"Peer Gynt, ja, jetzt muss ich ehrlich sein mit euch, der Peer Gynt war ein Komponist, glaube ich, der ... nein, Edvard Grieg hat er geheißen, der Mann, und er hat eine Peer-Gynt-Hymne gemacht, ich glaub, so heißt das auf Deutsch. Und das ist, ja, ich kann es nicht vormachen, aber es ist eine ganz bekannte Melodie. Und wenn Sie die Musik hören, dann kennen Sie es."
Ben Hartjes, der holländische Koch des Dalseter Hojfjellhotell ist, wenn es um die Helden der norwegischen Literatur und Tonkunst geht, nicht so ganz sattelfest. Edvard Griegs Theatermusik zu Peer Gynt allerdings ist tatsächlich weltbekannt. Als perfekter Soundtrack zur norwegischen Landschaft wirft sie einen sentimentalen Blick auch in die winterklare Weite der Peer Gynt Ski Region, so haben die Norweger werbewirksam das Espedalen getauft: Schnee bedeckte Gipfel bis zum Horizont; Nadelwälder von unten herauf, die sich nach oben im endlosen Weiß verlieren, über allem ein blassblauer, großer Himmel.
Dalseter liegt in der Nordecke des Espedalen, einem Hochplateau auf der Westseite des Gudbrandstals. Touristisch geschickt haben die Norweger viele Gebiete und Orte im Gudbrandstal mit dem Namen des Prahlhans' und Frauenhelden, Weltenbummlers und Sinnsuchers aus Henryk Ibsens Drama verknüpft. Aber was hat Peer Gynt mit dem Gudbrandstal zu tun? Viele Skiurlauber haben schon Probleme mit der Frage, wer Peer Gynt überhaupt war.
"Ich denke, Peer Gynt war irgendein norwegischer Langläufer, der auch ein Frauenheld war. Ich schätze so 1750 irgendwie so um die Zeit.
Hat es damals schon Langlauf gegeben?
Ja, bestimmt. Zwar noch nicht mit den Skiern von heute, sondern mit irgendwelchen Brettern unter den Füßen mit irgendwelchen Bändern angebunden und irgendwelche Stöcke als Skistöcke."
"Peer Gynt, wie ich es verstehe, ist eine norwegische Sagengestalt. Soweit ich weiß, hat er viele Ammenmärchen erzählt, unwahrscheinliche Geschichten, Lügen - ein berühmter Lügner, ein sehr, sehr berühmter Lügner. Er geriet in große Schwierigkeiten. Aber die Leute mochten ihn, obwohl er nie die Wahrheit erzählte."
"Er war im Grunde ein Tunichtgut, jemand der Abenteuer wollte und sich nicht eingliedern wollte. Und dann ist er losgewandert und wollte was erleben. Das Tragische ist, glaube ich, dass er am Ende zurückkommt und nichts vorzuweisen hat, außer, dass er unterwegs war. Letztendlich hat er viele Geschichten erzählt, die dann erzählt werden."
Lena Ende aus Deutschland und der US-Amerikaner Howard Goldman aus Wisconsin kommen der Sache schon recht nah. Ein Experte für Peer Gynt ist im Gudbrandstal Erik Gillebo. Durch die großen Fenster des Kaminzimmers in seinem Hotel in Dalseter kann man bei Tageslicht hinüber sehen bis zu den Gipfelketten von Jotunheimen, Rondane und Dovrefjell. Am Abend leuchtet draußen nur der Schnee im Dunkeln, die Sterne glitzern, das Birkenholzfeuer knistert.
"Einige Leute meinen, der Name käme aus dem Deutschen, Gynt - Günther - Gunther. Aber wir haben auch das Wort "gyne" - nach etwas gucken. Wir sagen in Dialekt: Wi gyne. Ich vermute, dass Per Olson das sehr oft gemacht hat, wenn er da oben herumrannte, Renntiere und Vögel jagte in den Bergen. Da hat er viel herumgeschaut, gyne gemacht, vielleicht nennen sie ihn darum Gynt."
