Dienstag, 30. April 2024

Archiv

Wilhelm Buschs Geburtsort
Beim Vater von Max und Moritz

Ritsche, ratsche, voller Tücke, in die Brücke eine Lücke! Solche Reime haben Wilhelm Busch unsterblich gemacht. Dazu die vielen kleinen kolorierten Zeichnungen – man könnte ihn auch den Wegbereiter des Comics nennen, vor 150 Jahren. Im Schaumburger Land begehen viele Orte das Max-und-Moritz-Jubiläum. Und auch eine Spurensuche in Buschs Geburtsort Wiedensahl lohnt sich.

Von Henning Hübert | 21.06.2015
    Das erste Bild der sieben Streiche von Max und Moritz, erdacht und gezeichnet von Wilhelm Busch, aufgenommen am 11.09.2014 in der Ludwiggalerie Schloss Oberhausen (Nordrhein-Westfalen). Die Ausstellung "Streich auf Streich" "150 Jahre deutschsprachige Comics seit Max und Moritz".
    Die bekanntesten Schöpfungen von Wilhelm Busch: Max und Moritz. (picture alliance / dpa / Roland Weihrauch)
    Wiedensahl umgibt flaches Land, viele Obstwiesen, Kühe stehen auf der Weide, ein Traktor parkt zwischen zwei Bauernhäusern an der Chaussee. Wohin man blickt beim Rundgang mit Bürgermeisterin Anneliese Albrecht: Roter Backstein, dahinter Natur. Der Dichter und Zeichner Wilhelm Busch nahm sich diese Landschaft immer wieder vor – samt den Bewohnern:
    "Ja, der hat also viel hier gezeichnet. Ich weiß, früher von meiner Oma noch, dass die Leute dann immer weggelaufen sind. Die wurden nicht gerne von ihm gezeichnet. Aber man hat ihn natürlich hier in Wiedensahl dann auch wieder gern gesehen. War auch froh und ist heute auch froh, dass wir so viel Schätze haben, die Wiedensahl auch wiedergeben von früher."
    Allen voran das Geburtshaus des Dichters und Zeichners. Ein Bauernhaus mit Fachwerk. Eine schmiedeeiserne Arbeit am Eingang des Museums zeigt den zweiten Streich von Max und Moritz: Wie diese der Witwe Bolte durch den Schornstein die Hühner vom Herd wegangeln. Im ehemaligen Schweinestall gibt es eine moderne multimediale Ausstellung, davor lädt aber auch ein großer Tisch einfach zum Schmökern in den Bildergeschichten ein. Hier spielen Kindergartenkinder auch kleine Theaterszenen.
    Durch die Diele geht es zur fast original erhaltenen Leutestube – dem Wohnzimmer - und einer kleinen Kammer, in der Wilhelm Busch am 15. April 1832 zur Welt kam. Das Museum besuchen jedes Jahr Tausende Neugierige, vor allem Schulklassen, Kindergartengruppen. Leiterin Gudrun Sophie Frommhage-Davar steigt fast immer ein mit der Geschichte von Max und Moritz und ihren sieben Streichen:
    "Also Max und Moritz ist schon ein Segen und ein Fluch für uns. Fragt man jemand: Was kennen Sie von Wilhelm Busch? Kommt natürlich als erstes Max und Moritz. Gut. Dann kommt meistens Helene, Maler Klecksel, Balduin Bählamm – wir kommen meistens so auf fünf bis sechs Bildergeschichten. Und da hört es dann auf. Wobei der Besucher meint, er würde alles von Wilhelm Busch kennen. Reduziert es aber meistens auf die sieben Streiche."
    Die Dorfbewohner kommen bei Wilhelm Busch nicht gut weg. Die Witwe Bolte, die ihren Spitz verprügelt, der Lehrer Lämpel in seiner Kauzigkeit, Schneider Böck, Bauer Mecke, der Feinbäcker und der Müller in ihrer Reizbarkeit und Grobheit. Er sieht sie mit kritischer Distanz – vielleicht abgesehen vom Onkel Fritze, den es eigentlich zu ehren gilt und dem Max und Moritz dennoch tütenweise Maikäfer ins Bett legen. Wilhelm Busch hatte selbst keine Kinder, kam aber nach Schul-, Studien- und Berufsjahren in Ebergötzen, Hannover und München wieder nach Wiedensahl zurück – um als Onkel in der Großfamilie bei einer der Schwestern zu leben. Einer, der sich entwickeln durfte, und dabei immer ein kritischer Wiedensahler blieb:
    "Der Vater war ja Kaufmann. Hatte einen Lederhandel, hatte einen landwirtschaftlichen Betrieb. Und für die Eltern war es wichtig, dass die Ernährung gut war. Und dass alle sieben Kinder eine gute Bildung erhalten haben. Das ist, denk ich der Grund, warum Wilhelm Busch über den Tellerrand dieses kleinen Provinznestes hinwegsehen konnte. Ein Wiedensahler, der studieren konnte. Es war ja nicht nur Wilhelm Busch, der studiert hat. Auch die Brüder haben studiert. Die Töchter wurden wie üblich verheiratet. Wobei: die jüngste Tochter ist mit 15 schon gestorben."
