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Wildes buntes Paradies

So kann man sich den Schlund der Hölle vorstellen: Glutroter Feuerschein in tiefschwarzer Nacht, unten das tosende Meer, ringsum ein Wolkenbruch, durchzuckt von Blitzen. Papua-Neuguinea, ein Paradies im Sturm.

Von Jürgen Hanefeld |
    Die Welt am zweiten Schöpfungstag: kreatives Chaos der Elemente. Vom Sturm getriebene, fettige Flocken bleigrauer Asche verkleistern dem Piloten die Sicht und überziehen die Landepiste mit schwarzer Schmierseife. Die Erde faucht aus ihrem Innersten ...

    "Erwarte das Unerwartete" – selten trifft ein Werbespruch die Wirklichkeit genauer als dieser Slogan aus Papua Neuguinea. Unerwartet wie das Sturmtief, das den frühen Abend in rabenschwarze Nacht verwandelt, ist auch die Szenerie am nächsten Morgen: Ruhig ist das Meer, blau der Äquatorhimmel. Noch immer aber schleudert der pulsierende Vulkan im Minutenabstand Asche und Geröll in die Höhe – Brocken groß wie Reisebusse. An seinen Rändern blubbern kochend heiße Schwefelquellen aus dem Meeresboden.

    Das Schauspiel des Tavurvur ist ein Dauerbrenner. Am 19. September 1994 explodierte der Vulkan und vernichtete die Stadt Rabaul, eine deutsche Gründung, die als einer der schönsten Orte im Pazifik gegolten hatte, vollständig. Und der Spuk ist noch immer nicht vorbei. Täglich rollt der Tavurvur seinen dicken, grauen Asche-Teppich von neuem aus über den Ruinen von Rabaul.
    Pater Willi Schürmann aus Bottrop, seit 46 Jahren in Papua, lebte schon damals auf dem grünen Hügel der Mission von Vunapope. Von hier oben hat man einen großartigen Blick über die Bucht hinweg auf den speienden Vulkan. Die Evakuierung der Stadt sei dank frühzeitiger Warnungen gut gelungen, erzählt der Ordensbruder. 50.000 Menschen wurden obdachlos, aber nur fünf kamen ums Leben.

    Christliche Missionsstationen überziehen das zerklüftete Land wie ein weitmaschiges Netz. Katholiken, Lutheraner und alle möglichen Freikirchen werben um die Seelen der "Wuschelköpfe", wie die Portugiesen das Küstenvolk im 16. Jahrhundert tauften: pa-pu-wah!
    Doch der erste Eindruck war flüchtig. In Wahrheit bestand das Volk der "Wuschelköpfe" aus zahllosen Stämmen und Kulturen. Linguisten fanden auf Papua mehr als 800 Sprachen. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelten die Europäer ernsthaftes Interesse an der zweitgrößten Insel der Welt und teilten sie unter sich auf: Den Westen annektierten die Holländer und schlugen ihn ihrer Kolonie Indonesien zu. Im Osten rammten Briten und Deutsche ihre Flaggen in den Strand. Mit den Kolonialherren kamen die Missionare. Sie versuchten, den Einheimischen den Kannibalismus ab-, und das Tragen von Kleidung anzugewöhnen – was bis heute nicht vollständig gelungen ist.

    "Expect the unexpected, because nothing works on time and nothing happens properly. So you can come to PNG and expect what you can't expect."

    Weil niemand pünktlich ist und nichts ordentlich abläuft, sagt Betty Higgins, müsse man in Papua immer mit dem Unberechenbaren rechnen. Zum Beispiel damit, auf jemanden wie Betty zu treffen. Ihr Vater ein Säufer, die Mutter apathisch, so ist sie als Kind von zuhause abgehauen, fand Unterschlupf in einer Missionsschule, lernte Lesen, Schreiben und Englisch, ergatterte einen Job bei der nationalen Fluggesellschaft Air Niugini und ist heute eine umtriebige Geschäftsfrau: Auf ihrem Grundstück im zentralen Hochland betreibt sie eine Forellenfarm, eine Erdbeerplantage und eine Unterkunft für Wanderer:

    "Ich muss jetzt zurück zur Hütte. Ich habe eingekauft für zwei Touristen, die ich erwarte, und fahre jetzt in die Berge Richtung Mount Wilhelm."

    So klingt es, wenn Betty "Pidjin" spricht, die lingua franca auf Papua, zusammengerührt aus deutschen, englischen und einheimischen Brocken. Deutsch sind auch noch immer sehr viele geografische Bezeichnungen von Finschhafen bis zum höchsten Berg des Landes, dem 4500 Meter hohen Mount Wilhelm, der seinen Namen dem letzten deutschen Kaiser verdankt.

