichwort gesagt, mehrfach hatten Sie schon zuvor erklärt, die deutsche Doppelpräsidentschaft nutzen zu wollen, um Afrika in den entwicklungspolitischen Mittelpunkt zu stellen. Warum gerade Afrika, warum nicht Asien, warum nicht Lateinamerika, wo doch die Probleme möglicherweise nicht geringer sind?
Wieczorek-Zeul: Afrika ist unser Nachbarkontinent, jeder sieht und spürt das auch, wenn man die Flüchtlinge sieht, die von Marokko aus nach Europa kommen. Afrika ist im wahrsten Sinne des Wortes uns nahe, und die Probleme – wie gesagt – werden uns auch erreichen, wenn wir nicht dazu beitragen, sie vor Ort zu lösen. Und ich möchte auch mit dazu beitragen, den Blick auf Afrika zu verändern, denn wir nehmen normalerweise Afrika als Kontinent von Krisen, Katastrophen, von Kriegen wahr.
Und die Wahrheit ist: Afrika hat sich sehr positiv in einer Reihe von Staaten und auch insgesamt entwickelt, und zwar insofern, als sie eigentlich den Versuch machen, mit der Afrikanischen Union und den einzelnen Einrichtungen – Menschenrechtsgerichtshof, afrikanisches Parlament – im Grunde regionale Kooperation in einem Kontinent, so ähnlich wie das in Europa der Fall ist, zu organisieren und auch die Probleme mit Friedensmissionen selber auf ihrem eigenen Kontinent zu regeln. Oft nicht schnell genug, wie wir das wünschen würden, auch wie ich das wünsche, aber man muss diesen Prozess doch auch anerkennen. Das ist der eine Punkt.
Und der zweite Punkt: Afrika hat durchschnittliche Wachstumsraten in den letzten Jahren von teilweise über fünf Prozent, und zwar unabhängig von der Frage, dass es ölfördernde Länder gibt. Und das macht einfach deutlich: Da ist die wirtschaftliche Entwicklung vorangekommen. Und das Allerwichtigste ist, dass sie tatsächlich auch die Armen in diesen Ländern erreicht. Und das ist auch ein Teil unserer Zusammenarbeit.
Wiese: Aber dann stellt sich mir die Frage: Was ist denn überhaupt das Ziel von Entwicklungspolitik? Geht es darum, vor dem Hintergrund dessen, was Sie gerade gesagt haben, aus den Entwicklungsländern, zum Beispiel in Afrika, Industrieländer zu machen und damit auch alle Probleme, die die Industrieländer jetzt schon verursachen, zu multiplizieren - also zum Beispiel den Klimawandel durch noch mehr CO2-Ausstoß noch mehr zu verschärfen?
Wieczorek-Zeul: Na ja, jedes Land ist souverän. Wir wollen auch nicht, dass uns etwas vorgeschrieben wird. Wir können keinem Land vorschreiben, wie es seinen Entwicklungsweg wählen will, das ist sicher richtig. Aber gerade die afrikanischen Länder diskutieren mit uns gemeinsam auch die Frage – diese Länder, zumal die afrikanischen Länder, fast alle Entwicklungsländer, sind diejenigen, die betroffen sind vom Klimawandel und die dramatisch von ihm betroffen sein werden, ohne dass sie ihn selbst verantwortet haben, und die im Grunde auch erwarten, dass es ein Stück Hilfe und Unterstützung in diesem Prozess gibt.
Was meine ich damit? Also, der gesamte Stromverbrauch des afrikanischen Kontinents ist kleiner als der Deutschlands, nur um mal ein Beispiel zu geben. Und alle Berichte der UN sagen uns, dass es in diesen Partnerländern sein kann, dass es Einkommenseinbußen bis zu 30 oder 40 Prozent in diesen Ländern geben wird, wenn der Klimawandel sich so fortsetzt. Das heißt, es gibt auch ein gemeinsames Interesse an einer europäisch-afrikanischen Energiepartnerschaft, die das überwindet, was Sie angesprochen haben, die eben auf erneuerbare Energien setzt. Und da ist in Afrika eigentlich die Voraussetzung ja auch ideal. In Kenia gibt es die Geothermie, gerade im südlichen Afrika sind die Möglichkeiten für Solarenergie in größerem Umfang eigentlich gegeben. Bisher wird ja noch sehr stark auf Biomasse etwa gesetzt. Und es gibt einen Teil afrikanischer Länder, die ölfördernd sind.