Dass Henryk Ibsen sich seinen Titelhelden zwar ausgedacht, aber keineswegs aus der Luft gegriffen hat, wissen Ibsen-Forscher aus einem Brief. Der Dramatiker hat ihn nach der Fertigstellung des Stücks am 8. August 1867 aus dem freiwilligen Exil in Italien an seinen Verleger geschrieben. Er teilt darin mit, dass Peer Gynt eine, wie er formuliert, "wirkliche Person ist, die früher im Gudbrandstal lebte, vermutlich Ende des vorigen oder Anfang dieses Jahrhunderts". Sein Name", schreibt Ibsen, "ist da immer noch sehr bekannt bei dem gemeinen Volk". Dieser Name, so Gillebo, lautete Per Olson oder, da man in Norwegen früher den Hof, von dem jemand stammte, dem Namen hinzuzufügen pflegte, Per Olson Hage. Er lebte 1732 bis 1785 in der Nähe von Vinstra, dem Ort im Gudbrandstal, von dem aus man den kürzesten Weg hat hinauf nach Dalseter.
"Die Geschichte erzählt, dass er Bauer war im Gudbrandstal, auf Nordagard Haga in Soerdal bei Vinstra. Er war zwar Bauer, aber ich denke, ihm lag es mehr, in den Bergen herumzutoben, zu jagen, zu fischen und auch Ausschau zu halten, nach den netten Mädchen, die auf den Almen in den Bergen die Kühe hüteten. Und er hatte eine rege Fantasie."
Fünfzig Kilometer nördlich von Vinstra, auf der anderen Seiten des Gudbrandstal, fahren wir kurz darauf durch den Rondane Nationalpark. Hier gelten rigide Naturschutzbestimmungen. Autos sind verboten. Die Loipen dürfen nicht wie überall sonst in Norwegen maschinell gespurt werden. Unverstellt von Bäumen und Büschen geht der Blick in eine grandiose Tiefe aus Schnee, Bergen und Himmel. Irgendwann taucht, zunächst nur in Gestalt winziger Punkte, am Fuß Schnee bedeckter Bergriesen, eine Ansammlung kleiner Häuser auf, unter ihnen die Peer-Gynt-Hütte, eine Art nationaler Kultstätte, wo sich alljährlich zu Ostern halb Norwegen auf Langlaufskiern versammelt.
Aus der Nähe ist sie ein in die Schneewüste gegrabener, niedriger Bau aus rohen Natursteinen mit einem flachen Schieferdach; am Giebel ein bleiches Rentiergeweih. Die hölzernen Fensterläden stehen offen, wir haben Glück, denn das bedeutet, die Hütte ist gerade bewirtschaftet. In den niedrigen Räumen im Innern bekommt man warmen Beerensaft, Kakao oder heiße Waffeln mit saurer Sahne und Marmelade. Auf die Frage, ob Peer Gynt auch hier gewesen sei auf seiner Wanderung durch die Welt, schmunzelt Pächter Knut Ulster verlegen. Die Peer Gynt Hütte ist vielleicht halb so alt wie Peer Gynt. Aber Knut Ulster ist ein höflicher Mann.
"Ich bin nicht so sicher. Vielleicht."
Er begleitet uns hinaus und zeigt im Gehen auf eine andere Natursteinhütte in der Ferne.
"Aber die alte Hütte, die etwa 200 Jahre alt ist, die steht ein paar hundert Meter nördlich von hier. Und die Geschichte stimmt bestimmt."
Es ist die Geschichte, die uns darüber unterrichtet, wie Henryk Ibsen von dem Mann erfuhr, der durch ihn zu Peer Gynt wurde. Knut Ulster wirft, als wir wieder drinnen sind, noch ein Stück Holz in den gusseisernen Bollerofen.
Der alte Ofen hat Mühe, im Innern der unverputzten, nur mit dem Nötigsten eingerichteten Peer-Gynt-Hütte für Wärme zu sorgen. Draußen sind es um die zehn Grad minus. Drinnen, wo das Licht durch kleine, beschlagene, in dicke Wände eingelassene Fenster fällt, ist es auf romantisch karge Weise gemütlich.
"Die Historie fing 1842 an, als Asbjörnsen, Per Christen Asbjörnsen, der ein sehr berühmter norwegischer Abenteurer und Sammler war, und er hatte einige Kameraden, die die Historie über Peer Gynt, die Geschichte erforscht haben. Eine Fantasiefigur vielleicht, man weiß nicht? Und etwa zwanzig Jahre später hat Henryk Ibsen diese Geschichte gehört und saß vielleicht in Italien und schrieb das Schauspiel Peer Gynt."
