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Wiedereröffnung des MoMa in New York

Kultur-Presseschau 21. November 2004 Jochen Thies

Zusammengestellt von Jochen Thies |
    "Das MoMA ist zurück in Manhattan, zurück in der Welt, für die Welt – vergrößert, herausfordernd, unersetzbar", schreibt Werner Spies in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Das Museum der Museen hat mit dem Neubau das zustande gebracht, was kein Nebenbuhler erreichen kann: eine beispiellose Verbindung von einzigartiger Sammlung und Präsentation. Mag dieser Kraftakt, den die Trustees in einer schwierigen Zeit zu Ende führen mussten, auch durch die expansionistische Politik des Kontrahenten Guggenheim provoziert worden sein, was erreicht wurde, übersteigt auf glückliche Weise den merkantilen Zirkus, den die heute übliche Legierung aus Sponsoring, Kunst- und Kuhhandel anbietet. Denn bei aller Sorgfalt, die dem umworbenen Besucher gilt, im Mittelpunkt steht nicht die Unterhaltung, sondern die Versuchung zur Anstrengung, zum Begriff. Hier findet der Kampf um Wertungen statt, die auch außerhalb dieser Mauern zu gelten haben".

    Gabriele Walde befasst sich in der Welt mit dem Bau des japanischen Architekten Yoshio Taniguchi. Sie schreibt: "Die Pointe: der neue MoMA-Komplex ist so wie sein Architekt: dezent und zurückhaltend. Wer das alte Gebäude in der 53. Straße nicht kennt, wird am neuen vorbeigehen. Das MoMA-Ensemble ist so puristisch und transzendent, so schlicht und licht in seiner Eleganz, dass es fast schon revolutionär ist für US-Verhältnisse. Der Luxus heißt hier Einfachheit der ästhetischen Mittel. Die einzelnen Gebäude haben sich in die New Yorker Hochhauslandschaft eingeschmiegt wie Katzen in Sofaecken, scheinen eins mit den umliegenden Wolkenkratzern in Midtown"

    Gabriele Walde weiter: "Der architektonische Coup: die gläserne, sechsstöckige Architektur ermöglicht von fast allen Etagen, Treppen und Übergängen spektakuläre Durch- und Ausblicke hinaus auf die brodelnden New Yorker Straßenfluchten. Im Haus selbst gibt es über alle Stockwerke schräge Sichtachsen, die zahlreiche Dialoge zwischen den Kunstwerken eröffnen. Barnett Newmans erdschwerer "Broken Obelisk" bringt Matisses "Tanzende" noch stärker zum Schweben. Die wunderbaren "Seerosen" wirken vom dritten Stock aus geradezu ätherisch. So entsteht ein lebendiger Dialog nicht nur zwischen der Kunst, sondern auch dem Besucher, der Stadt und der Architektur".

    Holger Liebs geht in der Süddeutschen Zeitung auf die Geschichte der MoMA-Sammlungen ein. "Der Reigen der Genies: im MoMA wurde der Kanon der Moderne zuerst formuliert – Cézanne ist der Ursprung, Matisse, Picasso und Pollock bilden die Apotheose, Warhol den vorläufigen Schlusspunkt. Dann die Massenkultur: Anfangs nur vorsichtig gesammelt, verwandelte sie sich im Museum bald zur high art, in ausgewählten Design-, Film- oder Fotoexponaten. Es war immer eine Hassliebe, die das MoMA, jenen Hort der Autonomie der Kunst, mit den Ausgeburten der Kulturindustrie und des Massengeschmacks verband: Nur erlesenen Stücke durften dem Club beitreten".

    Holger Liebs fährt fort: "Schließlich aber kamen, in den Sechzigern und Siebzigern, Künstler, die das Genieprinzip über Bord warfen, die Massenkultur umarmten und Prozess und Form an erste Stelle setzten". Das war übrigens die Idee des Gründungsdirektors Alfred H. Barr jun. gewesen. Sein Museum, "das 1939 sein Haus an der 53. Straße bezog, sollte gleichsam als Wartesaal für das Metropolitan Museum of Art dienen; als Spähtrupp der Moderne, das die Kunst der jeweils letzten 50 Jahre zeigen sollte".