Also, wir wollen gerade diese Partnerschaft so gestalten, dass sie wirklich wechselseitiges Interesse aufgreift, dass sie nicht die Fehler macht, die die Industrieländer bei uns gemacht haben. Aber sie werden natürlich auch nicht akzeptieren, dass wir ihnen sagen: Die Fehler, die wir gemacht haben, dürft Ihr nicht wiederholen. Sie werden es aus eigenem Antrieb, hoffe ich, auch in dieser Kooperation so sehen, wie ich es eben skizziert habe.
Wiese: Lassen Sie mich da nachhaken. Es geht also nicht darum, jetzt etwa Südafrika so zu mobilisieren, mit Autos zu bestücken, wie es zum Beispiel in Europa der Fall ist – oder wenn, dann mit Kraftfahrzeugen, die schon klimafreundlicher sind?
Wieczorek-Zeul: Das sollte das Ziel auch in einer solchen Zusammenarbeit sein, setzt aber auch voraus, dass man das Gespräch dazu führt. Denn, wie gesagt, wer nach Europa oder sogar in die USA fliegt, der wird sagen: Ja, was da existiert, wollen auch wir haben als Chance. Und wir müssen noch einmal deutlich machen: Wenn wir heute nicht gemeinsam handeln, werden sich die Klimakatastrophen dramatisch für uns auswirken, aber natürlich auch dramatisch für diese Länder.
Wir haben ja alle Einschätzungen, dass zum Beispiel Malaria dramatisch zunehmen wird, dass die Konsequenzen auch in den Ländern selber dramatisch werden. Zum Beispiel schätzt man, dass es bis zu 200 Millionen Flüchtlinge geben kann, wenn Hunger dort ausbricht, wenn Ernten ausbleiben, wenn Katastrophen dort durch den Klimawandel verstärkt werden. Und insofern gibt es ein gemeinsames Interesse daran, dass wir den Anpassungsprozess mit unterstützen, auch den notwendigen Veränderungsprozess, den sie auch – bezogen auf die Energie – brauchen, wenn sie aus der Armut herauskommen wollen. Und das kann nur mit dem Aspekt erneuerbarer Energien und Energieeffizienz gelingen.
Und das ist hervorragend, denn das ist der Schwerpunkt, weil eben Deutschland dabei große Chancen, große Exportchancen hat. Also, es gibt ein gemeinsames Interesse. Es geht aber auch darum, das will ich auch nochmal sagen, dass natürlich auch nachhaltige Investitionen in Afrika verwirklicht werden. Denn erstens werden wir die Ziele, die Armut zu bekämpfen, dazu beizutragen, dass alle Kinder bis zum 14. Lebensjahr in die Schule gehen, um nur zwei davon zu nennen, die werden wir nicht erreichen nur durch die Mittel der Entwicklungszusammenarbeit.
Sondern wir brauchen auch Investitionen, die Wachstum dort generieren, und zwar ausländische, aber auch heimische, zum Beispiel dadurch, dass wir fördern Micro-Finanzfonds, um dazu beizutragen, dass gerade auch arme Menschen, zumal Frauen, gute Chancen haben, ihre eigene Existenz zu gestalten. Und deshalb nochmal: Entwicklungszusammenarbeit heißt, in diesen Ländern dazu beizutragen, Hilfe zur Selbsthilfe und die eigene Entwicklung entscheiden zu können.
Wiese: Bleiben wir beim entwicklungspolitischen Schwerpunkt Afrika zunächst, Frau Wieczorek-Zeul. Nirgendwo auf der Welt ist die HIV-Infektionsrate so hoch wie im südliche Afrika. Wie kann Entwicklungspolitik dazu beitragen, dass sich dort keine Aidspandemie entwickelt, wenn sie sich nicht schon entwickelt hat.
