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Davon träumt ein jeder Musiker: Das Publikum steht förmlich auf den Stühlen, klatscht, trampelt und fordert mehr. Den Wunsch nach Zugabe erfüllt das Leipziger Streichquartett auf seiner neuen CD: "Encores" versammelt Werke aus dem Zugabenrepertoire des Ensembles mit Kompositionen von Schubert, Bach, Wagner, Piazzolla, Hindemith und anderen.

Von Maja Ellmenreich |
    Davon träumt ein jeder Musiker: Das Publikum steht förmlich auf den Stühlen, klatscht, trampelt und fordert mehr. Die Fans des Leipziger Streichquartetts stellen sich nun vielleicht nicht auf die Polstersitze im Konzertsaal, sie brüllen bestimmt auch nicht aus Leibeskräften "Zugabe" - aber natürlich kennen auch sie das Gefühl: "Das kann, das darf doch noch nicht alles gewesen sein!"

    Und darauf reagiert das preisgekrönte Leipziger Streichquartett natürlich entsprechend: Der Konzertabend ist noch nicht zu Ende, es gibt Verlängerung. Vor kurzem ist bei "Dabringhaus und Grimm" eine ganze CD mit Zugaben des Leipziger Streichquartetts erschienen. "Encores" heißt diese neue Platte, die ich Ihnen heute vorstellen möchte.

    Ungewöhnliches, Überraschendes, aber auch Altbewährtes findet sich darauf - wie Puccinis "Crisantemi".

    " Giacomo Puccini: Crisantemi"

    Wenn es einen Zugaben-Klassiker für Streichquartett gibt, dann ist es "Crisantemi" von Giacomo Puccini. Entsprechend fehlt das kurze Streicherstück auch nicht auf der neuen "Encores"-CD des Leipziger Streichquartetts.

    Leise, sanfte Töne in Moll - Puccinis "Crisantemi" ist nicht gerade ein spieltechnisches Feuerwerk, kein Bravourstück, bei dem einem der Atem stockt; "Crisantemi" besitzt das Potential, durch musikalisch-emotionale Tiefe zu beeindrucken. Und genau das gelingt dem Leipziger Streichquartett: Die vier Musiker wissen die große Gefahr zu vermeiden, einen herzerweichenden Schmachtfetzen abzuliefern.

    Ganz egal, welchen musikalischen Nachtisch das Quartett serviert - ob Schubert, Piazzolla, Haydn oder Hindemith - das Leipziger Streichquartett geht auch auf seiner neuen CD mit der gewohnten Sparsamkeit ans Werk. Ihre Konzert-Desserts geraten weder zu süß, zu klebrig, noch zu bunt.

    Puccinis "Crisantemi" spielen sie erfreulich reserviert, einen Tango von Astor Piazzolla dagegen mit dem nötigen Schalk im Nacken.

    " Astor Piazzolla: Four, for Tango (Ausschnitt)"

    Bei diesem Tango von Astor Piazzolla müssen die Instrumente des Leipziger Streichquartetts einiges aushalten: Kratzen, Quietschen und Knarzen gehört da schlichtweg zum Handwerk.
    Nach einem gediegenen Konzertabend mit Streichquartetten von Haydn und Schubert darf man bei solch einer Zugabe wohl von einem "Kontrastprogramm" sprechen. Nach hoher, edler Kunst darf das Ensemble noch einmal auf die Pauke hauen und sich von einer ganz anderen Seite zeigen. Ein Ventil sowohl für die Musiker wie für die Zuhörer!

    Das Programm der neuen "Encores"-CD vom Leipziger Streichquartett zeigt aber, dass seine Zugaben nicht unbedingt ein solcher Paukenschlag sein müssen. Auf den herzlichen Applaus des Publikums antworten Andreas Seidel, Tilman Büning, Ivo Bauer und Matthias Moosdorf auch gerne mit einem einzelnen Quartettsatz, der losgelöst von seinen Nachbarsätzen als Zugabe ganz anders zur Geltung kommt. Aus Beethovens opus 130 haben sie zum Beispiel die Cavatine ausgewählt; angeblich Beethovens Lieblingsstück; aus Haydns "Kaiserquartett" koppelt das Leipziger Streichquartett schon mal den Variationensatz über "Gott erhalte Franz den Kaiser" aus.

    Alles Stücke, die am Ende eines Quartettabends nicht einer bunten Rakete gleichkommen, sondern ihn abrunden, abschließen und ausklingen lassen. Das Leipziger Streichquartett sagt mit seinen Zugaben Danke, gelegentlich auch "Gute Heimfahrt" und "Gute Nacht".

