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Wieder würdig

Stefan Zweig, Bruno Bettelheim, Alfons Rothschild und 29 andere, allerdings meist unbekannte, auch biografisch schwer erforschbare Personen stehen auf einer 1941 verfaßten Liste. Ihre Namen sollten im Deutschen Reichsanzeiger veröffentlicht werden. Die meisten von ihnen waren Juden. Sie hatten an der Universität Wien promoviert und befanden sich nun zum größten Teil im Exil. Seit 1939 bestand die Möglichkeit, ihnen den akademischen Grad, in diesen Fällen ihre Doktortitel, abzuerkennen. Doch bevor das möglich war, musste ihnen in einem ersten Schritt die deutsche Staatsbürgerschaft genommen werden. Es klingt heute wie ein kleines, untergeordnetes Kapitel gehäßiger Bürokratie des NS-Staats, das nun wieder auftaucht und seit über 60 Jahren im Archiv der Wiener Universität schlummerte. Dann kam es plötzlich zum Vorschein, wurde im letzten Jahr vom Rektor prompt behandelt und stellt trotz der anberaumten Gedenkfeier für die Opfer und einem Senatsbeschluß, der sämtliche Aberkennungen von akademischen Graden aus "politischen Gründen" hinfällig werden lässt, noch immer sehr viele Fragen. Da gibt es auf der Liste der Rehabilitierten etwa den Namen Heinrich Prochaska, ein Homosexueller und allein deshalb Verfolgter. Ihm versuchte die Universität zweimal den Titel zu nehmen: 1941 das erste Mal, aber dann, 1953, sollte er ihn ein zweites Mal verlieren. Bis 1971 war Homosexualität in Österreich strafbar und Anlaß für die Universitäten einen Absolventen als eines Doktortitels "nicht würdig" zu betrachten. Prochaska bekam 1981 seinen Titel wieder - er wollte ihn unbedingt haben, er war schon 84 Jahre alt. Herbert Posch vom Institut für Zeitgeschichte.

Von Walter Kittel |
    Darüber hinaus regelt der Senatsbeschluß nicht, was mit Aberkennungen nach ´45 bis 1971 ist, wie mit diesen Doktoraten umgegangen wird. Im Falle der Homosexualität gab es diesen Straftatbestand in der Republik, im Austrofaschismus, im Nationalsozialismus, in der zweiten Republik bis 1971. Es war kein spezielles NS-Sonderrecht, das erst im Nationalsozialismus eingeführt wäre.

    Was ist eigentlich los an der Universität Wien, werden sich manche fragen. Weshalb rehabilitieren sie nicht alle Opfergruppen? Der Grund: es war bis vor kurzem gar nicht absehbar, dass neben Stefan Zweig oder Bruno Bettelheim auf der 1941 verfaßten Liste auch ein Homosexueller stand oder ein jüdischer Arzt, der wegen einer Abtreibung verurteilt wurde. Auch nach ´45 war beides noch strafbar. Auch nach ´45 wurde die Universität aktiv, wenn ihr entsprechendes gemeldet wurde. Vieles lag im Ermessen des Rektors und der Dekane. Was erzählen uns heute Listen, wie die zuletzt aufgefundene mit Stefan Zweig? Zunächst, dass die Auswahl der Betroffenen sehr willkürlich erscheint. Ein prominenter Exilant neben gänzlich unbekannten Akademikern, ein homosexueller Österreicher neben Juden, auch die Fakultäten oder Promotionsdaten lassen keinerlei Systematik in dem Schriftstück erkennen. Es war bloß einer von wahrscheinlich vielen Briefen des Rektors der Universität Wien an den Deutschen Reichsanzeiger mit dem Hinweis, die Namen der "Entehrten" zu publizieren. Bisher gibt es bei einer Reihe strafrechtlicher Tatbestände, zu denen auch der Verstoß gegen das Abtreibungsverbot zählt, keine generellen Regelungen, wie heute die Universität mit diesen Fällen umgehen soll. Friedrich Stadler und sein Team vom Institut für Zeitgeschichte sprachen nur Empfehlungen aus.

    Ich glaube, dass dieser Beschluß, also unsere Empfehlung abgedeckt ist durch den Senatsbeschluß, wir haben das auch argumentiert. Aber zum damaligen Zeitpunkt hatte man sicherlich nicht gewusst, nachdem das nicht recherchiert wurde. Und vier Personen wegen sogenanntem strafrechtlichem Tatbestand, wusste niemand im Senat, was das hieß. Oder wie die NS-Diktion ist, wegen Kerkerstrafen. Und ursprünglich war aus politischen Gründen im weitesten Sinn gemeint, also Gegnerschaft zum NS und Widerstand prinzipiell.

    Der Blick auf die deutschen Universitäten zeigt, dass hier nicht anders verfahren wurde. Auch in Berlin, Heidelberg, Tübingen oder Bonn arbeitet man die Geschichte etappenweise auf. An der Universität Bonn fand im Jahr 2000 eine Tagung deutscher Hochschularchivare zu dem Thema statt. Das Fazit lautete: längst noch nicht alles sei erfasst, bewertet und aufgearbeitet worden. Doch bereits Weihnachten 1946 eilte der Bonner Rektor, Thomas Mann den 1936 aberkannten Ehrendoktortitel wiederzuverleihen.