Wieczorek-Zeul: Die hat sich entwickelt. Wir haben als Regierung ja einen Aktionsplan zur Bekämpfung von HIV/Aids beschlossen im Kabinett. Und wir haben in diesem Bericht noch mal deutlich gemacht: Es ist mittlerweile so, dass weltweit, das ist ja nicht nur Afrika, 40 Millionen Menschen infiziert sind, dass im letzten Jahr drei Millionen Menschen an HIV/Aids gestorben sind, dass es im südlichen Afrika so viele Aids-Waise gibt, wie in Deutschland Kinder leben – damit man auch das einfach noch mal als Verhältniszahl kennt – und was mich besonders beunruhigt, ist, dass vor allen Dingen Frauen mittlerweile fast mehr als die Hälfte, jedenfalls etwa 60 Prozent mindestens in Afrika südlich der Sahara unter den Infizierten sind.
Das Ziel ist, drastisch dazu beizutragen, Neuinfektionen zu verhindern und den Trend zu stoppen, einmal indem Prävention, Prävention, Prävention praktiziert wird. Das ist auch ein Schwerpunkt unserer Entwicklungszusammenarbeit. Wir sind in etwa 50 Ländern in der Partnerschaft genau in diesem Bereich tätig, Und das heißt auch Zugang zu Kondomen ermöglichen, den Menschen sagen, ihr könnt euch schützen, ihr müsst euch schützen. Aids ist kein Gottesurteil, das von selbst kommt, sondern es ist eben durch unter anderem Geschlechtsverkehr übertragbar.
Und insofern kommt es darauf an, diese Aufklärung zu leisten, Prävention zu leisten, es kommt aber auch darauf an, Zugang zu kostengünstigen Medikamenten zu ermöglichen. Das tun wir in der Zusammenarbeit mit Unternehmen, auch in Afrika. Und das dritte ist, mit dazu beizutragen, dass vor allen Dingen auch die Rolle von Frauen bestärkt wird. Denn man kann sagen, wer die Frauen stärkt, schwächt die Aidspandemie. Und das ist wichtig. Je mehr Frauen auch eigene Rechte haben, je mehr Frauen wirtschaftlich eigenständig sind, um so eher können sie sich auch selbst schützen.
Wiese: Stichwort Rolle der Frau. Ist es nicht so, dass dieses Thema in der bisherigen Entwicklungspolitik ohnehin vernachlässigt worden ist?
Wieczorek-Zeul: Ja, das ist mein Thema seit Anfang an. Weil ich auch weiß, wie wichtig es ist, dass man Frauen stärkt, wie wichtig es ist, dass man Diskriminierungen überwindet, habe ich auch selber einen sehr emotionalen Bezug dazu. Und deshalb ist die Förderung von Frauen in der Entwicklungszusammenarbeit immer für mich eine Frage der Menschenrechte, der Frauenrechte gewesen.
Man muss immer wieder deutlich machen, die Länder, die den Frauen wirtschaftlichen Zugang ermöglichen, haben hohe Wachstumsraten. Die Länder, die die Frauen benachteiligen und aus dem Arbeitsmarkt herausdrängen oder gar nicht zulassen, dass sie ihre eigene Existenz gestalten, die jedenfalls haben schlechtere Wachstumsraten. Und das heißt, Frauen zu benachteiligen ist nicht nur gegen die Menschenrechte und gegen die Rechtsansprüche insgesamt, sondern es ist auch wirtschaftlich und ökonomisch falsch, schädlich und sehr, sehr kurzsichtig.
Wiese: Sie nannten vorhin schon eine der Leitlinien deutscher Entwicklungspolitik. Hilfe zur Selbsthilfe heißt sie. Wäre es nicht eine besonders effektive Hilfe zur Selbsthilfe, wenn die Industrieländer endlich damit aufhörten, ihre eigenen Märkte gegen Waren aus den Entwicklungsländern abzuschotten, oder zum Beispiel ganz unrentable landwirtschaftliche Produkte mit Milliardensummen zu subventionieren?
Wieczorek-Zeul: Sie haben völlig recht. Es geht darum, auch in der noch zu verhandelnden Doha-Runde, in der ja den Entwicklungsländern zugesagt worden ist, dass es eine Entwicklungsrunde wird, sicher zu stellen, dass wirklich die Agrar-Export-Subventionen auslaufen, die ja die Märkte in den Entwicklungsländern kaputt machen, mit dafür zu sorgen, dass die Länder eben bessere Exportchancen selbst auch haben und vor allen Dingen auch mit dazu beizutragen, dass sie davon Gebrauch machen können.
