Donnerstag, 25. April 2024

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"Will This Make Me Good" von Nick Hakim
Seltsame Musik für seltsame Zeiten

Für den psychedelischen Soul seines Debüts erntete Nick Hakim viel Lob von Kritikerinnen und Kritikern. Auf "Will This Make Me Good" klingt er noch eigenwilliger und singt über Verlust und eine überreizte Welt, die dringend gute Songs braucht: "Musik ist zum Heilen da", so Hakim im Corsogespräch.

NIck Hakim im Corsogespräch mit Bernd Lechler | 09.05.2020
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Wandelt auf den Spuren seines Vorbilds Curtis Mayfield: der New Yorker Nick Hakim (Jack McKain)
Souliger Gesang, impressionistische Texte, eine eigenwillige Produktion voller Brüche zwischen traditioneller Gitarre und holprig-abstrakten Soundscapes: Nick Hakim, in Brooklyn ansässiger Songwriter, hat 2017 mit seinem ersten Debüt "Green Twins" Eindruck hinterlassen.
Seine neue, zweite Platte "Will This Make Me Good" klingt nun noch etwas experimenteller, dazu singt Nick Hakim von sehr persönlichen Themen - allerdings meist metaphorisch und frei assozierend. Auch die erste Frage im Corsogespräch, nach dem Hintergrung des Songs "Bouncing", der von einer großen Überforderung zu handeln scheint, beantwortete Hakim eher indirekt.
Nick Hakim: Als ich den Text zu diesem Song schrieb, hatte ich Zugang zu einer Kirche in Greenpoint in Brooklyn, in der ein wunderbarer Konzertflügel stand. Ich hatte mich mit dem Pastor angefreundet, und er ließ mich den Flügel manchmal benutzen. Und "Bouncing", der Song, handelt tatsächlich von dem Gefühl, komplett überfordert zu sein. Von dieser Stadt New York. Aus dem Fenster betrachtet, aber auch draußen. Ich ging damals viel zu Fuß, vom Studio nach Hause, spät nachts, im Winter, manchmal auch bei Schneesturm, und da sah ich dann morgens um fünf die ganzen Leute, die zur Bahn gingen oder zur Arbeit. Aus solchen Eindrücken entstand das Lied.
Bernd Lechler: Ja, und der Song "Qadir" - der schon vorab veröffentlicht wurde, acht Minuten lang - ist ähnlich assoziativ. Es geht da wohl um einen verstorbenen Freund, aber auch um "Systeme, die falsche Schönheit projizieren" oder ums "Sitzen in dunklen Räumen mit Tüten über dem Kopf". Was hat all das mit Ihrem Freund Qadir zu tun?
Hakim: Da geht es um mein Erlebnis, einen Freund zu verlieren, aber auch um die Menschen, die sich vielleicht ähnlich verloren fühlen wie er. Das geht über Qadir hinaus, es berührt auch unseren Umgang mit Schmerz, mit Druck, mit psychischen Problemen, unseren Umgang miteinander und die Isolation voneinander - es ist sehr vielschichtig. Aber natürlich handelt der Song auch davon, dass jemand, an dem mir etwas lag, ganz bewusst entschieden hat, dass er nicht mehr bei uns sein will.
Auf den Spuren von Curtis Mayfield
Lechler: Ihre Musik wird ja trotz aller Schrägheit und Eigenwilligkeit und der ungewöhnlichen Produktion oft zuallererst als eine Art von Soul beschrieben. Auch Sie selbst haben Helden wie Marvin Gaye oder Curtis Mayfield als Einfluss genannt. Können Sie genauer beschreiben, was Sie von denen gelernt haben?
Hakim: Curtis hatte immer sehr starke Botschaften in Songs. Er sang über Amerika genauso wie über seine eigenen Gedanken und Gefühle. So hat er mir gezeigt, dass man über seine Verletzlichkeit singen konnte, aber eben auch über alles, was man sieht: üble gesellschaftliche Zustände sind oder ganz bestimmte Personen - aus allem kann man etwas machen, was Schönheit besitzt und wozu die Leute eine Verbindung aufnehmen können. Und er hat eine Karriere daraus gemacht, Songs zu schreiben, die wichtig sind, und die die Zeit beschreiben, in der er lebte.
