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Windkraft für jedermann

Neubukow ist ein kleines Städtchen im Norden von Mecklenburg, wo es sehr windig ist. Deshalb entsteht dort auch ein riesiges Windrad, 200 Meter hoch. Diesem Goliath steht ein David gegenüber: ein zehn Meter hohes Firmengebäude, in dem kleine Windkraftwerke für den Hausgebrauch entstehen.

Von Jürgen Drewes | 10.05.2012
    So viele Menschen, wie in den vergangenen Wochen, haben Rudolf Lange noch nie anerkennend auf die Schulter geklopft. Seit der Chef eines kleinen Metall verarbeitenden Betriebes in seinem Vorgarten sein selbst entwickeltes Windrad aufgestellt hat, reißt der Strom der Schaulustigen aus dem In- und Ausland nicht ab. Fast alle wollen jetzt selbst so ein Minikraftwerk für den Hausgebrauch haben. Große Windräder schön und gut, meint Rudolf Lange. Mit seiner Firma hat er anderes vor:

    "Es fehlt komplett die Nische klein und fein. Und darauf haben wir uns spezialisiert und haben in den letzten acht Jahren eine Windkraftanlage entwickelt, die speziell für Einfamilienhäuser und kleine Firmen gedacht ist. Und wir sind jetzt also soweit, dass wir die Testphase überstanden haben und wir noch in diesem Jahr an die Kleinserienproduktion gehen."

    Rein äußerlich erinnert bei dieser Minianlage so gar nichts an die klassischen Windräder, die inzwischen überall stehen. Hier sind die typischen drei Rotorflügel in sich gedreht. Bei etlichen Testfahrten auf einem nahegelegenen Flugplatz so lange immer wieder neu ausgerichtet, bis kaum noch etwas zu hören war:

    "Das Design ist komplett anders. Das hängt aber damit zusammen, dass wir die größte Priorität auf die Laufruhe gelegt haben und damit eben auch die Nachbarschaftsakzeptanz gewährleistet ist. Und wenn man es näher erklärt, dann ist das Interesse riesig und es scheint sich dafür auch ein sehr großer Markt zu entwickeln."

    Das bekommt auch Neubukows Bürgermeister Roland Dethloff zu spüren. Plötzlich kann die Stadt, die sich lange Zeit selbst als von Gott und der Welt vergessen fühlte, wieder internationalen Besuch begrüßen. Dethloff freut sich:

    "Dass man mit so einer Sache den Ort in die Welt herausträgt, die Stadt bekannt macht. Also die Welt ist durchaus interessiert an Anlagen aus Neubukow."

    Ganz anders die Diskussion über den großen Bruder der Windkraftanlage für jedermann, der sich gerade am Stadtrand mit jedem Tag ein Stückchen höher in die Lüfte streckt. Rund 200 Meter wird der aktuelle Goliath von Deutschlands größtem Windkraftanlagenhersteller Enercon am Ende groß sein. So riesig, dass sich in der Stadt zunehmend Protest regt. Einwohner befürchten, dass der Schattenwurf der Rotorblätter bis in ihre Wohnzimmer reicht. Minianlagen-Chefkonstrukteur Rudolf Lange schätzt aber auch die ingenieurtechnische Leistung seiner Berufskollegen im friesischen Aurich:

    "Es wird ja, so wie es aussieht, das neue Wahrzeichen von Neubukow sein. Es ist so, dass wir hier der Meinung sind, und so konstruieren wir auch, dass also die Technik sich immer dem Menschen unterordnen sollte, und nicht umgekehrt. Man wird hier mit dieser Anlage sehen, ob das auch passiert, oder ob sie doch so störend wird, dass der Mensch die Technik nicht haben will."

    Der Chef der Kreishandwerkerschaft im Landkreis Rostock, Michael Meuser, hat seine Entscheidung bereits getroffen. Das Aufstellen eines einzelnen Riesenwindrades in der Umgebung bringt die Stadt wirtschaftlich kein Stück weiter. Der Bau vieler kleiner Anlagen schon, meint Meuser:

    "Das ist nun mal so. Da müssen wir von allen Seiten daran denken, dass mehr Betriebe, mehr Industrie sich hier in Neubukow ansiedelt."

    Allein der Start für die Serienproduktion der einzigartigen Windkraftanlage steht derzeit noch aus. Baugenehmigung, Zulassungen, Patente, alles liegt vor. Was fehlt ist ausreichend Geld, um nach der kostenintensiven Entwicklungsphase jetzt auch Material und Maschinen kaufen zu können:

    "Es ist hier aber so, das auch das Land uns tatkräftig unterstützt und wir hoffen also, dass wir im nächsten Vierteljahr die Finanzierung dafür soweit klar haben, dass es dann richtig losgehen kann."

    Erst dann will Rudolf Lange auch den Preis für seine Neuentwicklung festlegen. Inklusive Speichertechnik, wenn mal kein Wind weht. Erschwinglich soll das Ganze sein, so wie es sich für ein Windrad für jedermann gehört. Soweit wollte sich der Firmenchef schon mal festlegen.