Über Per Christen Asbjörnsen, eine Art Bruder Grimm Norwegens, erfahren wir mehr, nachdem wir von der Peer-Gynt-Hütte zehn Kilometer nordwärts gelaufen sind, nach Putten Seter, einem ehemaligen Bauernhof, den die Besitzerfamilie Swastuen zum Urlaubsort für langlaufbegeisterte Mitteleuropäer ausgebaut hat.
"Die Geschichte von Peer Gynt ist einem Mann erzählt worden, der Asbjörnsen hieß und der Märchen gesammelt hat in Norwegen. Er hat drei dicke Bücher voll Märchen gesammelt, Geschichten von der alten Zeit in ganz Norwegen. Wir denken, dass Ibsen die Geschichte möglicherweise von Asbjörnsen hat, weil sie zusammenarbeiteten in Oslo. Er hörte die Geschichte und kam dann selbst hierher, um mehr über Peer Gynt zu erfahren."
Asbjörnsen war allerdings nicht der Einzige, der den Mann ausfindig gemacht haben könnte, welcher zu Ibsens Peer Gynt wurde. Maj-Britt Swastuen verfolgt die Spur weiter zurück. Jemand taucht auf, der Ibsen aus Christiania kannte, wie Oslo bis 1924 hieß. Er wohnte zuvor lange in Selsverker, in der Nähe von Otta, einem weiteren Ort im nördlichen Gudbrandstal.
"Vielleicht der Allererste, der von Peer Gynt erzählte, war ein Mann, der in Selsverker lebte. Sein Name war Paul Botten Hansen. Er lebte zur selben Zeit wie Asbjörnsen und Ibsen. Er schrieb auch einige Geschichten. Und er war Bibliothekar. Er hat eine Unmenge Bücher gesammelt, eine der größten Sammlungen im ganzen Land. Und all diese Leute, Intellektuelle, literarisch Interessierte, arbeiteten zusammen in Christiania zu der Zeit, und Ibsen und Asbjörnsen wussten mit Sicherheit über all das Bescheid und sprachen darüber."
Es gibt Himbeerbeersaft zum Abendessen in Putten Seter und Elchfleisch mit Flatbröd. Als das Gespräch auf Espedalen kommt, und auf Per Olson Hage aus Vinstra, der, folgt man Erik Gillebo, zu Peer Gynt wurde, hebt Hans Swastuen die Hand.
"Die träumen von so etwas in der Nachbargemeinde. Ja, aber das ist falsch. Weil die Geschichte in dieser Gemeinde spielt, in Sel."
Der Held der Geschichte in Sel hieß nur eben nicht Per Olson Hage, sondern Peder Siverdsen Haga. Interessant, dass beide denselben Hof Haga im Namen führen. Peder Siverdsens Geschichte, wie sie Hans Swastuen erzählt, klingt wie ein Märchen. Anders als die Konkurrenz-Version aus Vinstra hat sie allerdings Ähnlichkeit mit dem Beginn von Ibsens Drama. Dort heiratet der junge, arme Peer die unattraktive Tochter eines reichen Bauern und verlässt sie noch am Hochzeitstag.
Die Geschichte beginnt auf einem Hof in Nord-Sel, einem berühmten Hof in dieser Zeit, der einem berühmten und mächtigen Bauern gehörte. Der hatte eine Tochter, die fand keinen Mann, das war das Problem, wir wissen nicht warum. Darum versprach er, dass er dem Mann, der seine Tochter heiratete, einen Hof kaufen würde. Es kam auch einer, der schon ein bisschen auf dem Hof dort gearbeitet hatte. Peder Siverdsen Haga hieß er, er kam von Haga. Und er sagte: "Ja, ich heirate deine Tochter, wenn ich den Hof bekomme." Ich habe zu Hause eine Kopie des Vertrages, kann ich später zeigen: "Du sollst Dich immer gut benehmen", verlangt der alte Mann in dem Vertrag, "freundlich sein zu mir und meiner Tochter, gerade so, als wärst du mein eigener Sohn, dann bekommst du den Hof". Wir kennen den Hof übrigens, er liegt nah bei unserem eigenen unten im Tal. Er heißt Scotter. Wir haben auch die Papiere, die belegen, dass der alte Bauer den Hof kaufte für Peder Siverdsen Haga. Der bekam Hof und Tochter. Aber die Ehe hielt nur drei Jahre. Und dann konnte dieser Peder Siverdsen dort vielleicht nicht länger bleiben, wir wissen nicht, was schief ging. Irgendwas muss gewesen sein. Er ging in die Berge, um dem Hof zu entfliehen, lebte hier oben und bekam den Namen Peer Gynt.
