Crime against Humanity, das Verbrechen gegen die Menschheit, wird im Deutschen, seit es diesen Terminus gibt, auch in der juristischen Fachliteratur nahezu immer falsch als Verbrechen gegen die Menschlichkeit übersetzt. Hannah Arendt führte das in ihrem Buch über den Eichmann-Prozess in Jerusalem darauf zurück, dass gerade die Deutschen das Bedürfnis hatten, den nationalsozialistischen Massenmord kleiner zu reden. Das Verbrechen gegen die Menschheit, der Völkermord und der Angriffskrieg waren Anklagepunkte im Kriegsverbrecherprozess der Alliierten in Nürnberg. Dass sich Naziführung und Wehrmacht und ihre Millionen Mittäter und Mitläufer unmenschlich verhalten hatten, das musste man akzeptieren, aber dass sie sich gegen die Menschheit gestellt, außerhalb der zivilisierten Welt befanden, das wollte man, wie Hannah Arendt meinte, nicht hören. Crime against Humanity bezeichnet ein Verbrechen, dass die Grundregeln des Zusammenlebens der Menschheit verletzt, also etwa den Versuch, einem ganzen Volk das Lebensrecht abzusprechen. Für den Mord an den europäischen Juden hat der polnische Jurist Raphael Lemkin 1944 den Begriff des Genozids geprägt. Seit diesem Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschlands gegen die Menschheit versuchen Juristen Gesetze zu formulieren, die diesen Straftatbestand genau fassen und es möglich machen, ihn zu bestrafen. Aber was ist ein Völkermord? Zählen Vertreibungen, bei denen viele Tote in Kauf genommen werden, die so genannten ethnischen Säuberungen, dazu? Und soll man auch den Abwurf von Atombomben, wie in Hiroshima und Nagasaki, darunter fassen? Und welche Gesetze, welche Gerichtsbarkeit sind in der Lage, die Menschenrechte tatsächlich wirksam zu schützen? Mit diesen Fragen befasst sich seit Jahren der Völkerrechtler William A. Schabas. Er lehrte in Kanada, Frankreich und Österreich und unterrichtet heute in Irland. Er hat Nichtregierungsorganisationen in Südafrika, Kambodscha und Ruanda beraten, also dort, wo es zu Menschrechtsverletzungen erschreckenden Ausmaßes gekommen war. Schabas hat vor drei Jahren eine umfangreiche Studie zum Thema Genozid im Völkerrecht vorgelegt, die nun auch aktualisiert und auf den neuesten Stand gebracht in der Hamburger Edition auf Deutsch herausgekommen ist. Horst Meier hat dieses Buch für uns gelesen:
Es ist wichtig, dass die Menschen erkennen, wie außerordentlich entscheidend das Problem des Genozids für unsere Zivilisation, aber auch für die Existenz der Vereinten Nationen selbst ist. Jeder spürt nun, dass die Zeiten für immer vorbei sind, in denen eine schweigende und glückliche Welt mit Gleichgültigkeit zuschauen kann, wie ganze Gruppen von Menschen aus dem einfachen Grunde vernichtet werden, weil sie zu einer anderen Rasse, Religion oder Kultur gehören.
Am 9. Dezember 1948 tagte die Vollversammlung der Vereinten Nationen in Paris. Sie beschloss einstimmig eine "Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes". Als Geburtshelfer dieser Konvention gilt der polnisch-jüdische Jurist Raphael Lemkin, dessen Eltern in Auschwitz umgebracht wurden. Er selbst, vor den Nazis in die USA geflohen, hatte jahrelang alles daran gesetzt, den Massenmord völkerrechtlich zu ächten. Seinen Erfolg aber empfand Lemkin als Niederlage:
Unglücklicherweise hat es eine kleine, aber starke Opposition jedoch geschafft, die Konvention so weit zu verwässern, dass ein schnelles Handeln auf ihrer Grundlage kaum möglich erscheint. Sollte es dabei bleiben, müssen wir uns von der eigentlichen Idee der Vereinten Nationen verabschieden.
Die Konvention bezeichnete zwar den Völkermord als internationales Verbrechen. Und sie trat auch im Januar 1951 in Kraft, weil sie von mehr als zwanzig Staaten ratifiziert worden war. Aber das Ganze hatte einen entscheidenden Mangel: Das in Artikel VI erwähnte "internationale Strafgericht" wurde nicht eingerichtet, sondern in einer vagen Zusatzerklärung lediglich als wünschenswert bezeichnet. Ohne durchsetzungsfähige Instanz blieb das Vertragswerk, dem bis heute an die 130 Staaten beigetreten sind, jahrzehntelang praktisch bedeutungslos.
