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Wiege der Moderne

Vor 80 Jahren wurde in Dessau das Gebäude der von Walter Gropius entworfenen Hochschule für Gestaltung eröffnet. Das Bauhaus, eine Bau-Ikone aus Beton, Glas und Stahl, zu der Architektur-Interessierte aus aller Herren Länder pilgern, wurde in den vergangenen zehn Jahren für 17 Millionen Euro restauriert und zum Jubiläum mitsamt einer historischen Ausstellung neu eröffnet.

Von Carsten Probst | 02.12.2006
    Die Sanierung des Dessauer Bauhauses bot die Gelegenheit, so tief in die Bauhaus-Archäologie einzusteigen, wie bisher bei keinem anderen erhaltenen Hauptwerk der klassisch modernen Architektur. Als Ikone der Moderne schien das berühmte Dessau Lehrgebäude gewissermaßen als zeitloser und zugleich diffuser Inbegriff für alles, was sich an der Moderne feiern oder verdammen ließ. Dabei ist seine Geschichte zunächst einmal ein stehender Widerspruch gegen alle Pauschalurteile, die etwa den Nationalsozialismus als direkten Ausfluss der Moderne betrachten. 1926 von Gropius als exemplarisches Schulgebäude errichtet, wurde es 1932 bereits wieder geschlossen mit dem Verweis auf seinen "undeutschen Baustil", während zeitgleich der Internationale Stil, den Gropius vertrat, in der berühmten MoMA-Ausstellung in New York seinen Durchbruch feiern konnte. Gleichwohl haben zahlreiche Bauhaus-Architekten auch während des Dritten Reiches Aufträge in Nazideutschland ausgeführt und sich den allgemeinen Bedingungen angepasst.

    Bei seinen Entwürfen für das Gebäude griff Gropius wiederum, wie Forschungen inzwischen nachgewiesen haben, auf durchaus traditionelle Elemente zurück, als deren genialischer Eklektizist sich der Bauhaus-Gründer hier ein weiteres Mal erweist. Die Innenraumaufteilung organisiert sich zumindest teilweise nach dem vitruvschen Prinzip des Goldenen Schnittes, und die Proportionen der langgestreckten Aussenfassade bergen in sich angeblich sogar die Triangulatur gothischer Kathedralen, als deren Bewunderer Gropius ganz im Stil der Zeit galt. Wie die experimentellen Architekten der Frühmoderne im Berliner "Arbeitsrat für Kunst" oder der "Gläsernen Kette", zu denen auch die Gebrüder Taut, Hans Scharoun oder so extreme Hyperrealisten wie Hermann Finsterlin oder Wenzel Hablik gehörten, war auch Gropius ein glühender Anhänger der "Kristall-Ästhetik".

    Der Lichtzauber gothischer Glasfenster war für ihn das heroische Beispiel einer europäischen Glasarchitektur, die dann im Kristallpalast bei der Londoner Weltausstellung von 1851 ihre erste moderne Ausprägung erhielt. Heute mag jede Shopping Mall so ähnlich aussehen. Doch Gropius' Dessauer Bauhaus mit seinen riesigen, langgezogenen Fensterfassaden, durch die von allen Seiten die Umgebung ins Haus hineinschien, war das erste Gebäude seiner Art, ein kompakter Prototyp, der eben nicht nur als Solitär, als Ausstellungshalle, sondern gleichsam in Serienproduktion auch als Fabrik - oder eben Schulgebäude genutzt werden konnte und sich optisch jeder Umgebung weltweit anpassen sollte. Die Fülle historischer Bezüge, die Gropius hier auf höchst virtuose Weise amalgamiert hat, lässt ihn aus heutiger Sicht geradezu als postmodern erscheinen. Der Gedanke der "Überall-Verwendbarkeit", der hinter dem Modell Bauhaus stand, folgte durchaus hehren Idealen einer einheitlichen und friedlich vor sich hin produzierenden Weltgesellschaft ohne Heuschrecken und Schurkenstaaten. Genau das freilich führte in den 60er Jahren zur weitreichenden Verdammung des Bauhauses als Quelle aller kapitalistischen Gleichmacherei, als Synonym der globalisierten Weltwirtschaft, die alle Städte weltweit austauschbar aussehen lässt und regionale Unterschiede eindampft.

    Ausgerechnet die DDR machte sich seit den 60er Jahren daran, die Bauhausprinzipien vorsichtig für den Sozialismus zu entdecken. Das im Krieg beschädigte Dessauer Gebäude wurde für DDR-Verhältnisse bis 1976 aufwendig restauriert, während in Westdeutschland alles Moderne verpönt war und Denkmäler wie die Stuttgarter Weißenhof-Siedlung vor sich hingammelten. Nur diesem Engagement ist zu verdanken, die Restaurierung der letzten acht Jahre überhaupt so weitgehend möglich war.

    Besonders gefeiert wird hier die Wiederentdeckung der Farbe unter den zentimeterdicken weißen Wandanstrichen aus DDR-Zeiten. Das Gebäude, das aus historischen Aufnahmen immer nur in Grautönen erscheint, erhält durch die farbige Gestaltung der Treppenhäuser und Schulungsräume eine völlig neue Qualität. Und es sind durchaus keine klassischen Bauhausfarben, sondern abgetönte Blau-, Gelb-, Rot-, Grau- und sogar Violetttöne, die als eine Art Leit- und Informationssystem im Haus angelegt sind. Walter Prigge, Leiter der Bauhaus-Akademie in Dessau, spricht deswegen auch schon nicht mehr von einem funktionalistischen Gebäude, sondern von einem "kommunikativen", was vermutlich die bestmögliche zeitgemäße Interpretation für das Bauhaus in Dessau heute überhaupt ist.

    In der ganzen Stadt stehen inzwischen etliche Gebäude aus der Bauhaus-Zeit der 20er und frühen 30er Jahre, die nach der Wende wieder restauriert wurden. Der in den letzten Jahren neu hinzugekommene Campus rund um die Gropius-Bau haben das arg gebeutelte Stadtbild der ehemaligen Industriestadt binnen kürzester Zeit veredelt, ohne es im Musealen erstarren zu lassen. Nichts wirkt hier eingemottet und historisch angegraut. Das ist, mit dieser ganzen belasteten Geschichte im Hintergrund, fast schon ein kleines Wunder.