Die Zeit, in der wir leben, kommt mir überstimuliert vor. Alle haben nur noch eine kurze Aufmerksamkeitsspanne, niemand kann mehr länger als drei Minuten zuhören - wenn überhaupt. Es gibt ja jetzt diese ganzen neuen Popsongs, die nur noch eine oder anderthalb Minuten lang sind. Dreißig Songs auf einem 30-Minuten-Album!
Ich will das nicht kritisieren, das steht mir gar nicht zu, es ist nur eine Beobachtung. Und wenn man das mit jemandem wie Curtis vergleicht, oder Marvin! Er war auch gut darin, ernsthafte Beobachtungen leicht klingen zu lassen. Und etwas Heilendes daraus zu machen. Das konnten sie beide, glaube ich: eine Musik machen, die heilt. Dafür ist sie letztlich da, Musik ist wie so eine Kraft, die man hat. Und so will ich das auch machen. Ich singe über das, was mich umtreibt, statt mich anzupassen oder zu überlegen, was die Leute von mir wollen könnten.
Lateinamerikanische Prägung durch die Eltern
Lechler: Und waren Ihre peruanischen Eltern auch ein stilistischer Einfluss?
Hakim: Ja, natürlich. Sie mochten beide südamerikanischen Folk, das Nueva Canción der Sechziger, politische Folklore aus Chile, Uruguay, Argentinien, sowas wie Mercedes Sosa, Violetta Parra, Victor Jara - ganz unterschiedliche Stile, mit denen ich aufgewachsen bin und die mich geprägt haben.
Lechler: Und wie sind Sie dann Profimusiker geworden?
Hakim: Mit 17 war ich besessen vom Songwriting. Ich hatte keine Kontakte und wusste nicht, was alles dazugehört - ich wusste nur: Ich will das machen. Ich hatte aber auch sonst keine großen Talente. Ich will mich nicht selber schlecht machen, aber ich war kein guter Schüler, bin auch mal sitzengeblieben - erst als ich in die Musik einstieg, wusste ich: das ist es. Das mache ich. Ich bekam einen richtigen Tunnelblick. Ich arbeitete hart, suchte meinen Weg, nahm mir viel Zeit dafür, und am Ende war ich ein richtiger Nerd und ging aufs Musik-College. Da lernte ich Theorie, viel über die Technik, übers Produzieren, Musiktherapie interessierte mich auch sehr. So fand ich nach und nach heraus, was ich machen wollte. Und jetzt gehört das einfach zu mir, und ich bin dankbar, dass ich schon jung etwas gefunden habe, was ich leidenschaftlich gern mache.
Ein Notizbuch voller Songs - einfach weg
Lechler: Und es läuft ja auch gut, das erste Album bekam sehr gute Kritiken. Wie war es dann, das zweite anzufangen? Hatten Sie eine klare Vision, wie das werden sollte?
Hakim: Nein. Ich hatte eher das Gegenteil. Ich lasse es passieren, ich plane nichts.
Lechler: Aber Sie haben ein Notizbuch voller Songs verloren, so viel ich weiß. Sind die neuen Songs nun das, was Sie noch rekonstruieren konnten?
Hakim: Ja! Das war eine große Herausforderung, damit klarzukommen, dass ich so viel Zeit umsonst investiert hatte. Kennen Sie das, wenn man ganz mühelos sehr produktiv ist? Man denkt nicht nach, man macht einfach. Und das war alles in diesem Notizbuch. Viele kreative Ideen, Zeichnungen, nichts davon hatte ich mal digitalisiert, es war alles da drin, und dann war es weg und ich musste von vorn anfangen. Ein schwarzes Moleskine-Journal. Also, falls es irgendjemand in London mal findet, gebt es mir zurück, ich schicke euch meine Adresse!
Lechler: Wie geht es Ihnen denn damit, dass Sie ihr Album nun in einer Weltlage wie dieser veröffentlichen? Verändert das die Aussage der Musik oder die Wirkung, die sie vielleicht haben wird?
Hakim: Darüber habe ich auch schon nachgedacht. Zur Zeit geht ja aus Gründen der Sicherheit niemand auf Tour, aber dass viele auch Veröffentlichungen verschieben, dahinter steckt wohl eher die Furcht vor finanziellen Einbußen. Aber darum geht es nicht. Es geht darum, etwas zu teilen, den Leuten etwas zu geben. Dieses Album ist für Leute, die in diesen seltsamen Zeiten etwas zum Hören brauchen. Es ist ja auch seltsame Musik.
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