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Wilcos "Ode To Joy"
Subtil politisch

Spätestens seitdem die US-Band Wilco 2005 den Grammy für das beste Alternative-Album gewonnen hat, könnte man annehmen, dass sie vor Kraft und Stolz nicht mehr laufen kann. Aber das Gegenteil ist der Fall - auch wenn der Titel des aktuellen Albums "Ode To Joy" an Beethoven erinnert. Ganz bewusst.

Von Andreas Zimmer | 05.10.2019
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Im Grünen: Jeff Tweedy und "Wilco" (Annabel Mehran)
Spätestens seit Wilco 2005 den Grammy für das beste Alternative-Album gewonnen haben, sind sie im Rock-Olymp angekommen. Dabei schwimmt die Band aus Chicago gegen den Mainstream, legt ihren Alben immer wieder Konzepte zugrunde. Auf dem neuen Wilco-Album wird das schon im Titel deutlich – "Ode to Joy". Ode an die Freude. Kenner wissen sofort, dass auch Beethoven eine solche Ode komponiert hat. Tweedy zeichnet darum einen Bogen:
"Eigentlich wollten wir das Album 'The Trouble with Caring' nennen. Aber das erschien uns dann doch ein bisschen zu sehr auf die 12. Klar erlauben wir uns durchaus Momente der Freude und des Leichtsinns. Aber das Album in Zusammenhang mit der Arbeit des Musik-Genies Beethoven zu bringen, ist für uns eine Erinnerung daran, dass wir Teil eines Kontinuums sind."
Schließlich waren die Lebzeiten des Bonner Komponisten durch die napoleonischen Kriege und dessen Propaganda geprägt. Im heutigen Amerika ist die Stimmung durch die Politik geprägt. Seien es die immer wiederkehrenden Fake News, oder die zahlreichen Kinder, die unter menschenunwürdigen Bedingungen an der Südgrenze der USA eingesperrt sind. Diese Zustände bestimmen auch Jeff Tweedys Leben - und das seines Umfeldes, in dem habe er die fatale Tendenz ausgemacht, nicht mehr den Mut zu haben, sich öffentlich freuen zu können.
"Wir versuchen eine Art Verlustgefühl rüber zubringen: Das verwirrende politische Umfeld in unserem Land lässt kleine oder zwischenmenschliche Emotionen oftmals belanglos oder unwichtig erscheinen. Oder man schämt sich sogar dafür. Und das halte ich für ein zu großes Opfer."
Mut zur öffentlichen Freude
Freut sich der Leser von Tweedys Autobiografie "Let‘s Go" an seiner feinen Ironie und teilweise deftigem Sarkasmus, fehlt beides in den Texten des neuen Albums "Ode To Joy" vollkommen. Logisch, Tweedys Humor braucht Platz, den ein Song nicht hat. Tweedy findet dafür aber eine andere Ebene: Auch wenn er nie irgendeinen politischen Akteur beim Namen nennt, ist "Ode To Joy" ein hochgradig politisches Album. Aber auf eine eher subtile Art und Weise:
"Es ist schwer, Musik zu erschaffen, die einerseits inspirieren kann und andererseits auf einem apolitischen Level bleibt. Auf diesem Album spielt Politik offenbar eine Rolle. Der Sound wurde nämlich so designed, um die politische Landschaft in Amerika auszudrücken."
Tatsächlich redet der 53-Jährige so, wie er schreibt: mit vielen verschachtelten Nebensätzen. Und das klingt dann vielleicht erst einmal ein bisschen kryptisch. Songdesign statt -komposition? Man hat ja schon das eine oder andere Mal davon gehört, dass Songs am Computer zusammengebastelt werden. Doch Tweedy meint etwas ganz anderes. Der aufmerksame Hörer hat es vielleicht schon bemerkt: Der Schlagzeugsound ist es. Jeff Tweedy und Drummer Glenn Kotche haben rund einen Monat vor den gemeinsamen Aufnahmen im bandeigenen Chicagoer Studio zusammengesessen und den natürlichen Sound der Trommeln lange verdreht, ent- und verfremdet - bis fast an die Grenze des Erträglichen. Dann wurden die Drums Stück für Stück einzeln eingespielt. Menschmaschinenmäßig. Oder kurz: Nerd-Frickelarbeit.
Friedvoller Protestmarsch
"Das Design des Schlagzeugsounds ist monumental, einfach und urtümlich. Obendrein soll es eine Art von Marsch darstellen, bei dem man nicht sicher ist, ob es sich um einen friedvollen Protestmarsch handelt, oder um einen Protest gegen einen schleichenden Autoritarismus."
Ein Marsch also. Da ist wieder dieser subtile Politikbezug. Ohne die Akteure direkt zu benennen, wird unmittelbar klar, gegen wen oder was da marschiert werden soll. Und dann blitzt der Schalk in dem Sänger doch noch auf. Genau derselbe Schalk, der sich in seiner schonungslos offenen Autobiografie aus 2018 überall findet. Dass Tweedy grundsätzlich sehr reflektiert mit sich, seiner Kunst und auch seiner Band umgeht, zeigt er ebenfalls durch seine Selbsteinschätzung im Wilco-Kontext: Er hält sich für einen kleinen Autokraten.
Kleine Lebenshilfen in Zeiten der Verzweiflung
"Es funktioniert nicht wie eine Basisdemokratie oder ein Gremium. Ich glaube nicht, dass Platten, die so entstanden sind, gut sein können. Vielmehr muss es jemanden mit einer Vision vom Endprodukt geben, um die anderen durch die Produktion zu geleiten. Und ich bin gerne dieser Teil der Wilco-Truppe."
Als unbestrittenes Mastermind von Wilco gibt Jeff Tweedy auf "Ode To Joy" seiner Hörerschaft kleine Lebenshilfen in Zeiten der Verzweiflung. Allerdings nur hintergründig und zwischen den Zeilen erkennbar. Aber eben doch politisch. Wer das nicht möchte, kann sich durchaus auch nur an der Musik erfreuen. Die hier sehr oft an die Beatles im Allgemeinen und an John Lennon im Speziellen erinnert. Während Beethoven durch seine Ode an die Freude womöglich vom Sieg über Napoleon inspiriert wurde, stemmt sich Tweedy mit Ode to Joy gegen weiterhin schwierige Zeiten.
Jeff Tweedy: "Let's Go (So We Can Get Back): Aufnehmen und Abstürzen mit Wilco etc."
Kiepenheuer & Witsch Köln, 2019. 304 Seiten, 22 Euro.