Der Mann der Peer Gynt war, ist indessen nicht das Einzige, was Henryk Ibsen aus den Märchen und Realbiografien des nördlichen Gudbrandstals mitgenommen hat. Nachdem Peer Gynt sich dem Schicksal eines reichen Bauern entzogen hatte, begegnet er in den Bergen der nächsten Braut. Diese Episode spielt im Dovrejfell, das unweit von Putten Seter und der Ortschaft Hoevringen ans Rondane-Gebirge grenzt. Fjell bedeutet norwegisch Berg, Fels, genauer: Land über der Baumgrenze. Im Dovrefjell liegt bei Ibsen das Reich der Trolle. Peer Gynts zweiter Heiratsversuch gilt der Trollprinzessin. Er hätte sich nur in einen Troll verwandeln lassen müssen, schon wäre Peer Troll-König geworden. Aber er flüchtet abermals.
Die Norweger sind sich anscheinend nicht alle sicher, ob die Trolle tatsächlich ins Reich der Fabel gehören. Sie passen so gut in die langen Dämmerstunden des norwegischen Winters. Und als Skifahrer hat man schon mal das Gefühl, dass es Situationen gibt, in denen es von Vorteil wäre, sich gut zu stellen mit den kleinen Wesen unterm Schnee. Eigentlich weiß niemand genau, wie sie aussehen, etliche schwören allerdings Stein und Bein, dass die langen Fasern und Fäden an den Ästen und Zweigen vieler Bäume in Wäldern, nicht etwa Moosflechten sind, sondern die Haare der Trolle.
"Zwischen Hoevringen und Skoverseter gibt es einen Wald namens Varfjelle. Dort lebten die Trolle, ja, sie leben immer noch, na klar, sicher."
"Als ich ein kleiner Junge war, sechs oder sieben Jahre alt, hier oben in den Bergen, liebte es die ältere Generation, von Trollen zu erzählen - oder eigentlich nicht von Trollen, sondern von den Leuten, die unter der Erde leben, das ist ein Unterschied. Troll ist Troll! Aber diese kleinen Menschen, das sind die Untergrundleute, so nannten sie sie. Sie sehen aus wie Menschen, nur kleiner. Und wenn man noch eine Generation zurückgeht, dann haben sie wirklich existiert. Denn es gab viele Rituale im Umgang mit diesen Leuten. Wenn unsere Vorfahren beispielsweise in den Almhütten gearbeitet haben, haben sie viel heißes Wasser verbraucht, wenn sie Käse gemacht haben etwa. Und wenn sie dieses heiße Wasser zum Fenster hinaus schütteten, haben sie immer erst gerufen: "Hier kommt heißes Wasser!" - extra, damit die kleinen Leute sich nicht verbrühen. Und wenn sie am Ende des Sommers die Hütten verließen, im Herbst, haben sie das Haus nie abgeschlossen. Es sollte immer offen bleiben für den Fall, dass die kleinen Leute hinein wollten. Es war sehr aufregend, ihnen zuzuhören. Meine Großeltern erzählten mir von deren Eltern und ihren Geschichten, aber ich spürte, dass sie sich nicht so ganz sicher waren. Wirklich."
"Vielleicht sehen Trolle so ein bisschen aus wie Pilze, wenn sie unter dem Moos gewachsen sind und so ein kleines Mäntelchen über dem Kopf haben. So stelle ich mir Trolle vor. Wenn man den Nachbildungen glaubt, sind sie klein, haben Gnubbelnasen und ganz rote Wangen. Ungefähr so, wie wenn ich vom Ski komme."
Ben Hartjes, der holländische Koch des Dalseter Hojfjellhotell ist, wenn es um die Helden der norwegischen Literatur und Tonkunst geht, nicht so ganz sattelfest. Edvard Griegs Theatermusik zu Peer Gynt allerdings ist tatsächlich weltbekannt. Als perfekter Soundtrack zur norwegischen Landschaft wirft sie einen sentimentalen Blick auch in die winterklare Weite der Peer Gynt Ski Region, so haben die Norweger werbewirksam das Espedalen getauft: Schnee bedeckte Gipfel bis zum Horizont; Nadelwälder von unten herauf, die sich nach oben im endlosen Weiß verlieren, über allem ein blassblauer, großer Himmel.