    Wo Max und Moritz ihre Streiche spielten
    Die Gräber der Buschs liegen bei denen der Boltes. Auf dem Weg zum Kirchhof geht es an mehreren Wohn- und Arbeitsstätten vorbei, die Eingang in die Lausbubengeschichte gefunden haben sollen – meint Ortsbürgermeisterin Anneliese Albrecht:
    "Die Witwe Bolte – es gibt hier eine Familie Bolte, die heute noch in der Ecke lebt."
    Der alte Bolte-Stein, der beim Hausbau über die Eingangstür gemauert wurde, steht noch im Vorgarten. Schräg gegenüber des Geburtshauses von Wilhelm Busch – der ja auch das bekannte Gedicht vom sprechenden Dicken Sack geschrieben hat, den Bauer Bolte zur Mühle tragen wollte, und der vor den Ähren los prahlt.
    "Eine Kleinbauernfamilie, wie das hier üblich war. Die hatten alle so ein, zwei Kühe und haben davon gelebt."
    Und Schneider Böck, dem die angesägte Brücke zum Verhängnis wurde? Wir werden fündig:
    "Da drüben neben der Volksbank haben wir das rosa Haus. Da wohnte früher ein Schneider drin. Das war der Bruder von dieser Frau Bolte. Von daher meint man, dass er auch diesen Schneider hier in Wiedensahl gefunden hat als Vorbild für seine Geschichten."
    Die abschließende Mühlengeschichte, das geben die Wiedensahler zu, spielt im 150 Kilometer entfernten Ebergötzen, wo Wilhelm Busch beim Onkel wohnte und zur Schule ging. Pastor Georg Kleine wurde sein Neffe im Alter von neun Jahren zur weiteren Erziehung übergeben. Mit dem gleichaltrigen Müllerssohn Erich Bachmann eroberte Wilhelm Busch dann das Dorf – sie sind Max und Moritz.
    Bleiben Wiedensahl weitere Orte der Streiche. Wie die Zuckerbäckerei, in der die Buben zum Brezel-Klau einstiegen und sogar einen Ausflug in den Backofen überlebten. In Wiedensahl stehen viele Läden leer – auch die letzte Feinbäckerei in dem 1000-Einwohner-Straßendorf schloss und wurde zwangsversteigert. Immerhin: Inzwischen ist hier ein Pizzaservice eingezogen. Am Café vorbei, dem Wilhelm-Busch-Keller, betrieben von Nachfahren, erreichen wir das Wiedensahler Wilhelm-Busch-Denkmal, die Kirche und das alte Pfarrhaus. Es beherbergt das zweite Museum in Dorf mit Bezug zum Dichter.
    Ein wohlhabender Onkel
    Im hintersten Winkel des Hauses: eine schmale Stube mit Nordlicht. Nur zwei Mal sechs Meter lang, Bett, Waschgarnitur, unter einem der beiden Fenster ein Tisch mit Federkiel, Tintenroller und Aschenbecher – einfach und schlicht.
    "Der Aschenbecher darf natürlich bei Wilhelm Busch nicht fehlen. Einige Male hatte er ja so eine Vergiftung, weil er zu viel geraucht hat. Und das hat er bis zum Lebensende nicht abgelegt, das starke Rauchen. Mit dem Tabak, da hatte er es ja."
    Von hier zog der Qualm durch die Wohnung der Familie seines Schwagers Hermann Nöldecke, ein evangelischer Pfarrer, der auch die umliegenden Felder bewirtschaftete. Hier entstanden zwischen 1872 und 1878 Bildergeschichten wie Fips der Affe, die Abenteuer eines Junggesellen, Herr und Frau Knopp oder Julchen. Mit Sprüchen, die bis heute jeder kennt – Zitat "Vater werden ist nicht schwer, Vater sein dagegen sehr." Wilhelm Busch, dem Mann mit Rauschebart und Krempenhut, reichte seine Rolle als Onkel. Anneliese Albrecht:
    "Wilhelm Busch hat ja immer wieder die Nähe zu Wiedensahl und zu seinen Verwandten gesucht. Wenn er in Wiedensahl nicht war, war er immer bei anderen Nichten und Neffen. Also er war schon immer irgendwo ein Familienmensch. Aber trotzdem hatte man so immer das Gefühl, er wär so ein bisschen eigenbrötlerisch gewesen, also für sich allein."
    Der auch nach außen nie rausgekehrt hat, dass er ein wohlhabender Onkel ist. Schwer reich geworden dank der Bildergeschichten, deren Welterfolg vor 150 Jahren mit Max und Moritz begann.