Erst seit 1992, mit den Bürgerkriegen im ehemaligen Jugoslawien und dem Völkermord in Ruanda, begann sich das zu ändern. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen errichtete Ad-hoc-Tribunale, gestützt auf die Völkermordkonvention und den weiter gefassten, gewohnheitsrechtlichen Begriff der "Verbrechen gegen die Menschheit". 1998 ergingen gegen ruandische Politiker, darunter den ehemaligen Ministerpräsidenten, die ersten internationalen Urteile, mit denen einzelne Personen wegen Völkermord verurteilt wurden. Und kürzlich erst, nach langen Debatten, konnte ein Ständiger Internationaler Strafgerichtshof konstituiert werden.
Im Zentrum aller rechtlichen Überlegungen zum Völkermord steht die Konvention von 1948. Doch seit den 70er Jahren sind keine einschlägigen Monographien mehr erschienen. Mit seiner Studie über den "Genozid im Völkerrecht" legt William Schabas nun eine Arbeit vor, in der die rechtlichen Probleme des Völkermords und seiner Bestrafung eingehend dargestellt werden. Seine juristischen Analysen sind subtil und arbeiten Literatur und Rechtsprechung kritisch auf, ohne darüber die politischen Rahmenbedingungen zu vernachlässigen. Schabas ist Leiter des Irish Centre for Human Rights, und lehrt in Galway, an der National University of Ireland, humanitäres Völkerrecht. In seinem Buch schildert er eingangs die Entstehungsgeschichte des Genozidverbots. Im übrigen orientiert sich seine Darstellung an der Struktur der 19 Artikel zählenden Konvention.
Der Begriff "Genozid", von Raphael Lemkin geprägt, ist eine Kombination aus dem altgriechischen "genos", das soviel wie "Rasse, Volk, Stamm" bedeutet, und dem lateinischen caedere, das "töten" meint. Die Wortschöpfung "Genozid" bündelt ein Verbrechen, das zwar regelmäßig mit herkömmlichen Tatbeständen wie Mord, Raub oder Vergewaltigung einhergeht, damit aber nicht hinreichend erfasst werden kann. Denn diese Tatbestände bezeichnen nur Teilaspekte eines systematischen Vernichtungsfeldzugs. Völkermord wird, so die Konvention, "in der Absicht begangen, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören". Doch was versteht man konkret darunter? In Artikel II heißt es nach der im Bundesgesetzblatt veröffentlichten deutschen Übersetzung:
In dieser Konvention bedeutet Völkermord eine der folgenden Handlungen:
Tötung von Mitgliedern der Gruppe; Verursachung von schwerem körperlichem oder seelischem Schaden an Mitgliedern der Gruppe; vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen; Verhängung von Maßnahmen, die auf die Geburtenverhinderung innerhalb der Gruppe gerichtet sind; gewaltsame Überführung von Kindern der Gruppe in eine andere Gruppe.
Bei dieser Definition ist es bis heute geblieben. Sie wurde wortwörtlich in das Statut des Ständigen Internationalen Gerichtshofs übernommen. Zu recht, wie William Schabas ausführt. Er verteidigt die eng gefasste Definition gegen Tendenzen, andere schwere Menschenrechtsverletzungen, die völkerrechtlich ebenfalls strafbar sind, als Genozid einzustufen. So hat es zum Beispiel Versuche gegeben, "politische" Gruppen einzubeziehen - um etwa die Gewalttaten lateinamerikanischer Militärdiktaturen gegen Oppositionelle als Völkermord ächten zu können. Dagegen gibt Schabas zu bedenken, die Ausdehnung auf politische Minderheiten ziehe kaum zu behebende Definitionsprobleme nach sich. In der Tat sind politische Gruppen im Gegensatz zu nationalen Minderheiten weitaus weniger stabil und als solche nur schwer abzugrenzen.