Dalseter liegt in der Nordecke des Espedalen, einem Hochplateau auf der Westseite des Gudbrandstals. Touristisch geschickt haben die Norweger viele Gebiete und Orte im Gudbrandstal mit dem Namen des Prahlhans' und Frauenhelden, Weltenbummlers und Sinnsuchers aus Henryk Ibsens Drama verknüpft. Aber was hat Peer Gynt mit dem Gudbrandstal zu tun? Viele Skiurlauber haben schon Probleme mit der Frage, wer Peer Gynt überhaupt war.
"Ich denke, Peer Gynt war irgendein norwegischer Langläufer, der auch ein Frauenheld war. Ich schätze so 1750 irgendwie so um die Zeit.
Hat es damals schon Langlauf gegeben?
Ja, bestimmt. Zwar noch nicht mit den Skiern von heute, sondern mit irgendwelchen Brettern unter den Füßen mit irgendwelchen Bändern angebunden und irgendwelche Stöcke als Skistöcke."
"Peer Gynt, wie ich es verstehe, ist eine norwegische Sagengestalt. Soweit ich weiß, hat er viele Ammenmärchen erzählt, unwahrscheinliche Geschichten, Lügen - ein berühmter Lügner, ein sehr, sehr berühmter Lügner. Er geriet in große Schwierigkeiten. Aber die Leute mochten ihn, obwohl er nie die Wahrheit erzählte."
"Er war im Grunde ein Tunichtgut, jemand der Abenteuer wollte und sich nicht eingliedern wollte. Und dann ist er losgewandert und wollte was erleben. Das Tragische ist, glaube ich, dass er am Ende zurückkommt und nichts vorzuweisen hat, außer, dass er unterwegs war. Letztendlich hat er viele Geschichten erzählt, die dann erzählt werden."
Lena Ende aus Deutschland und der US-Amerikaner Howard Goldman aus Wisconsin kommen der Sache schon recht nah. Ein Experte für Peer Gynt ist im Gudbrandstal Erik Gillebo. Durch die großen Fenster des Kaminzimmers in seinem Hotel in Dalseter kann man bei Tageslicht hinüber sehen bis zu den Gipfelketten von Jotunheimen, Rondane und Dovrefjell. Am Abend leuchtet draußen nur der Schnee im Dunkeln, die Sterne glitzern, das Birkenholzfeuer knistert.
"Einige Leute meinen, der Name käme aus dem Deutschen, Gynt - Günther - Gunther. Aber wir haben auch das Wort "gyne" - nach etwas gucken. Wir sagen in Dialekt: Wi gyne. Ich vermute, dass Per Olson das sehr oft gemacht hat, wenn er da oben herumrannte, Renntiere und Vögel jagte in den Bergen. Da hat er viel herumgeschaut, gyne gemacht, vielleicht nennen sie ihn darum Gynt."
Dass Henryk Ibsen sich seinen Titelhelden zwar ausgedacht, aber keineswegs aus der Luft gegriffen hat, wissen Ibsen-Forscher aus einem Brief. Der Dramatiker hat ihn nach der Fertigstellung des Stücks am 8. August 1867 aus dem freiwilligen Exil in Italien an seinen Verleger geschrieben. Er teilt darin mit, dass Peer Gynt eine, wie er formuliert, "wirkliche Person ist, die früher im Gudbrandstal lebte, vermutlich Ende des vorigen oder Anfang dieses Jahrhunderts". Sein Name", schreibt Ibsen, "ist da immer noch sehr bekannt bei dem gemeinen Volk". Dieser Name, so Gillebo, lautete Per Olson oder, da man in Norwegen früher den Hof, von dem jemand stammte, dem Namen hinzuzufügen pflegte, Per Olson Hage. Er lebte 1732 bis 1785 in der Nähe von Vinstra, dem Ort im Gudbrandstal, von dem aus man den kürzesten Weg hat hinauf nach Dalseter.
