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Wien, wie es nie war

Doris Schäfer-Noske: Früher war alles ganz anders Dagegen ist im Grunde nichts zu sagen, nur meinen Leute, die mit diesem Satz eine allgemeine Betrachtung zur Lage der Welt, der Menschheit oder der Nation einleiten, in der Regel: Früher war alles viel besser. In Deutschland begegnet uns diese Einstellung zur Zeit wieder öfter, ob es dabei um Renten geht, um Benzinpreise oder um die PISA-Studie, erfunden wurde diese Haltung aber wahrscheinlich in Wien. So schrieb Karl Kraus schon 1912: "Ich muss den Ästheten eine niederschmetternde Mitteilung machen, Alt-Wien war einmal neu." Dem Mythos vom gemütlichen Alt-Wien konnte er damit natürlich nichts anhaben. Und so hat der Direktor des Wien Museums, Wolfgang Kos das Ganze nun fast hundert Jahre später zum Thema einer Ausstellung im Künstlerhaus gemacht. "Alt-Wien - Die Stadt, die niemals war", so lautet der Titel und ich habe Wolfgang Kos gefragt, wie Alt-Wien den wirklich war.

Moderation: Doris Schäfer-Noske: |
    Wolfgang Kos: Dieser Titel, die Stadt die niemals war, weist natürlich schon darauf hin, dass es sich um eine Fiktion handelt. Die gute alte Zeit, in Wien ist das sehr oft das biedermeierliche Wien, das man sich da vorstellt als Idylle. Da ist diese ganze Gemütlichkeit begründet worden, die ja so stark zum Wiener Image bis heute gehört, dass diese gute alte Zeit natürlich nie eine Zeit des Stillstands war. Städte verändern sich immer dramatisch. Auch im Biedermeier wurde heftig abgerissen, neugebaut. Wien war ja damals sehr eng, weil ja die Stadtmauern noch bestanden. Also die Leute haben erlebt eine Stadt im rasanten Umbruch und natürlich ganz stark in der Gründerzeit, in der Ringstraßenära in Wien als im ersten Bezirk 50 Prozent aller Häuser weggerissen wurden. Wenn man heute durch Wien geht, sagt man, mei, die schöne alte Stadt, das ist alles Neu-Wien.

    Schäfer-Noske: Können Sie den Begriff Alt-Wien zeitlich noch mal eingrenzen?

    Kos: Erfunden wurde er offenbar schon im Biedermeier als Publizisten sagten, ja dauernd wird uns ein Stück Seele weggerissen mit jedem Haus, das demoliert wurde, das ging aber nicht nur um Gebautes, auch um Menschentypen, also das Wäschemädel, der Fiaker, all diese volkstümlichen Figuren, die natürlich in der Bildenden Kunst, in der Literatur eben bis zu den Hans Moser Filmen heftig weiter wirkten, hat man gesagt, die gehen jetzt alle verloren, weil die böse Industrie sie vertreibt, die Fabriken und so weiter. Also Alt-Wien war auch ein Kampfbegriff gegen die barbarische Stadtzerschönerung und wie immer man damals sagte um 1900. Und es blieb bis heute ein Kampfbegriff. Und wenn in Wien irgendetwas neues geplant wird im Weichbild der Innenstadt, das ein bisschen höher ist, ein bisschen moderner ist, kommt sofort die Diskussion, ja, ist eine Stadt, die so notorisch schön ist wie Wien, darf man die überhaupt verändern?

    Schäfer-Noske: Nun wollen Sie ja zeigen, das das Ganze ein stumpfes Schwert ist, also dass dieses Alt-Wien überhaupt nie so war wie man sich das gedacht hat. Können Sie da mal Beispiele nennen?

    Kos: Ja, die Ausstellung selber ist sozusagen ein Rundgang durch eine fiktive Stadt, ein Rückblick auf Rückblicke. Dennoch hat dies Fiktion der guten alten Zeit Realität hervorgebracht in Form von Mythen. Das bezieht sich auch auf eine Figur wie beispielsweise Franz Schubert. Ab dem späten 19. Jahrhundert als das Biedermeier in Mode kam war er eine doppelte Figur. Einerseits war er der geschätzte Komponist, aber er war dann auch eine Kunstfigur. Er war die Personifizierung eines Biedermeiers wie es ihn nie gab. Also der Schubert Franzel, Schwammerl hieß ein Bestsellerroman, das war dann die Grundlage für die Operette das Dreimädelhaus, das ist dann wieder verfilmt worden, das waren enorme Erfolge. Und da ist eine völlig verkitschte süßliche wienerische Figur entstanden, der Spaziergänger durch dieses liebliche alte Wien, grüßt alle, schaut lieb drein, geht zum Heurigen, singt dort ein paar Lieder. Also Schubert ist ein Beispiel dafür, dass es das Bild der Wiener von der eigenen Vergangenheit, dass das verändert wurde. Man sieht es sozusagen durch Schuberts Brille.

    Schäfer-Noske: Er hat ja auch, glaube ich, zu Lebzeiten ganz schön mit Zensur zu kämpfen gehabt?

    Kos: Ja, er war ein absolut unkitschiger Mensch, seine Musik zeugt davon ja, er war keineswegs im Mainstream. Aber im Nachhinein war er der Repräsentant des verklungenen Wien. Da gibt es viele andere Beispiele natürlich auch, Wäschemädel, gerade diese so genannten Wiener Typen, die schon im 19. Jahrhundert zum Gegenstand der Salonmalerei wurden. Da gibt es Bilder der Wäschemädelball, da waren lauter ganz adrette junge knackige Girls zu sehen, tatsächlich war das ein ganz grausliger Beruf. Wäscherinnen mussten auch bei Minusgraden im Freien Wäsche waschen, hatten Schwielen an den Händen. Also die Vergangenheit wird natürlich schön geschrieben und unsere Ausstellung ist ein Versuch, nachzuerzählen, wie ein Mythos entstanden ist.

    Schäfer-Noske: Ich habe da ja auch Karl Kraus eingangs schon zitiert, inwieweit ist es denn typisch wienerisch, der guten alten Zeit nachzutrauern und warum tun sich die Wiener mit Veränderungen so schwer?

    Kos: Ich würde sagen aus Kalkül auch, nicht nur aus Sentimentalität. Ich meine, es war sicher ein Schock, dass die alte noch mittelalterlich geprägte Stadt so drastisch verändert wurde. Aber man hat schon um die Jahrhundertwende, 19Hundert überlegt, für den Tourismus ist es gut, eine schöne alte Stadt zu haben. Es ist besser, wir sind wie Venedig, nämlich schön, ein bisschen dekadent, macht nichts. Während Berlin eine seelenlose Staatsmaschine ist, so soll Wien nicht werden. Wien hat all diese Klischees vom Fiaker bis zum Kaiser, Schubert und der Heurige und die lieben Biedermeiergässchen im Repertoire, es kann jederzeit aus der Kostümleihanstalt holen zugleich ist Wien eine sehr moderne Stadt und Wien hat kein Problem, mit dieser Schizophrenie zu leben.

    Schäfer-Noske: Das war Wolfgang Kos, Direktor des Wien Museums über eine Ausstellung zum Mythos Alt-Wien.