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Winterhartes Virus

Im August des vergangenen Jahres wurde sie erstmals offiziell in Deutschland nachgewiesen: die Blauzungenkrankheit, eine Virusinfektion, die vor allem Schafe, aber auch Ziegen und Rinder befällt. Als Verbreitungsweg für das Virus gilt eine Stechmücke, die eigentlich in wärmeren Gebieten heimisch ist, inzwischen aber den Weg auch nach Westeuropa gefunden hat. Viele Landwirte in den betroffenen Regionen hatten gehofft, mit dem Winter hätte sich das Problem erledigt. Dem aber ist nicht so.

Von Joachim Budde |
    Eine gerade mal ein bis zwei Millimeter winzige Mücke hat es geschafft, in fast ganz Deutschland und Teilen seiner westlichen Nachbarländer den Handel mit Wiederkäuern empfindlich zu stören. Denn die Gnitzen haben dafür gesorgt, dass im vergangenen August Rinder und Schafe mit Fieber, Ausschlag, blau angelaufenen Zungen und blutroten Eutern auf der Weide standen. Anfangs wussten nicht einmal die Tierärzte, dass sie es mit dem Blauzungenvirus zu tun hatten.

    Aber auch über die Gnitzen war und ist wenig bekannt, sagt Helge Kampen, Assistent am Institut für medizinische Mikrobiologie, Immunologie und Parasitologie der Universität Bonn.

    " Wir haben eine ungefähre Vorstellung darüber, welche Gnitzenarten hier vorkommen, aber kein Detailwissen, wir wissen kaum etwas über die Verbreitung der Gnitzenarten und ganz wenig auch nur zur Biologie und Ökologie der Gnitzenarten, und wir wissen fast überhaupt nicht, welche Arten hier als Überträger der Blauzungenkrankheit überhaupt in Frage kommen."

    Bis August war lediglich bekannt, dass die Imicola-Gnitze die Krankheit übertragen kann, die - wie das Virus - zuvor lediglich in tropischen und subtropischen Gegenden aufgetaucht war. Schnell stellte sich aber heraus, dass eine heimische Gnitzenart hinter der Verbreitung stecken musste. Denn in den Fallen, mit denen Parasitologen der Universität Düsseldorf schon im August 2006 den kleinen Mücken mit wissenschaftlichem Namen Culicoides nachspürten, fanden sich keine Imicola-Gnitzen, sagt Professor Heinz Mehlhorn, Leiter des Instituts für Parasitologie und Zoologie der Universität Düsseldorf.

    " Wir fanden im wesentlichen eine Art, nämlich Culicoides obsoletus als den Haupttäter oder den Täter überhaupt, und daneben fanden wir nur einige wenige Exemplare von Culicoides pulicaris. Die beiden lieben Rinder aber pulicaris erwies sich, vielleicht auch weil wir nicht genügend Tiere hatten, als nicht empfänglich für das Virus."

    Wie das Virus überhaupt ins Aachener Dreiländereck gelangt ist, wird sich vermutlich nie beantworten lassen. Heinz Mehlhorn vermutet, dass illegale Tiertransporte dahinter stecken. Die Spur nach Südeuropa, wo die Krankheit schon mehrmals aufgetreten ist, verläuft jedenfalls im Sande, denn der Virenstamm in Deutschland ist bisher nur südlich der Sahara aufgetaucht. Für die meisten Rinder verläuft die Krankheit glimpflich. Schafe sind hingegen viel schlimmer betroffen: Im Schnitt sterben 80 Prozent der kranken Tiere. Insgesamt sind laut Bundeslandwirtschaftsministerium 966 Rinder, Schafe und andere Wiederkäuer in Deutschland erkrankt. Mehlhorn schränkt ein:

    " Vielfach sind ja auch Tiere positiv gewesen, seropositiv, und die haben gar keine Krankheitssymptome gezeigt, das heißt, wir wissen eigentlich nur die Spitze des Eisbergs."

    doch auch die unauffälligen Tiere tragen das Virus bis zu 100 Tage in sich. Das sind günstige Voraussetzungen für die Ausbreitung, die der heiße Sommer 2006 noch verbessert hat. Und der extrem milde Winter hat den Experten einen Strich durch die Rechnung gemacht, die gehofft hatten, der Frost könnte das Blauzungenvirus vernichten. Denn im bergischen Hückeswagen ist ein Rind erkrankt, das im Januar noch kein Virus in sich trug. Das Tier hat seinen Zweck erfüllt, es gehört zu den sogenannten Sentinel-Rindern, die Bund und Länder in den betroffenen Gebieten ausgewählt haben, um einen erneuten Ausbruch der Krankheit schnell erkennen zu können. Außerdem werden seit April Gnitzen gefangen, um festzustellen, ob wieder infizierte Insekten unterwegs sind.

    Im Labor untersucht Heinz Mehlhorn zudem, wie sich das Virus in den Gnitzen entwickelt und ob die Weibchen es an ihre Eier weitergeben können. Zudem ganz grundsätzliche Fragen: Wie lange lebt so eine Gnitze eigentlich? Zumindest darüber könnte schon mehr bekannt sein: Helge Kampen von der Universität Bonn hat bereits zwischen 2003 und 2005 mehrere Forschungsanträge gestellt, um Ansprüche und Verhalten von Gnitzen zu untersuchen - vergeblich.

    " Wir wären zumindest heute etwas weiter, als wir es tatsächlich sind, wären diese Forschungsanträge genehmigt worden und hätten wir schon mit der Forschung begonnen."