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Willow Creek in Karlsruhe
Mehr Show für die Gläubigen

Die stark emotionalisierte Art, mit der das Netzwerk Willow Creek beim Leitungskongress der Evangelischen Kirche die Verkündigung inszeniert, stößt auf gemischte Resonanz. Einige der ehrenamtlichen Helfer, die hier Kraft tanken sollen, begrüßen aber den Versuch, das fromme Vokabular abzulegen.

Von Thomas Wagner | 28.02.2020
Anhänger der US-amerikanischen Willow Creek Gemeinde lauschen gebannt einer Predigt
Emotionale Ansprachen sind typisch für die freikirchlich orientierte Willow Creek-Gemeinde (imago images / ZUMA Press)
Verkündigung als perfekt inszenierte Show: Für die meisten der knapp 8000 Zuhörerinnen und Zuhörer in der riesigen Karlsruher dm-Arena sind die beiden Frauen auf der in dunkles, blaues Licht getauchten Bühne nur als winzige, Stecknadelkopf große Figuren erkennbar. Doch da sind die vier Großbildschirme, die von der Decke herunter ragen. Darauf zu sehen: Danielle Strickland von der Heilsarmee Los Angeles. Mal sachlich, mal in beschwörendem Tonfall hallen ihre Botschaften, vielfach verstärkt, durch den Raum – mal gegen Pornographie, mal gegen sexistisch gesinnte Männer.
"Also sie bringt das natürlich sehr pointiert, sehr lebendig. Sie kommt natürlich aus einem anderen kulturellen Kontext. Ok: Da sind wir nicht ganz so emotional, wie sie es gebracht hat."
"Mit Sicherheit ist die Atmosphäre schon ein wenig amerikanisch geprägt."
Damit liegt der Zuhörer nicht ganz falsch. Denn Veranstalter des "Leitungskongresses 2020", der sich an ehren- und hauptamtliche Helfer aus allen Kirchen richtet, ist der Willow Creek Deutschland e.V., ein Netzwerk für Kirchengemeinden aus dem deutschsprachigen Raum; der Verein gilt als Ableger der gleichnamigen ‚Megachurch‘ aus den USA.
Ehrengast Cornelius-Bundschuh: "Glauben emotional verstärken"
Wenn bei Willow Creek Botschaften verkündet werden, dann erinnert dies an jene evangelikalen Prediger in den USA, die man spätabends beim Zappen durch die Fernsehprogramme in entsprechenden Spartenkanälen bestaunen kann.
"Also ich wäre da sehr skeptisch, ob man das für unsere Gemeinden übernehmen könnte."
Jochen Cornelius-Bundschuh ist als Bischof der evangelischen Landeskirche Baden Ehrengast bei dem "Leitungskongress 2020" von Willow Creek. Den Vortrag der Heilsarmee-Vertreterin hat er sehr wohl vernommen. Allerdings:
"Unser Anspruch, im Evangelium im ‚heute‘ ankommen, ist durch diese Form der Verkündigung nicht zu erfüllen. Diese Form der Darstellung setzt ja auch stark darauf, emotional zu verstärken, was die Menschen bereits mitbringen an Glauben. Und das ist ja auch eine legitime Form. "
Die allerdings häufig von evangelikal geprägten Freikirchen gepflegt wird, die damit aber viele begeistern können. Etliche Mitglieder von "WiIllow Creek" sind diesem Spektrum zuzuordnen. Dennoch gebe es nach Ansicht des badischen Landesbischofs ein gemeinsames Ziel dieser Freikirchen einerseits und den klassischen Kirchen andererseits.
"Ich glaube, die Herausforderung besteht darin, heute Menschen anzusprechen, die erst einmal nicht dazu gehören. Und deswegen kann ich schon verstehen, dass es Kolleginnen und Kollegen, vielleicht auch Gemeinden gibt, die sich fragen: Wie funktioniert das an der Stelle?"
Teilnehmer: "Frommes Vokabular ablegen"
Und genau das ist die Frage, die sich viele der knapp 8000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Karlsruhe stellen. Pfarrer Ernest Ahlefeld von der evangelischen Brüdergemeinde Wilhelmsdorf und Thomas Jansen aus Kalletal bei Bielefeld:
"Ich denke, die Frage nach Glaube und Kirche in unserer Zeit – die klassischen Muster laufen ja nicht mehr. Ich denke, wir müssen auf jeden Fall mal das fromme Vokabular ablegen. So Sachen wie Rechtfertigung, Evangelium – die sagen den Menschen unserer Tage gar nicht viel."
"Viel wird darüber gesprochen: Diese Miteinander und nicht Gegeneinander, zwischen Gemeinden, zwischen Organisationen. Also es gibt bestimmt sehr viele Organisationen und Gemeinden, die sehr viel auf das Traditionelle schauen. Und es gibt Gruppierungen, die sehr viel Moderner unterwegs sind, neue Sachen ausprobieren."
Gerade unter den freikirchlichen Gemeinden tut sich eine weite Spannbreite zwischen fortschrittlichen Strömungen und evangelikaler Traditionalisten wieder; letztere vertreten häufig Positionen, mit denen der evangelische Landesbischof Jochen Cornelius-Bundschuh keine Schnittmenge mehr sieht:
"Das ist die große Spannung – das ist das Hauptproblem für die Menschen, die sich im Deutschen zum evangelikalen Bereich rechnen. Es gibt eben grade im Verhältnis zum Islam und auch im Verhältnis zur Sexualität Gruppen, die extrem fixiert auf diese Punkte sind."
Umstrittener Willow Creek Gründer Bill Hybels
"Diese Haltung zu dieser Frage ist kein Eintrittsticket für irgendetwas, um dabei zu sein oder auch um nicht dabei zu sein."
Kontert Ulrich Eggers, Vorsitzender von Willow Creek Deutschland. Schließlich gehe es um das gemeinsame Ziel, Kirche insgesamt attraktiv zu machen für mehr Menschen als bisher. Und da spiele es keine Rolle, ob eine Gemeinde traditionalistisch oder fortschrittlich ausgerichtet ist. Das gelte auch für die Mitgliedschaft bei Willow Creek.
"Und insofern sind das Fragen, da werden wir Leute haben, die unterschiedliche Meinung haben. Und so werden wir das bewusst tolerieren."
Der Gründer von Willow Creek, Bill Hybels, gab jedoch einen anderen Kurs vor. Homosexuelle sollten keusch leben, Sexualität sei nur in der Ehe erlaubt. Er selbst soll Frauen sexuell belästigt haben. Die Megachurch stufte die Vorwürfe 2019 als glaubwürdig ein. Da war ihr Gründer schon zurückgetreten.