Völkermord ist das "Verbrechen aller Verbrechen", wie das Ruanda-Tribunal formulierte, ein Verbrechen großen Stils, das meist als eine "Facette staatlicher Politik" verübt wird. Mit der Größe des Verbrechens wachsen die Schwierigkeiten, es zu bestrafen. Ohne einen Regimewechsel ist daher an eine justizförmige Aufarbeitung gar nicht zu denken. Ganz abgesehen davon stoßen internationale Strafgerichte, wenn sie denn überhaupt tätig werden können, auf enorme juristische Schwierigkeiten. Der belegt das mit zahlreichen Hinweisen auf die Arbeit der Ad-hoc-Tribunale für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda. Da ist zum Beispiel der scheinbar so klare Begriff der "ethnischen Säuberung" - ein Verbrechen, das die Vollversammlung der Vereinten Nationen 1992 zu einer Form des Genozids erklärte. Der aber kommt mit Blick auf die Beratungsprotokolle zu einem ganz anderen Schluss:
Es unterliegt keinem Zweifel, dass die Verfasser der Genozidkonvention ganz bewusst jeden Versuch ablehnten, das Phänomen der 'ethnischen Säuberung' unter die strafbaren Handlungen zu rechnen.
William Schabas erinnert daran, dass die alliierten Siegermächte nach 1945 Millionen Deutsche kurzerhand vertrieben und umsiedelten - eine aus damaliger Sicht harte, aber notwendige Maßnahme. Die Politik ethnischer Homogenisierung wird erst seit Ende des zwanzigsten Jahrhunderts als eine schwere Menschenrechtsverletzung eingestuft. Der nimmt "ethnische Säuberungen" ernst als "Warnsignale", die möglicherweise einen Völkermord ankündigen, beharrt aber auf dem entscheidenden Unterschied: Während die "ethnische Säuberung" auf Vertreibung zielt, beabsichtigt Völkermord die Zerstörung einer Gruppe.
Als Berater von Nichtregierungsorganisationen bereiste William Schabas unter anderem Ruanda. Er befragte Augenzeugen, sicherte Beweise und half dabei, Massengräber auszuheben. Geprägt durch das Versäumnis der Vereinten Nationen, in Ruanda zu intervenieren, um den sich abzeichnenden Völkermord zu verhindern, setzt er auf vorbeugende Maßnahmen:
Die größte ungelöste Frage in der Konvention ist wohl der Sinn des rätselhaften Wortes "verhüten". Abgesehen von Artikel VIII, der die Vertragsparteien berechtigt, sich zur Verhütung von Völkermord an die zuständigen Organe der Vereinten Nationen zu wenden, hat die Konvention wenig Konkretes zu dieser Frage zu sagen. Die Verpflichtung zur Verhütung von Völkermord ist ein leeres Blatt, das darauf wartet, durch Rechtsprechung und Staatenpraxis beschrieben zu werden.
Eine solche Praxis benötigt nicht nur ein Frühwarnsystem, das heißt ein politisch unabhängiges, internationales Institut, das die aktuellen Entwicklungen weltweit dokumentiert und beizeiten Alarm schlägt. Zu einer den Völkermord verhütenden Staatenpraxis gehört auch die Bereitschaft, den Sicherheitsrat zu veranlassen, notfalls eine gewaltsame humanitäre Intervention zu beschließen. Im ersten Entwurf war noch ausdrücklich von einer solchen "Intervention" die Rede. Hier, in der effektiven Bekämpfung von Völkermord, sieht der den entscheidenden Ansatzpunkt, die Konvention weiterzuentwickeln.
Das Buch von William Schabas liest sich über weite Strecken wie ein juristischer Kommentar, ist aber weniger als üblich mit den Umständlichkeiten der Fachliteratur befrachtet. So ist ein völkerrechtliches Nachschlagewerk zum Genozid entstanden, ein Handbuch des Schreckens.
Es gibt derzeit nichts Vergleichbares.
Horst Meier besprach Genozid im Völkerrecht von William A. Schabas. Das Buch, übersetzt von Holger Fliessbach, ist in der Hamburger Edition erschienen, hat 792 Seiten und kostet 40 Euro.
Es ist wichtig, dass die Menschen erkennen, wie außerordentlich entscheidend das Problem des Genozids für unsere Zivilisation, aber auch für die Existenz der Vereinten Nationen selbst ist. Jeder spürt nun, dass die Zeiten für immer vorbei sind, in denen eine schweigende und glückliche Welt mit Gleichgültigkeit zuschauen kann, wie ganze Gruppen von Menschen aus dem einfachen Grunde vernichtet werden, weil sie zu einer anderen Rasse, Religion oder Kultur gehören.
