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Willkommenes Wiedersehen

"Wiedersehen mit Brideshead" ist Evelyn Waughs wohl bekanntester Roman, auch dank mehrerer Verfilmungen, deren neueste gerade in den Kinos läuft. Ein willkommener Anlass, das lange vergriffene Buch endlich wieder aufzulegen.

Von Tobias Lehmkuhl | 28.11.2008
    "Diese Erinnerungen, die mein Leben sind - denn nichts als die Vergangenheit besitzen wir mit Gewissheit, - waren stets bei mir. Gleich den Tauben des Markusplatzes waren sie überall, unter meinen Füßen, einzeln, in Paaren, in kleinen, süß rufenden Gruppen, nickend, einherstolzierend, mit den Augen blinzelnd, das zarte Gefieder am Hals sträubend, manchmal, wenn ich stillhielt, auf meiner Schulter, bis plötzlich der Mittagsschuss erdröhnte und sich das Pflaster unter Geflatter und Flügelschlagen leerte und der Himmel über mir dunkel wurde vom Gewirr der Vögel. So ging es an diesem Morgen im Krieg."

    Es ist kein zartes Stück Gebäck, sondern der Anblick eines durchaus massiven Baus, eines herrschaftlichen Landsitzes mit Kuppeldach nämlich, der in Charles Ryder eine wahre Erinnerungsflut auslöst. Der Krieg hat den nicht mehr ganz jungen Hauptmann nach Brideshead verschlagen, an jenen Ort, der für ihn zwanzig Jahre zuvor mit großem Zauber behaftet war und zu so etwas wie einem Schicksalsort für ihn wurde. Hier liebte er: Erst den zerbrechlichen Sebastian, dann dessen Schwester Julia, eine weitaus entschiedenere Person. Fast wäre er selbst Herr über Brideshead geworden, mangelnder Glaube aber, oder auch der alles zermahlende Lauf der Zeit, wussten dies zu verhindern.

    Dabei lag schon zu Beginn, als Ryder ihr zum ersten Mal begegnete, ein Schatten über der Familie Marchmain, den Bewohnern von Brideshead. Der Erste Weltkrieg war gerade vorbei, und er schien etwas zum Einsturz gebracht zu haben, ohne dass man die Trümmer schon hätte sehen können. Nicht nur Flugzeuge, Panzer und Telefone waren am Horizont aufgezogen, auch ein neuer Geist, ein seelenloses Maschinenbewusstsein trat mit Bestimmtheit auf den Plan.

    "Als die Jahre verstrichen, begann ich, den Verlust von etwas zu beklagen, das ich im Salon von Marchein House und nachher noch ein- oder zweimal gekannt hatte, die Intensität und Einzigartigkeit und die Überzeugung, dass nicht alles lediglich der Hände Werk sei - mit einem Wort die Inspiration."

    Darin unterscheidet sich Evelyn Waughs Roman von Marcel Prousts Opus Magnum: Er zeigt nicht, was verloren gegangen ist, er zeigt die Leere nach dem Verlust. Die Erinnerungen, die das "Wiedersehen mit Brideshead" auslöst, sind zwar durchaus von Nostalgie behaftet, Waughs Held aber weiß, dass die Welt seiner Träume unwiederbringlich verloren gegangen ist. Anders als für Marcel gibt es für Charles Ryder kein Zurück mehr. Selbst Anthony, ein Freund Ryders aus Oxforder Studententagen, der Inbegriff des Dandys, schwul bis unter die Nasenwurzel und maßlos dekadent, wird beim Anblick dieser neuen Zeit ganz anders zumute:

    "Und so kam ich nach England zurück, mein Lieber - gutes altes England", wiederholte er und wies mit einer weit ausholenden Geste auf die Neger, die zu unseren Füßen spielten, auf Mulcaster, der leer vor sich hinglotzte, und auf unsere Gastgeberin, die, mit einem Pyjama bekleidet, sich jetzt mit uns bekannt machte."

    Man kennt diese Welt aus anderen Büchern Waughs, die ständig ausufernden Partys, die Bordellbesuche, das leere Geschwätz, die bohrende Langeweile unter der die mitunter erschreckend gefühlskalten Figuren leiden, ihre Oberflächlichkeit, ihre alkoholischen Exzesse. Sterbenskomisch ist diese Welt, etwa in "Lust und Laster" oder mit "Glanz und Gloria". In "Wiedersehen mit Brideshead" aber tritt die Satire zurück und die unerklärliche, deswegen nicht weniger wahrhaftige Sympathie Waughs mit seinen Figuren, einer Art "verlorener Generation", tritt deutlich zu Tage.

    Und wer mitverfolgt, wie der schöne, charmante Sebastian immer mehr den Halt verliert und dem Alkohol verfällt, der kann nicht anders als Mitleid zu empfinden. Sebastians Schwester Julia, so scheint es wenigstens eine Weile, wird nach einer glücklosen Ehe mit Rex Mottram, der Inkarnation der modernen Zeit, durch die Liebe zu Charles Ryder gerettet. Doch Leidenschaft währt nicht ewig, und am Sterbebett ihres Vaters reißt auch zwischen ihr und Ryder die Kluft zwischen Tradition und Moderne auf. Für einen Moment erweist auch der Held sich hier als ausgehöhlt und nicht von jener Großzügigkeit, die für die Liebe notwendig ist.