"Die Geschichte erzählt, dass er Bauer war im Gudbrandstal, auf Nordagard Haga in Soerdal bei Vinstra. Er war zwar Bauer, aber ich denke, ihm lag es mehr, in den Bergen herumzutoben, zu jagen, zu fischen und auch Ausschau zu halten, nach den netten Mädchen, die auf den Almen in den Bergen die Kühe hüteten. Und er hatte eine rege Fantasie."
Fünfzig Kilometer nördlich von Vinstra, auf der anderen Seiten des Gudbrandstal, fahren wir kurz darauf durch den Rondane Nationalpark. Hier gelten rigide Naturschutzbestimmungen. Autos sind verboten. Die Loipen dürfen nicht wie überall sonst in Norwegen maschinell gespurt werden. Unverstellt von Bäumen und Büschen geht der Blick in eine grandiose Tiefe aus Schnee, Bergen und Himmel. Irgendwann taucht, zunächst nur in Gestalt winziger Punkte, am Fuß Schnee bedeckter Bergriesen, eine Ansammlung kleiner Häuser auf, unter ihnen die Peer-Gynt-Hütte, eine Art nationaler Kultstätte, wo sich alljährlich zu Ostern halb Norwegen auf Langlaufskiern versammelt.
Aus der Nähe ist sie ein in die Schneewüste gegrabener, niedriger Bau aus rohen Natursteinen mit einem flachen Schieferdach; am Giebel ein bleiches Rentiergeweih. Die hölzernen Fensterläden stehen offen, wir haben Glück, denn das bedeutet, die Hütte ist gerade bewirtschaftet. In den niedrigen Räumen im Innern bekommt man warmen Beerensaft, Kakao oder heiße Waffeln mit saurer Sahne und Marmelade. Auf die Frage, ob Peer Gynt auch hier gewesen sei auf seiner Wanderung durch die Welt, schmunzelt Pächter Knut Ulster verlegen. Die Peer Gynt Hütte ist vielleicht halb so alt wie Peer Gynt. Aber Knut Ulster ist ein höflicher Mann.
"Ich bin nicht so sicher. Vielleicht."
Er begleitet uns hinaus und zeigt im Gehen auf eine andere Natursteinhütte in der Ferne.
"Aber die alte Hütte, die etwa 200 Jahre alt ist, die steht ein paar hundert Meter nördlich von hier. Und die Geschichte stimmt bestimmt."
Es ist die Geschichte, die uns darüber unterrichtet, wie Henryk Ibsen von dem Mann erfuhr, der durch ihn zu Peer Gynt wurde. Knut Ulster wirft, als wir wieder drinnen sind, noch ein Stück Holz in den gusseisernen Bollerofen.
Der alte Ofen hat Mühe, im Innern der unverputzten, nur mit dem Nötigsten eingerichteten Peer-Gynt-Hütte für Wärme zu sorgen. Draußen sind es um die zehn Grad minus. Drinnen, wo das Licht durch kleine, beschlagene, in dicke Wände eingelassene Fenster fällt, ist es auf romantisch karge Weise gemütlich.
"Die Historie fing 1842 an, als Asbjörnsen, Per Christen Asbjörnsen, der ein sehr berühmter norwegischer Abenteurer und Sammler war, und er hatte einige Kameraden, die die Historie über Peer Gynt, die Geschichte erforscht haben. Eine Fantasiefigur vielleicht, man weiß nicht? Und etwa zwanzig Jahre später hat Henryk Ibsen diese Geschichte gehört und saß vielleicht in Italien und schrieb das Schauspiel Peer Gynt."
Über Per Christen Asbjörnsen, eine Art Bruder Grimm Norwegens, erfahren wir mehr, nachdem wir von der Peer-Gynt-Hütte zehn Kilometer nordwärts gelaufen sind, nach Putten Seter, einem ehemaligen Bauernhof, den die Besitzerfamilie Swastuen zum Urlaubsort für langlaufbegeisterte Mitteleuropäer ausgebaut hat.
"Die Geschichte von Peer Gynt ist einem Mann erzählt worden, der Asbjörnsen hieß und der Märchen gesammelt hat in Norwegen. Er hat drei dicke Bücher voll Märchen gesammelt, Geschichten von der alten Zeit in ganz Norwegen. Wir denken, dass Ibsen die Geschichte möglicherweise von Asbjörnsen hat, weil sie zusammenarbeiteten in Oslo. Er hörte die Geschichte und kam dann selbst hierher, um mehr über Peer Gynt zu erfahren."