Am 9. Dezember 1948 tagte die Vollversammlung der Vereinten Nationen in Paris. Sie beschloss einstimmig eine "Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes". Als Geburtshelfer dieser Konvention gilt der polnisch-jüdische Jurist Raphael Lemkin, dessen Eltern in Auschwitz umgebracht wurden. Er selbst, vor den Nazis in die USA geflohen, hatte jahrelang alles daran gesetzt, den Massenmord völkerrechtlich zu ächten. Seinen Erfolg aber empfand Lemkin als Niederlage:
Unglücklicherweise hat es eine kleine, aber starke Opposition jedoch geschafft, die Konvention so weit zu verwässern, dass ein schnelles Handeln auf ihrer Grundlage kaum möglich erscheint. Sollte es dabei bleiben, müssen wir uns von der eigentlichen Idee der Vereinten Nationen verabschieden.
Die Konvention bezeichnete zwar den Völkermord als internationales Verbrechen. Und sie trat auch im Januar 1951 in Kraft, weil sie von mehr als zwanzig Staaten ratifiziert worden war. Aber das Ganze hatte einen entscheidenden Mangel: Das in Artikel VI erwähnte "internationale Strafgericht" wurde nicht eingerichtet, sondern in einer vagen Zusatzerklärung lediglich als wünschenswert bezeichnet. Ohne durchsetzungsfähige Instanz blieb das Vertragswerk, dem bis heute an die 130 Staaten beigetreten sind, jahrzehntelang praktisch bedeutungslos.
Erst seit 1992, mit den Bürgerkriegen im ehemaligen Jugoslawien und dem Völkermord in Ruanda, begann sich das zu ändern. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen errichtete Ad-hoc-Tribunale, gestützt auf die Völkermordkonvention und den weiter gefassten, gewohnheitsrechtlichen Begriff der "Verbrechen gegen die Menschheit". 1998 ergingen gegen ruandische Politiker, darunter den ehemaligen Ministerpräsidenten, die ersten internationalen Urteile, mit denen einzelne Personen wegen Völkermord verurteilt wurden. Und kürzlich erst, nach langen Debatten, konnte ein Ständiger Internationaler Strafgerichtshof konstituiert werden.
Im Zentrum aller rechtlichen Überlegungen zum Völkermord steht die Konvention von 1948. Doch seit den 70er Jahren sind keine einschlägigen Monographien mehr erschienen. Mit seiner Studie über den "Genozid im Völkerrecht" legt William Schabas nun eine Arbeit vor, in der die rechtlichen Probleme des Völkermords und seiner Bestrafung eingehend dargestellt werden. Seine juristischen Analysen sind subtil und arbeiten Literatur und Rechtsprechung kritisch auf, ohne darüber die politischen Rahmenbedingungen zu vernachlässigen. Schabas ist Leiter des Irish Centre for Human Rights, und lehrt in Galway, an der National University of Ireland, humanitäres Völkerrecht. In seinem Buch schildert er eingangs die Entstehungsgeschichte des Genozidverbots. Im übrigen orientiert sich seine Darstellung an der Struktur der 19 Artikel zählenden Konvention.
Der Begriff "Genozid", von Raphael Lemkin geprägt, ist eine Kombination aus dem altgriechischen "genos", das soviel wie "Rasse, Volk, Stamm" bedeutet, und dem lateinischen caedere, das "töten" meint. Die Wortschöpfung "Genozid" bündelt ein Verbrechen, das zwar regelmäßig mit herkömmlichen Tatbeständen wie Mord, Raub oder Vergewaltigung einhergeht, damit aber nicht hinreichend erfasst werden kann. Denn diese Tatbestände bezeichnen nur Teilaspekte eines systematischen Vernichtungsfeldzugs. Völkermord wird, so die Konvention, "in der Absicht begangen, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören". Doch was versteht man konkret darunter? In Artikel II heißt es nach der im Bundesgesetzblatt veröffentlichten deutschen Übersetzung:
In dieser Konvention bedeutet Völkermord eine der folgenden Handlungen:
Tötung von Mitgliedern der Gruppe; Verursachung von schwerem körperlichem oder seelischem Schaden an Mitgliedern der Gruppe; vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen; Verhängung von Maßnahmen, die auf die Geburtenverhinderung innerhalb der Gruppe gerichtet sind; gewaltsame Überführung von Kindern der Gruppe in eine andere Gruppe.
Bei dieser Definition ist es bis heute geblieben. Sie wurde wortwörtlich in das Statut des Ständigen Internationalen Gerichtshofs übernommen. Zu recht, wie William Schabas ausführt. Er verteidigt die eng gefasste Definition gegen Tendenzen, andere schwere Menschenrechtsverletzungen, die völkerrechtlich ebenfalls strafbar sind, als Genozid einzustufen. So hat es zum Beispiel Versuche gegeben, "politische" Gruppen einzubeziehen - um etwa die Gewalttaten lateinamerikanischer Militärdiktaturen gegen Oppositionelle als Völkermord ächten zu können. Dagegen gibt Schabas zu bedenken, die Ausdehnung auf politische Minderheiten ziehe kaum zu behebende Definitionsprobleme nach sich. In der Tat sind politische Gruppen im Gegensatz zu nationalen Minderheiten weitaus weniger stabil und als solche nur schwer abzugrenzen.