    Sebastian Moll fast das bemerkenswerte Ereignis in der Frankfurter Rundschau folgendermaßen zusammen: "So erzählt das MoMA in einer selbstreflexiven Geste eine Geschichte der modernen Kunst und relativiert im gleichen Atemzug deren Geltungsanspruch. Und das passt wahrlich zum Bau von Taniguchi. "Wenn sie sehr viel Geld ausgeben", hatte Taniguchi den MoMA Trustees gesagt, " kann ich die Architektur verschwinden lassen". So entstand ein gigantischer Bau mit knapp 60 000 Quadratmetern Ausstellungsfläche auf sechs Etagen, dessen paradoxe Qualität ist, dass man ihn nicht wahrnimmt".

    "Nicht, dass es in Venedig keine Baustellen mehr gäbe", berichtet Manuel Brug in der Welt. "Der sich neigende Uhrturm an der Piazza San Marco, auf dessen Umhüllung sinnigerweise der schiefe Turm von Pisa prangt, die Ca’ Foscari und der vorsätzlich halb abgebrannte Mulino Stucky auf der Giudecca sind nur die prominentesten Patienten. Doch wenigstens am im Januar 1996 ebenfalls durch Brandstiftung zerstörten Opernhaus La Fenice sind jetzt alle Gerüste gefallen. Im vergangenen Dezember war mit einer Konzertwoche der Zuschauerraum eingeweiht worden. Nun ist der Phönix mit Roberts Carsens Inszenierung von Giuseppe Verdis "La Traviata" auch als voll funktionsfähiges Musiktheater zum wiederholten Mal aus seiner Asche neu erstanden".

    Von einem sehr erfolgreichen Schulversuch war bei den jüngsten Frankfurter Römerberg-Gesprächen die Rede, über die Lorenz Jäger in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung berichtet. Es handelt sich um die Wiesbadener Helene-Lange-Gesamtschule, die in der PISA-Studie einen hervorragenden Platz belegt. Zugleich ist es ein Lehrstück über gesunden Menschenverstand und Pragmatismus im Schulbetrieb. Lorenz Jäger: "Die Unterschiede dieser Schule sind vor allem atmosphärischer Art. Die Klassen behalten den Klassenlehrer über die ganze Dauer ihres Schulbesuchs. Auch die Fachlehrer bleiben den Klassen über den ganzen Zeitraum des Schulbesuchs erhalten. Grundsätzlich finden nur Doppelstunden statt, in denen man sich einem Thema konzentrierter widmen kann. Die Schüler reinigen ihre Schule selbst, das eingesparte Geld wird für Theaterleute von auswärts eingesetzt, die das Schülertheater anleiten. Die Lehrer arbeiten länger als in anderen Schulen…Schwierigkeiten mit der Schulaufsicht konnten nicht ausbleiben, wurden aber offenbar mit Tricks und Charme bewältigt".

    Einen bemerkenswerten Nachruf widmet John le Carré in der Süddeutschen Zeitung dem zu Grabe getragenen Palästinenserführer Yassir Arafat. Der Schriftsteller traf Arafat 1982 beim Unterzeichnen von Schriftstücken in Beirut, umrahmt von seinen Kämpfern. "Für einen Augenblick erinnerte er mich an Charlie Chaplin, wie er ebendies im "Großen Diktator" tat. Sein Körper hatte die Nachgiebigkeit des Ungeübten und die Blässe eines Inhaftierten. Als er mich entdeckte", schreibt John Le Carré weiter – "im Raum herrschte nun Totenstille – erhob er sich, ging auf mich zu und schlang seine Arme um mich in der traditionellen Art, ohne ein Wort zu sagen. Es fiel mir schwer, in ihm den Anführer einer Phalanx von Feinden zu sehen, aber es hat ja schon viele Mörder gegeben, die berühmt waren für ihre Warmherzigkeit, wenn sie gerade nicht im Dienst waren.
    "Herr Vorsitzender, ich bin gekommen, um den Herzschlag der Palästinenser zu fühlen". Er ergriff meine Hand und drückte sie an seine Brust. Mr. David! Hier schlägt es! Hier!" Arafat war nicht nur das Herz der Palästinenser, sondern auch ihr Gesicht". Soweit John le Carré.