    " Johann Sebastian Bach: Der Tag ist hin, die Sonne gehet nieder"Der Tag ist hin, die Sonne gehet nieder" - das Leipziger Streichquartett beweist mit diesem Lied aus Schemellis Gesangbuch von Johann Sebastian Bach, das es keine Repertoireschranken kennt und nicht bloß auf die Streichquartett-Meister der Wiener Klassik abonniert ist.
    Mehr als 270 Werke von 70 Komponisten - mit diesen beeindruckenden Zahlen schmückt sich das Leipziger Streichquartett gerne. Und zwar zu Recht! Denn kein anderes Streichquartett wagt sich an solch eine Repertoirebandbreite heran und kann gleichzeitig darauf vertrauen, dass es neuer wie alter Musik mit all ihren Ansprüchen Genüge leisten kann.

    Beweis dafür sind mehr als 60 CDs, die das Leipziger Streichquartett in den 18 Jahren seines Bestehens aufgenommen hat. Beweis sind aber auch zahlreiche Preise und Auszeichnungen: Angefangen beim ARD-Wettbewerb in München, über den Klassik-Echo, den "Diapason d'Or" bis hin zum "Preis der Deutschen Schallplattenkritik".

    Und das Leipziger Streichquartett ist außerdem lebender Beweis, dass sich langjährige Ensemblearbeit auszahlt. Andreas Seidel, Tilman Büning, Ivo Bauer und Matthias Moosdorf bilden ein Ensemble, mit einem Klang, der durchaus wandlungsfähig ist und sich der jeweiligen Musikepoche anpasst, aber dennoch ein Klang bleibt.

    Die viel beschworene Chemie zwischen Streichquartettmitgliedern? Bei den Leipzigern scheint sie zu stimmen. Auch wenn sie nach eigener Auskunft nicht miteinander in den Urlaub fahren würden. Selbst der Klavier-Veteran Menahem Pressler bestätigt ihnen die gute Stimmung, und er kennt sich nun wirklich mit zwischenmenschlichen Dingen bei Kammermusikensembles aus. Pressler beobachtete: "Ein Quartett, das zusammen frühstückt, habe ich noch nicht gesehen!" Franz Schubert: Quartettsatz c-moll, D 703 (Ausschnitt)"

    Auch Schuberts Quartettfragment, Deutsch-Verzeichnis 703, zählt zum Zugaben-Repertoire des Leipziger Streichquartetts.

    Die Idee, eine ganze CD mit "Encores" zu füllen - die ist nun wirklich nicht neu. Pianisten, Streichersolisten und große Orchester haben schon die Gelegenheit ergriffen, ihre Bravourstücke gebündelt dem Publikum anzubieten. Das Emerson String Quartet hat erst vor wenigen Jahren auf einer CD präsentiert, was sein Zugabenfundus so hergab.

    Dennoch ist die "Encores"-CD vom Leipziger Streichquartett ein lobens- und durchaus empfehlenswerter Einzelfall. Es handelt sich nämlich wirklich um eine neue CD: Drei Tage lang haben die vier Streicher aus Leipzig im vergangenen Jahr damit verbracht, ihr Zugabenrepertoire einzuspielen: exklusiv für diese CD. Es ist also kein Sampler-Eintopf, in dem die Reste vorvergangener Aufnahmen eingekocht wurden, sondern eine Art Selbstporträt. Das Leipziger Streichquartett spielt auf allerhöchstem Niveau, was es seinem Publikum mit auf den Nachhauseweg gibt.

    Und da darf bei einem Allround-Ensemble - wie es das Leipziger Streichquartett im besten Sinne des Wortes ist - da darf auch das 20. Jahrhundert nicht fehlen.

    " Charles Ives: Scherzo"

    Ein Scherzo von Charles Ives - gespielt vom Leipziger Streichquartett.

    Auf seiner neuen CD stellt das Ensemble Werke aus seinem Zugabenrepertoire vor - "Encores" heißt die CD demzufolge, mit Kompositionen u.a. von Schubert, Bach, Wagner, Piazzolla und Hindemith. "Encores" ist vor kurzem bei "Dabringhaus und Grimm" erschienen.

    Diskographie
    Titel: "Encores"
    Ensemble: Leipziger Streichquartett
    Label: MDG
    Labelcode: LC 06768
    Bestell-Nr.: 307 1362-2