Wiese: Wie weit, Frau Wieczorek-Zeul, ist Deutschland denn eigentlich von dem politischen Ziel entfernt, 0,7 Prozent des Bruttoinlandprodukts für Entwicklungshilfe zur Verfügung zu stellen. Die Bundesregierung könnte die Doppelpräsidentschaft doch nutzen, da mit gutem Beispiel voran zu gehen.
Wieczorek-Zeul: Wir tun das auch. Sie müssen sich vorstellen, als ich als Entwicklungsministerin angefangen habe im Jahre 1998 lag die Vergleichszahl, die in der OECD ja festgelegt wird, bei 0,26 Prozent. Wir sind jetzt bei 0,36 Prozent. Und wir haben uns als Bundesregierung in unserer Koalitionsvereinbarung vorgenommen, bis zum Jahr 2010 0,51 Prozent zu erreichen und bis zum Jahr 2015 0,7 Prozent. Das ist ehrgeizig, aber das Ziel 0,7 war ja den Entwicklungsländern in den 70er Jahren schon versprochen worden.
Was die Altvorderen damals aber nicht gemacht haben, sie haben kein Zeitziel festgelegt, Wir haben jetzt ein Zeitziel festgelegt, und ich werde sehr darauf beharren, dass wir das auch wirklich einlösen. Gerade wer die G8- und EU-Ratspräsidentschaft hat, muss da auch Vorbild sein. Und es muss immer wieder auch erinnert werden, weltweit sind wir in den Rüstungsausgaben wieder wie im heißesten Kalten Krieg bei 1,1 Billion US-Dollar für Rüstung, davon die Hälfte US-Rüstungshaushalt und weltweit praktisch nur ein Zehntel davon, 103 Milliarden US-Dollar, für Entwicklungszusammenarbeit.
Ich bin ganz sicher, wenn wir dieses Gewicht zu Gunsten der Entwicklungszusammenarbeit verschieben, haben wir eine Zukunft, die weniger von Gewalt und weniger Konflikten geprägt ist.
Wiese: Vor zwei Jahren haben die G8-Staaten im schottischen Gleneagles nicht nur ein vergleichsweise umfangreiches Finanzhilfepaket für Afrika beschlossen, sondern auch einen Schuldenerlass für 29 Staaten. Ist ein Schuldenerlass gleichzusetzen mit Entwicklungshilfe?
Wieczorek-Zeul: Aus meiner Sicht ja. Wenn Schulden erlassen werden im Ausgleich dafür, dass die Armut im Land bekämpft wird, heißt das ja, dass in den Haushalten der Partnerländer die Mittel, die sonst für Zins und Tilgungen eingesetzt würden, dann auch für Bildung, für Gesundheit, für Aids-Bekämpfung eingesetzt werden kann. Und deshalb ist aus meiner Sicht auch ein Schuldenerlass ein entwicklungspolitisch sinnvolles Instrument.
Übrigens, dieser Schuldenerlass, der in Gleneagles beschlossen worden ist, der im Umfang von 55 Milliarden US-Dollar war, den haben wir umgesetzt in den internationalen Finanzinstitutionen in der Weltbank und IBF. Das ist eingelöst. Was noch nicht eingelöst ist, in Gleneagles ist vereinbart worden, dass man bis zum Jahr 2010 die Mittel der Entwicklungszusammenarbeit für Afrika verdoppeln will. Und da muss jetzt sehr genau gesehen werden, wie die einzelnen Schritte der Beteiligten dann auch sind.
Wiese: Nun gibt es ja auch immer wieder Bestrebungen, Militäreinsätze – nicht nur Schuldenerlass, sondern Militäreinsätze – als Entwicklungshilfe zu deklarieren und so die sogenannte ODA-Quote, das ist also der Entwicklungshilfeanteil am Bruttoinlandsprodukt, die berühmten 0,7 Prozent, nach oben zu treiben. Das hatten zum Beispiel schon beim Kongoeinsatz der Bundeswehr einige Unionsabgeordnete gefordert. Was halten sie davon?