Völkermord ist das "Verbrechen aller Verbrechen", wie das Ruanda-Tribunal formulierte, ein Verbrechen großen Stils, das meist als eine "Facette staatlicher Politik" verübt wird. Mit der Größe des Verbrechens wachsen die Schwierigkeiten, es zu bestrafen. Ohne einen Regimewechsel ist daher an eine justizförmige Aufarbeitung gar nicht zu denken. Ganz abgesehen davon stoßen internationale Strafgerichte, wenn sie denn überhaupt tätig werden können, auf enorme juristische Schwierigkeiten. Der belegt das mit zahlreichen Hinweisen auf die Arbeit der Ad-hoc-Tribunale für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda. Da ist zum Beispiel der scheinbar so klare Begriff der "ethnischen Säuberung" - ein Verbrechen, das die Vollversammlung der Vereinten Nationen 1992 zu einer Form des Genozids erklärte. Der aber kommt mit Blick auf die Beratungsprotokolle zu einem ganz anderen Schluss:
Es unterliegt keinem Zweifel, dass die Verfasser der Genozidkonvention ganz bewusst jeden Versuch ablehnten, das Phänomen der 'ethnischen Säuberung' unter die strafbaren Handlungen zu rechnen.
William Schabas erinnert daran, dass die alliierten Siegermächte nach 1945 Millionen Deutsche kurzerhand vertrieben und umsiedelten - eine aus damaliger Sicht harte, aber notwendige Maßnahme. Die Politik ethnischer Homogenisierung wird erst seit Ende des zwanzigsten Jahrhunderts als eine schwere Menschenrechtsverletzung eingestuft. Der nimmt "ethnische Säuberungen" ernst als "Warnsignale", die möglicherweise einen Völkermord ankündigen, beharrt aber auf dem entscheidenden Unterschied: Während die "ethnische Säuberung" auf Vertreibung zielt, beabsichtigt Völkermord die Zerstörung einer Gruppe.
Als Berater von Nichtregierungsorganisationen bereiste William Schabas unter anderem Ruanda. Er befragte Augenzeugen, sicherte Beweise und half dabei, Massengräber auszuheben. Geprägt durch das Versäumnis der Vereinten Nationen, in Ruanda zu intervenieren, um den sich abzeichnenden Völkermord zu verhindern, setzt er auf vorbeugende Maßnahmen:
Die größte ungelöste Frage in der Konvention ist wohl der Sinn des rätselhaften Wortes "verhüten". Abgesehen von Artikel VIII, der die Vertragsparteien berechtigt, sich zur Verhütung von Völkermord an die zuständigen Organe der Vereinten Nationen zu wenden, hat die Konvention wenig Konkretes zu dieser Frage zu sagen. Die Verpflichtung zur Verhütung von Völkermord ist ein leeres Blatt, das darauf wartet, durch Rechtsprechung und Staatenpraxis beschrieben zu werden.
Eine solche Praxis benötigt nicht nur ein Frühwarnsystem, das heißt ein politisch unabhängiges, internationales Institut, das die aktuellen Entwicklungen weltweit dokumentiert und beizeiten Alarm schlägt. Zu einer den Völkermord verhütenden Staatenpraxis gehört auch die Bereitschaft, den Sicherheitsrat zu veranlassen, notfalls eine gewaltsame humanitäre Intervention zu beschließen. Im ersten Entwurf war noch ausdrücklich von einer solchen "Intervention" die Rede. Hier, in der effektiven Bekämpfung von Völkermord, sieht der den entscheidenden Ansatzpunkt, die Konvention weiterzuentwickeln.
Das Buch von William Schabas liest sich über weite Strecken wie ein juristischer Kommentar, ist aber weniger als üblich mit den Umständlichkeiten der Fachliteratur befrachtet. So ist ein völkerrechtliches Nachschlagewerk zum Genozid entstanden, ein Handbuch des Schreckens.
Es gibt derzeit nichts Vergleichbares.
Horst Meier besprach Genozid im Völkerrecht von William A. Schabas. Das Buch, übersetzt von Holger Fliessbach, ist in der Hamburger Edition erschienen, hat 792 Seiten und kostet 40 Euro.