Wenn die kleine Global City in diesen Wochen eine neuerliche Rekonstruktionsdebatte erlebt, geschieht dies kaum mit Blick auf die Kontroverse um den Neubau des Berliner Stadtschlosses. Überhaupt können die gesamtdeutschen Phantomschmerzen, wie sie sich in der Hauptstadt äußern, keinen Schaden in der ehemaligen freien Reichsstadt anrichten. Anders auch als in Berlin-Mitte, wo so gut wie keine Reste vorhanden sind, mit denen sich ein Neubau (geschweige denn ein Wiederaufbau) begründen ließe, stehen dem Frankfurter tatsächlich Gebäudeteile vor Augen. Sowohl das Thurn- und Taxis-Palais als auch der Portikus der ehemaligen Stadtbibliothek, das Palais eine barocke Hinterlassenschaft, der Portikus ein spätklassizistisches Erbe: sowohl Palais als auch Portikus sind als Objekte einer begierigen Rekonstruktionssucht entdeckt worden. Barockfaible und Klassizismusbewunderung fallen in eine Epoche, in der die Akteure des Stadtumbaus, Bauherrn und Investoren, Architekten und Magistrat, eine neue Gründerzeit herbeisehnen.
Die Macht der sepiafarbenen Bilder war zu groß, als dass es noch einen Halt gegeben hätte. Doch anders als in Berlin wird die Frankfurter Debatte nicht durch eine politisch und historisch fahrlässige Symbolpolitik aufgeladen. Der Frankfurter Retrogeist hat sich bisher nicht, wie in Berlin, von einem geschichtspolitischen Normalisierungsfuror anstecken lassen, das ist gewiss. Sicher ist aber auch, dass sich in beiden Fällen, bei dem Ausbau des Barockpalais genauso wie bei dem Wiederaufbau der klassizistischen Bibliothek eine enorme Traditionsseligkeit artikuliert. Es war der große Architekt Rudolf Schwarz, der bei der Wiederherstellung der durch den Bombenkrieg zerstörten Frankfurter Paulskirche eine konservierende Rekonstruktion genauso entschieden abgelehnt hatte wie eine restaurierende. Allein eine interpretierende Rekonstruktion erschien Schwarz denkbar – schon aus Gründen der historischen Aufrichtigkeit. Nur eine interpretierende Wiederherstellung halte die ungeheure Verlusterfahrung wach, so Schwarz, als er sich Ende der vierziger Jahre an die Arbeit machte.
Die jetzt vorgelegten Entwürfe für das Thurn- und Taxis Palais und die Stadtbibliothek, denen der Sinn nach einer 1:1-Wiederherstellung steht, ignorieren ausgerechnet diesen Gedanken der Verlusterfahrung. Sie mißachten ihn, von heute aus gesehen, politisch, historisch, psychologisch – in einem umfassenden Sinne also mentalitätsgeschichtlich. Hinzu kommt, dass das sepiagetönte Augenmerk für die architektonische Vormoderne mit einer entschlossenen Ignoranz für die Bauten der fünfziger und sechziger Jahre einhergeht. Während sich das Ferngedächtnis intensiv um den Erhalt und den Wiederaufbau barocker und klassizistischer Hinterlassenschaften kümmert, streicht der ökonomisch motivierte Veränderungsdruck die Nachkriegsmoderne aus dem Bild der Stadt.
Schon sind in den letzten Monaten das berühmte Zürich-Hochhaus und das Allianz-Gebäude einer neuen Gründerzeit zum Opfer gefallen. Folgen wird bald auch das Hochtief-Gebäude und das Fernmelde-Hochhaus, wie auch der eine oder andere architektonische Zeuge aus der Wiederaufbauphase dieser Republik. Gerade rund um das Thurn- und Taxis-Palais wird sich Frankfurt in den nächsten Jahren vollkommen verändern, so dass man dort die Archäologen auf die Spuren der Nachkriegszeit wird setzen müssen. Das Interesse an der Tradition bewegt sich einmal mehr durch die Stadt wie durch einen Steinbruch. Die Mentalität, von der Rekonstruktionseifer und Traditionsseligkeit zehren, besteht nicht zum ersten Mal in einer fatalistischen Haltung gegenüber den Versprechungen einer aggressiven Modernisierung.
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Die Macht der sepiafarbenen Bilder war zu groß, als dass es noch einen Halt gegeben hätte. Doch anders als in Berlin wird die Frankfurter Debatte nicht durch eine politisch und historisch fahrlässige Symbolpolitik aufgeladen. Der Frankfurter Retrogeist hat sich bisher nicht, wie in Berlin, von einem geschichtspolitischen Normalisierungsfuror anstecken lassen, das ist gewiss. Sicher ist aber auch, dass sich in beiden Fällen, bei dem Ausbau des Barockpalais genauso wie bei dem Wiederaufbau der klassizistischen Bibliothek eine enorme Traditionsseligkeit artikuliert. Es war der große Architekt Rudolf Schwarz, der bei der Wiederherstellung der durch den Bombenkrieg zerstörten Frankfurter Paulskirche eine konservierende Rekonstruktion genauso entschieden abgelehnt hatte wie eine restaurierende. Allein eine interpretierende Rekonstruktion erschien Schwarz denkbar – schon aus Gründen der historischen Aufrichtigkeit. Nur eine interpretierende Wiederherstellung halte die ungeheure Verlusterfahrung wach, so Schwarz, als er sich Ende der vierziger Jahre an die Arbeit machte.
Die jetzt vorgelegten Entwürfe für das Thurn- und Taxis Palais und die Stadtbibliothek, denen der Sinn nach einer 1:1-Wiederherstellung steht, ignorieren ausgerechnet diesen Gedanken der Verlusterfahrung. Sie mißachten ihn, von heute aus gesehen, politisch, historisch, psychologisch – in einem umfassenden Sinne also mentalitätsgeschichtlich. Hinzu kommt, dass das sepiagetönte Augenmerk für die architektonische Vormoderne mit einer entschlossenen Ignoranz für die Bauten der fünfziger und sechziger Jahre einhergeht. Während sich das Ferngedächtnis intensiv um den Erhalt und den Wiederaufbau barocker und klassizistischer Hinterlassenschaften kümmert, streicht der ökonomisch motivierte Veränderungsdruck die Nachkriegsmoderne aus dem Bild der Stadt.
Schon sind in den letzten Monaten das berühmte Zürich-Hochhaus und das Allianz-Gebäude einer neuen Gründerzeit zum Opfer gefallen. Folgen wird bald auch das Hochtief-Gebäude und das Fernmelde-Hochhaus, wie auch der eine oder andere architektonische Zeuge aus der Wiederaufbauphase dieser Republik. Gerade rund um das Thurn- und Taxis-Palais wird sich Frankfurt in den nächsten Jahren vollkommen verändern, so dass man dort die Archäologen auf die Spuren der Nachkriegszeit wird setzen müssen. Das Interesse an der Tradition bewegt sich einmal mehr durch die Stadt wie durch einen Steinbruch. Die Mentalität, von der Rekonstruktionseifer und Traditionsseligkeit zehren, besteht nicht zum ersten Mal in einer fatalistischen Haltung gegenüber den Versprechungen einer aggressiven Modernisierung.
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