Wieczorek-Zeul: Also, die Kriterien für das, was als Official Development Assistance, also als offizielle Entwicklungszusammenarbeit der Staaten bewertet werden kann, wird in der OECD einstimmig festgelegt. Und der Kongoeinsatz war richtig und wichtig. Ich habe mich sehr frühzeitig für ihn eingesetzt, damit eben ein Bürgerkrieg verhindert werden kann. Aber es ist eben keine Entwicklungszusammenarbeit.
Und ich bin dafür, dass es auch mal eine Auflistung gibt, welches sind eigentlich die Länder, die Friedenseinsätze in welchem Umfang und auch mit welchen finanziellen Lasten betreiben und unterstützen. Das ja, aber es ist eben keine Entwicklungszusammenarbeit und infolgedessen kann es da auch nicht gerechnet werden.
Wiese: Wie stehen sie zu einem Militäreinsatz in Dafour im Sudan, um dort das Morden endlich zu beenden? Auch das wird ja immer wieder gefordert.
Wieczorek-Zeul: Man muss da jetzt unterscheiden. Ohne die UN– und Afrikanische Union–Mission in Dafour voranzubringen, wird das Morden nicht beendet werden. Und da muss man sich noch mal daran erinnern. Die UN hat ja einen entsprechenden Beschluss gefasst im Sicherheitsrat. Er soll zusammen mit der Afrikanischen Union vorangebracht werden, und das würde etwa 17000 Soldaten bedeuten. Die sollten aus meiner Sicht – und ich glaube, das versteht auch jeder – eher aus afrikanischen, dann auch islamischen, arabischen Ländern kommen und nicht von den Europäern gestellt werden.
Aber eines ist auch klar: Ohne diese Truppe werden die Menschen nicht geschützt werden können. Und es ist von Beginn an einer meiner Punkte gewesen, dass ich gesagt habe, wir können doch nicht der Vertreibung und der Ermordung von mehreren Hunderttausenden Menschen zusehen, und auch da wieder die Frauen, die besonders vergewaltigt werden, die für ihr Leben gezeichnet sind durch die Gewalttaten, die ihnen gegenüber ausgeübt werden. Da dürfen wir nicht zusehen und können das auch nicht zulassen.
Das heißt, ich dränge darauf, dass es endlich wirkliche Sanktionen gegenüber der sudanesischen Regierung gibt, damit sie die Soldaten dann auch tatsächlich ins Land lässt. Und ich finde es immer noch einen absoluten Skandal, dass es nur ein Waffenembargo gegenüber Dafour gibt aber für den Rest des Sudans nicht. Also, da gibt es noch genügend Druck und Potential auch, um auf die sudanesische Regierung einzuwirken. Aber es muss schnell gehen, es muss schnell gehen.
Wiese: Frau Wieczorek-Zeul, Sie gelten als SPD-Linke, das ist ja nicht unbekannt. Möglicherweise haben Sie es da in einer Großen Koalition mit all ihren Zwängen zur parteipolitischen Rücksichtnahme besonders schwer. Fühlen Sie sich gemeinsam vielleicht mit dem linken SPD-Flügel und als Entwicklungsministerin in dieser Regierung, in dieser Koalition noch gut aufgehoben?
Wieczorek-Zeul: Also, die Frage ist immer, was möchte man in einer solchen Koalition durchsetzen. Ich habe eben, glaube ich, aus dem, was ich gesagt habe, deutlich gemacht: Es gibt so wichtige Aufgaben, die wir alle in dieser Koalition und auch in dieser Legislaturperiode lösen können und lösen müssen, dass alles, was mal Streit und Konflikt ausmacht, aus meiner Sicht dann immer auch zurück stehen muss.
Denn wenn wir das schaffen würden, was wir jetzt hier skizziert haben, dann hätten wir als Große Koalition in diesem Bereich einen Beitrag zu einer gerechteren Welt geschaffen und damit auch zu einer friedlicheren Welt, und wir hätten einen Riesenschritt voran gemacht. Und da ist eine breitere parlamentarische Basis in einer Großen Koalition sicher sogar von Vorteil.