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Wieland Wagner 1941 bis 1945
"Es ist nicht wenig, was Hitler für Wagner tut"

Wieland Wagner hat die künstlerische und moralische Erneuerung der Bayreuther Festspiele nach dem Zweiten Weltkrieg entscheidend vorangetrieben. Anno Mungens Biographie über den Wagner-Enkel zeigt aber auch, wie er in jungen Jahren die Nähe zum nationalsozialistischen Machtapparat nutze, um Karriere zu machen.

Von Matthias Nöther | 26.07.2021
Adolf Hitler mit Winifreg Wagner sowie Wieland (rechts) und Wolfgang Wagner (links) im Juli 1938
Adolf Hitler mit Winifred Wagner sowie Wieland (rechts) und Wolfgang Wagner (links) im Juli 1938 (dpa/ picture alliance/ Mary Evans Picture Library)
Anno Mungen hat kein Enthüllungsbuch geschrieben – dazu sind die Fakten um die Bayreuther Wagner-Familie im zwanzigsten Jahrhundert zu vielfältig behandelt worden. Das gerade mal hundertsechzig Seiten starke Bändchen eignet sich eher dazu, im Bewusstsein der Leserinnen und Leser Akzente zu verschieben. Weiterhin gilt: Der Regisseur und Bühnenbildner Wieland Wagner hat, so gut es ging, die künstlerische und moralische Erneuerung der Bayreuther Festspiele nach dem Krieg organisiert. Nicht zuletzt von seiner Nazimutter Winifred distanzierte er sich öffentlich und privat demonstrativ, seine entrümpelte Bayreuther Bühne gilt vielen heute als der Beginn der Regietheater-Moderne westlicher Prägung. Wieland Wagner aber war bei den ersten Nachkriegsfestspielen 1951 vierunddreißig Jahre alt – nicht mehr und nicht weniger. Anno Mungen buchstabiert sehr deutlich und sehr schmerzhaft aus, was viele Anhänger des modernen Wagner-Theaters bis heute nicht so recht wahrhaben wollen:
"Eine moderne Opernästhetik hat nicht trotz der Nazis mit Neubayreuth nach dem Krieg eingesetzt, sondern sie beginnt sich mit dem Krieg erst richtig zu entfalten. Die Nazis forcieren Wagners reduzierenden Stil."

"Es ist nicht wenig, was Hitler für Wagner tut"

Mit Wagner meint Anno Mungen immer: Wieland Wagner. Im Gegensatz zu früheren Zeit- und Opernhistorikern weigert sich der Autor, ihn einfach und unmissverständlich Wieland zu nennen. Denn das kann auch bei einem großen Künstler als Verkindlichung gelesen werden. Mungen aber scheint immer in Erinnerung rufen zu wollen: In den frühen Vierziger Jahren, von denen dieses Buch handelt, war der Wagner-Enkel bereits ein Mann im Studentenalter und eben kein Kind oder Jugendlicher mehr. Hitler kannte er als einen Freund der Familie seit Kindheitstagen und teilte mit ihm die Begeisterung für Kunst und Fotografie.
"Es ist nicht wenig, was Hitler für Wagner tut. Er schanzt ihm Aufträge zu, stellt ihn vom Militär frei und lässt sich von ihm fotografieren. Letzteres ist deshalb nicht gering einzuschätzen, weil Hitler die Bildrechte an seinem Konterfei sonst nur Heinrich Hoffmann einräumt. Wagner aber darf seine Hitlerfotos vermarkten. Außer dem Doppelporträt mit Goebbels ist ein weiteres Hitlerfoto bekannt."
Der Opernregisseur und Leiter der Bayreuther Festspiele, Wieland Wagner, zusammen mit seiner Ehefrau Gertrud am 1.8.1960.
Wieland Wagner im Jahr 1960 (picture-alliance/ dpa)

