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Willem Dafoes Solo im Avantgarde-Theater

Savants nennen Neurologen und Psychologen Personen, die zu übermenschlich scheinenden Leistungen auf einzelnen Gebieten fähig sind, denen aber oft der gewöhnliche Alltag schwer fällt. Im neuen Stück des New Yorker Regisseurs Richard Foreman spielt Willem Dafoe einen solchen Charakter.

Von Andreas Robertz |
    Richard Foreman und Willem Dafoe sind berühmte Namen in der New Yorker Theaterszene: Der eine hat als Regisseur mit seinem "Hysteric-Ontological Theatre" seit den 60er-Jahren die New Yorker Avantgarde Szene maßgeblich beeinflusst; der andere war Gründungsmitglied der berühmten Wooster Group und hat neben seinen großen Filmerfolgen wie "Platoon" oder jetzt "Antichrist" von Lars von Trier regelmäßig auch Rollen auf der Bühne übernommen.

    Wenn diese beiden Giganten des amerikanischen Theaters zusammentreffen, erwartet man Außergewöhnliches. Doch leider ist das einzig Außergewöhnliche an "Idiot Savant", dass am Ende plötzlich das Licht angeht und man mit dem Hinweis aus dem Theater entlassen wird, man gehe nun in eine Zukunft, die identisch mit der Vergangenheit sei. Das erspart den Applaus und trifft ins Schwarze, denn dieser Abend jedenfalls hat nichts und niemanden verändert. Der Begriff "Idiot Savant" bezeichnet übrigens einen physisch oder psychisch behinderten Menschen, der eine außergewöhnliche Inselfähigkeit besitzt, zum Beispiel jemanden, der mit großer Geschwindigkeit in komplexen Zahlen denken kann oder ein fotografisches Gedächtnis hat. Filme wie "Rain Man" mit Dustin Hoffman oder "A Beautiful Mind" mit Russel Crowe handeln von diesen faszinierenden Persönlichkeiten. In Foremans Stück betritt der Idiot Savant, gespielt von Willem Dafoe, in einem Kleid, einer Spange im Haar und einem Schnuller im Mund die Bühne und ist eine Art weiser Narr. Er trifft in einem barocken Salon mit durchnummerierten Türen auf zwei Frauen, offenbar die Hausherrinnen, die ihm Fragen stellen, die er meistens unbeantwortet wiederholt oder so umformuliert, dass sie einen neuen Sinn ergeben. Seine Fähigkeit besteht darin, die anderen Figuren - es gibt noch drei blinde Diener - in sokratischer Weise zu spiegeln.

    Das 90-minütige Stück ist gespickt mit banalen Sätzen, die ständig wiederholt werden, unmotivierten Ton- und Lichteinsätzen, einer Flut absurder Requisiten und den wiederkehrenden Anweisungen einer dunklen Stimme, die wie ein Deus ex Machina die Spieler anweist, die Geschichte ja nicht voranzutreiben. Nun könnte man sich einfach auf die Bilderflut und Foreman's Assoziationen einlassen. Richard Foreman ist schließlich bekannt für seinen Ansatz, Schauspieler genau wie Requisiten, Bühnenelemente, Musik und Licht gleichwertig zu behandeln und seine Abende wie Zwölftonmusik zu komponieren.

    Doch an diesem Abend voller Beliebigkeiten ist ihm nicht wirklich etwas Neues eingefallen. Seine sonst so strenge Formvorgabe wirkt zufällig, der Text willkürlich und die vielen Toneinsätze wie Effekthascherei. Man spürt zwar den philosophischen Grundgedanken, dass der wahre Moment auf der Bühne jenseits einer vorgegebenen Geschichte oder des nach Sinn suchenden Verstandes liegt, aber müssen sich deswegen die Schauspieler alle langsamer bewegen und tiefer sprechen? Und warum spielt Willem Dafoe die Hauptrolle, ein Schauspieler, der, wie zuletzt in Lars von Triers Höllenfilm "Antichrist" zu sehen war, keine Angst vor Extremen hat und sich ungewöhnlich tief auf seine Rollen einlassen kann? Seine langsamen Bewegungen und die tiefe Stimme kombiniert mit möglichst kindlichem Ausdruck hätte auch jeder andere, einigermaßen bewegungsbegabte Schauspieler liefern können. Aber dann wären wahrscheinlich nicht so viele Zuschauer ins Theater gekommen, um das für das Public Theater ungewöhnlich hohe Eintrittsgeld von einheitlich 60 Dollar zu zahlen.

    "Was das Publikum von dem Abend nach Hause nimmt, kann ich nie voraussagen, weil ich diese Sachen mache, um mich selbst zu füttern, um mir einen Reiz und eine Klarheit zu verschaffen, die ich in meinem normalen Leben nicht bekomme. Und das Einzige, was ich nach all diesen 40 Jahren dem Publikum anbieten kann, ist, dass ich sage: "Hey, ist da draußen irgendwer, der dasselbe Bedürfnis hat wie ich?"

    Die Zukunft sieht anders aus als die Vergangenheit - und die Neugier auf Richard Foreman ist dem Ärger über ein "Avantgarde-Theater" gewichen, das sich offensichtlich selbst überlebt hat.