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Wieder Kind werden

Kindersoldaten in Uganda werden zu schier unglaublichen Gräueltaten gezwungen. Der Film "Lost Children" dokumentiert das und zeigt natürlich auch Bilder. Aber die schlimmsten Bilder entstehen, wenn die Kinder erzählen, bei den Zuschauern im Kopf.

Von Josef Schnelle |
    " Sie haben uns Macheten gegeben und gesagt: Hackt die Menschen in Stücke - so klein, dass eine Fliege sie wegtragen kann. Also gingen wir los und wir hackten sie klein. "

    Das erzählt Francis, 12 Jahre - ein ehemaliger Kindersoldat, in Gulu, einem Camp in Norduganda, in dem er mit hunderten anderer Kinder von Mitarbeitern der Caritas resozialisiert wird. Eine von vielen grausamen Geschichten, die die Kinder in diesem Film erzählen. Manche sind schon als fünf- oder sechsjährige von den Marodeuren der "Lords Resistance Army" geraubt worden, um ihnen als Kanonenfutter, Sklaven und Vollstrecker von Grausamkeiten zu dienen. Wer sich weigert, hat kaum Chancen, zu überleben. Also tun die meisten, was ihnen befohlen wird und hoffen darauf, dass sie irgendwann fliehen können. Wenn sie dann in einem Camp wie dem der Caritas Gulu auftauchen, sind sie schwer traumatisiert - als Täter und als Opfer. Die beiden deutschen Filmemacher Oliver Storz und Ali Samadi Ahadi wollten versuchen, die weitgehend unbekannte Geschichte der Kindersoldaten von Uganda in einem aufrüttelnden Dokumentarfilm zu erzählen. Das Camp liegt mitten im Rebellengebiet und wird immer wieder überfallen. Ali Samadi Ahadi erzählt, wie die Filmemacher sich das Vertrauen der "Verlorenen Kinder" erarbeitet haben.

    " Es war uns klar, dass es ganz schwierig wird mit den Kindern in Verbindung zu kommen. Wir haben nicht dieselbe Sprache gesprochen. Sie sind sehr früh geraubt worden. D.h. sie konnten kein Englisch und wir konnten kein Acholi. Und da haben Oliver und ich beschlossen zwei Wochen vorher anzureisen und wir haben angefangen mit denen zu leben. Wir haben dasselbe Essen gegessen, dieselben Tänze getanzt und mit ihnen gespielt. Plötzlich waren wir Freunde und nicht mehr weiße Ausländer, weiße Fremde. Als wir dann angefangen haben mit den Dreharbeiten haben die nicht mehr den Weißen Mann mit der Kamera gesehen sondern den Ali mit der Kamera. "

    Auf diese Weise ist es den beiden Regisseuren gelungen, den beeindruckensten deutschen Dokumentarfilm des Jahres zu drehen. Er hält sich nämlich nicht ausschließlich an die grausamen Geschichten aus dem Herzen der Finsternis, die diese Kinder zu berichten haben. Der Film erzählt auch von der Hoffnung und Kraft, die die Sozialarbeiter des Camps in ihre Arbeit investieren. Schritt für Schritt versuchen sie die Kinder in ein normales Leben in der Clans-Gesellschaft zurück zu führen. Und so ist einer der Höhepunkte des Films der Moment, in dem eine Mutter wieder mit ihrem Kind zusammen geführt wird. Das Mädchen hat von Taten erzählt, die aus dem Inferno Dantes stammen könnten. Die Mutter aber nimmt die inzwischen groß gewachsene Tochter einfach auf den Arm und schleppt sie jubilierend davon. Und aus der Mörderin wird in diesem ergreifenden Augenblick wieder ein Kind - mit einem vor Glück strahlendem Gesicht. Das sind die Momente für die die Sozialarbeiter leben. Sie sind die eigentlichen Helden dieses Films mit ihrem unerschütterlichen Glauben an eine friedliche Zukunft, für die sie die "Lost Children" zu retten versuchen. Von dem Film erhofft sich John Bosco Komakech Aludi, Chef des Projektes und zum Filmstart in Deutschland, nicht weniger als einen Wendepunkt in der Geschichte seines Landes.

    " Meine Hoffnung ist, dass der Film dazu beiträgt, dass die Welt endlich von dem stillen Krieg und seiner Grausamkeit erfährt, der im Norden Ugandas geführt wird. Viele Menschen werden getötet. Und es gibt Konzentrationslager. "

    Auch die Filmemacher sind sich sicher, nicht nur einen guten Film gemacht zu haben, der ein großes Publikum verdient. Bei ihrer Promotour durch Deutschland haben sie außerdem stets bekannte - für Entwicklungspolitik zuständige - Politiker eingeladen. Auch wir in Deutschland können, abgesehen von Spenden für das Resozialisierungsprojekt, etwas tun für die Zukunft der Kinder in Uganda meint Regisseur Ali Samadi Ahadi.

    " Die Bundesregierung gibt 30 Millionen an Uganda als Entwicklungshilfe. Daran sind keine Bedingungen geknüpft. Die Ugandische Regierung macht keine Bestrebungen, Friedensgespräche mit den Rebellen zu führen. Wir sagen: das sollte eine Bedingung für die Hilfe sein. "

    Wenige Tage nach dem Ende der Dreharbeiten wurde das Camp einmal mehr überfallen, eine der Sozialarbeiterinnen und hunderte von Kindern wurden entführt. Nur mit viel Glück konnte Grace Arach nach einer Nacht voller Schrecken entkommen. Auch sie ist bei der Tour durch Deutschland dabei und will dem Film und ihrem Projekt zum Erfolg verhelfen. Sie träumt sagt sie mit den Kindern gemeinsam einen Traum - es ist ein Traum vom Frieden.