Wieland nutzte Nähe zum NS-Machtapparat aus

Diese Nähe des jungen Wieland Wagner zum Privatmann Hitler rechtfertigt nicht seine unkritische Haltung gegenüber den Nazis. Über deren Verbrechen wusste Wieland genauso gut Bescheid wie seine jüngere Schwester Friedelind, die aus Protest nach England auswanderte und das Buch "Nacht über Bayreuth" schrieb.
"So berichtet sie von einem Mittagessen, bei dem Hitler und das Ehepaar mit am Tisch sitzen. Goebbels berichtet von einer Hetzjagd auf Berliner Juden, bei der man eintausendzweihundert von ihnen verhaftet habe. Friedelind Wagner fragt, was mit den Menschen passiert, darauf Goebbels: ‚Sie wurden natürlich in ein Konzentrationslager gesteckt.’ Sie will wissen, wann man sie freilässt. Goebbels, der eine ‚majestätische Handbewegung ausführt’, antwortet: ‚In diesem Leben nicht mehr.’"
Friedelinds Bruder Wieland dagegen nutzte seine Nähe zum nationalsozialistischen Machtapparat, um Karriere zu machen. Durchaus auch auf Kosten anderer, etwa zum Beispiel gegen den bekannten Künstler Emil Preetorius, der viele Bühnenbilder im Bayreuth der Dreißiger Jahre schuf. Anno Mungen macht deutlich, dass es sich bei der Kontroverse nicht um eine künstlerische Diskussion handelte, sondern um eine Intrige des jungen Wieland Wagner.

Karriere in Altenburg

"Wagner wirft Preetorius vor, am Werk des Großvaters vorbeizuarbeiten. Diesen Vorwurf begründet er aber nicht mit dem, was er selbst künstlerisch vertritt, sondern bezieht sich auf Hitler, der die Arbeiten von Preetorius angeblich kritisch sieht. Ob das tatsächlich so ist, interessiert Wagner nicht weiter."
Es war auch nicht so. Nach Denunziation und Gestapo-Haft wurde Emil Preetorius vermutlich nur freigelassen, weil Hitler eben durchaus kein Verächter seiner Bühnenbilder war. Der junge Wieland Wagner aber nahm offenbar solche Wendungen in Kauf, auch wenn sie für Andere lebensgefährlich werden konnten. Trotzdem durfte er in Bayreuth nicht sofort als Bühnenbildner anfangen. Dagegen wurden die Türen des Theaters im thüringischen Altenburg für Wieland Wagner schnell geöffnet – und dank seines mächtigen Fürsprechers auch nicht wegen eines Weltkrieges gleich wieder geschlossen.
"In Zeiten wie diesen richtet sich alles am Krieg aus. Was ihm dient, darf bestehen. Dass dazu auch ein Theater gehören kann, wird am zehnten Februar kundgetan: Hitler erklärt die Oper im thüringischen Altenburg für "kriegswichtig". Das Provinztheater, an das man Wagner als Spielleiter engagiert hat, ist nun Lehrtheater, ein Opernlaboratorium im Krieg."

Auf Wieland Wagner ruhten die Hoffnungen der NS-Granden

Sogar nach der Niederlage der Wehrmacht in Stalingrad flossen noch 1943 gigantische hundertzwanzigtausend Reichsmark nach Altenburg. Propagandaminister Goebbels hatte sie für Wielands erste "Ring"-Inszenierung an dem kleinen Theater nachbewilligt. Auf Wieland Wagner ruhten die Hoffnungen der NS-Granden für ein Kulturleben nach dem Krieg. Argwöhnisch wurden die ersten Karriereschritte Wieland Wagners von seiner Mutter Winifred beäugt, die sich die Leitung der Bayreuther Festspiele nicht von ihrem Sohn abnehmen lassen wollte. Winifred Wagner verurteilte seine Inszenierungen pauschal als Verballhornungen der Wagnerschen Musikdramen – wiewohl sie nie eine dieser Vorstellungen sah. Um solche Interna zu belegen, hat Anno Mungen eine entscheidende neue Quelle aufgetan: die NS-Tagebücher der Bayreuther Archivarin Gertrud Strobel, die während der Kriegsjahre in unmittelbarer Nachbarschaft der Wagnerschen Familienvilla Wahnfried wohnte.
"Wieland Wagner ruft an, vermerkt Gertrud Strobel: ‚Worff ist unabkömmlich gestellt worden!’ Eine Nachricht, die bei Wagner, folgt man Gertrud Strobel, ‚große Freude!!’ – zwei Ausrufezeichen – hervorruft. Warum die Freistellung des schönen Soldaten, der nun singen darf, den ansonsten eher zurückhaltenden Mann so intensiv reagieren lässt, bleibt Wieland Wagners Geheimnis."
Vor allem durch indirekte Zitate aus diesem Tagebuch wird der kleine Band zu einem Psychogramm Wieland Wagners. Über den jungen Künstler sagt das Buch von Anno Mungen ebenso viel aus wie über die monströse Zeit, in der Wieland Wagner seine ersten Karriereschritte unternahm.
Anno Mungen: Hier gilt’s der Kunst Wieland Wagner 1941-1945
Westend Verlag, 150 Seiten, 18 Euro