    Dabei wurde das Hochland erst lange nach Ende der deutschen Kolonialzeit erforscht. Drei australische Brüder, die 1930 das zerklüftete Innere der Insel auf der Suche nach Gold durchstreiften, rieben sich die Augen, als sie entdeckten, dass dort eine Million Menschen Ackerbau betrieben. In einer legendären Filmdokumentation beschreiben einer der Brüder und einer der einheimischen Augenzeugen diesen ersten Kontakt:

    ""Sie hielten uns für Geister ... Wir unterschieden uns so sehr von allem, was sie bis dahin gesehen hatten! Sie hätten nicht mal im Traum gedacht, dass es so was wie uns geben könnte. Sie hatten keine Vorstellung von Zivilisation oder dem, was außerhalb ihrer Welt existierte.

    "Wir glaubten, das sind keine Wesen aus Fleisch und Blut. Es müssen unsere verstorbenen Vorfahren sein, die aus dem Reich der Toten zurückgekehrt sind. Wir wussten ja nichts über die Welt da draußen. Wir glaubten, wir seien die einzigen Menschen.""

    Eine "Steinzeitkultur", die weder Metall kannte noch Textilien, nicht einmal das Rad, aber zugleich die Kultivierung von Nutzpflanzen meisterhaft beherrschte. Dass der Kontakt zur Außenwelt so spät zustande kam, war Glück im Unglück: Im Gegensatz zu Völkern in Afrika und Amerika wurden sie nicht kurzerhand totgeschlagen, wenn sie sich als Sklaven nicht eigneten. Stattdessen machte man sie zu Objekten ethnologischer Forschung. Was das Ende ihrer eigenständigen Kultur zumindest hinauszögert.

    "Sehr viele Leute hier sind noch unverdorben in dem Sinn, dass sie keinerlei öffentliche Leistungen in Anspruch nehmen. Schulsystem und Gesundheitsversorgung sind sehr armselig, und so leben sie noch sehr traditionell. 80 Prozent der Bevölkerung bearbeiten weiterhin ihr Land, und nur 20 Prozent, die in den urbanen Zentren wohnen, gehen einer bezahlten Beschäftigung nach."

    Richard Knight kam vor 40 Jahren aus Australien, ist mit einer Einheimischen verheiratet und betreibt eine kleine Tauchbasis vor Port Moresby, der Hauptstadt von Papua Neuguinea. Mit den Einnahmen finanziert er auch ein nahegelegenes Küstendorf, dessen Bewohner den Touristen im Gegenzug ein traditionelles "singsing" vorführen. Niemand merkt, dass die Ornamente auf den nackten Körpern der jungen Tänzer nicht tätowiert, sondern mit abwaschbaren Filzstiften aufgetragen sind.

    Angesichts des natürlichen Reichtums an Gold und Kupfer, Erdöl, Holz, Kaffee und Palmöl spielt der Tourismus wirtschaftlich keine Rolle. Entsprechend ist die Infrastruktur: Das Flugzeug ist das übliche Transportmittel. Die Hauptstadt hat mit dem "Rest" der Insel keinerlei Straßenverbindung, und das Hochland ist nur über eine einzige Piste zu erreichen, auf der abenteuerlich vollgestopfte Minibusse – elf Sitze, 21 Passagiere plus Gepäck! - gewöhnlich doppelt so lang unterwegs sind wie angekündigt. Aber die hinreißend schöne Landschaft entschädigt nicht nur für blaue Flecken und Schweißgestank, sondern auch für manch rustikale Unterkunft. Die wenigen Reisenden in diesem Land vor der Zeitrechnung suchen keinen Luxus, sondern haben spezielle Interessen: Tauchen in einem der besten Reviere der Welt, Paradiesvögel suchen und Orchideen finden, Wandern in der Wildnis oder auf historischen Pfaden:

    "Die Gäste interessieren sich zunehmend für die Schauplätze des Zweiten Weltkrieges, als sich australische Soldaten hier den japanischen Truppen entgegenstellten. Sehr beliebt ist es, ganz Papua von Süd nach Nord auf dem berühmten Kokoda-Trail zu durchqueren."

    ... was rund eine Woche dauert und höllisch anstrengend ist. Dagegen reichen zwei bis drei Tage hinauf zum Mount Wilhelm, wo Betty ihre Lodge betreibt. Unvergesslich bleibt in jedem Fall der Besuch eines der Highland-Festivals, wo regelmäßig Dutzende Stämme zusammenkommen, um zu tanzen und zu singen.

    "Papua Neuguinea ist das Ende der Welt, vielfältig und einzigartig. Wir wurden sozusagen als letzte entdeckt. Wir sind noch immer nicht entwickelt, aber wir wandeln uns schnell. Die westliche Kultur dringt in die traditionelle ein. Bevor die Tradition ganz verschwindet, kommen Touristen hierher, um zu sehen, was noch übrig ist."

    Grell bunt bemalte Gesichter, kunstvolle Perücken aus echtem Haar, opulenter Federschmuck und traditionelle Waffen geben eine Ahnung von jener Zeit der Unschuld, in der die Völker Papuas glauben durften, allein auf dieser Welt zu sein.