Asbjörnsen war allerdings nicht der Einzige, der den Mann ausfindig gemacht haben könnte, welcher zu Ibsens Peer Gynt wurde. Maj-Britt Swastuen verfolgt die Spur weiter zurück. Jemand taucht auf, der Ibsen aus Christiania kannte, wie Oslo bis 1924 hieß. Er wohnte zuvor lange in Selsverker, in der Nähe von Otta, einem weiteren Ort im nördlichen Gudbrandstal.
"Vielleicht der Allererste, der von Peer Gynt erzählte, war ein Mann, der in Selsverker lebte. Sein Name war Paul Botten Hansen. Er lebte zur selben Zeit wie Asbjörnsen und Ibsen. Er schrieb auch einige Geschichten. Und er war Bibliothekar. Er hat eine Unmenge Bücher gesammelt, eine der größten Sammlungen im ganzen Land. Und all diese Leute, Intellektuelle, literarisch Interessierte, arbeiteten zusammen in Christiania zu der Zeit, und Ibsen und Asbjörnsen wussten mit Sicherheit über all das Bescheid und sprachen darüber."
Es gibt Himbeerbeersaft zum Abendessen in Putten Seter und Elchfleisch mit Flatbröd. Als das Gespräch auf Espedalen kommt, und auf Per Olson Hage aus Vinstra, der, folgt man Erik Gillebo, zu Peer Gynt wurde, hebt Hans Swastuen die Hand.
"Die träumen von so etwas in der Nachbargemeinde. Ja, aber das ist falsch. Weil die Geschichte in dieser Gemeinde spielt, in Sel."
Der Held der Geschichte in Sel hieß nur eben nicht Per Olson Hage, sondern Peder Siverdsen Haga. Interessant, dass beide denselben Hof Haga im Namen führen. Peder Siverdsens Geschichte, wie sie Hans Swastuen erzählt, klingt wie ein Märchen. Anders als die Konkurrenz-Version aus Vinstra hat sie allerdings Ähnlichkeit mit dem Beginn von Ibsens Drama. Dort heiratet der junge, arme Peer die unattraktive Tochter eines reichen Bauern und verlässt sie noch am Hochzeitstag.
Die Geschichte beginnt auf einem Hof in Nord-Sel, einem berühmten Hof in dieser Zeit, der einem berühmten und mächtigen Bauern gehörte. Der hatte eine Tochter, die fand keinen Mann, das war das Problem, wir wissen nicht warum. Darum versprach er, dass er dem Mann, der seine Tochter heiratete, einen Hof kaufen würde. Es kam auch einer, der schon ein bisschen auf dem Hof dort gearbeitet hatte. Peder Siverdsen Haga hieß er, er kam von Haga. Und er sagte: "Ja, ich heirate deine Tochter, wenn ich den Hof bekomme." Ich habe zu Hause eine Kopie des Vertrages, kann ich später zeigen: "Du sollst Dich immer gut benehmen", verlangt der alte Mann in dem Vertrag, "freundlich sein zu mir und meiner Tochter, gerade so, als wärst du mein eigener Sohn, dann bekommst du den Hof". Wir kennen den Hof übrigens, er liegt nah bei unserem eigenen unten im Tal. Er heißt Scotter. Wir haben auch die Papiere, die belegen, dass der alte Bauer den Hof kaufte für Peder Siverdsen Haga. Der bekam Hof und Tochter. Aber die Ehe hielt nur drei Jahre. Und dann konnte dieser Peder Siverdsen dort vielleicht nicht länger bleiben, wir wissen nicht, was schief ging. Irgendwas muss gewesen sein. Er ging in die Berge, um dem Hof zu entfliehen, lebte hier oben und bekam den Namen Peer Gynt.
Der Mann der Peer Gynt war, ist indessen nicht das Einzige, was Henryk Ibsen aus den Märchen und Realbiografien des nördlichen Gudbrandstals mitgenommen hat. Nachdem Peer Gynt sich dem Schicksal eines reichen Bauern entzogen hatte, begegnet er in den Bergen der nächsten Braut. Diese Episode spielt im Dovrejfell, das unweit von Putten Seter und der Ortschaft Hoevringen ans Rondane-Gebirge grenzt. Fjell bedeutet norwegisch Berg, Fels, genauer: Land über der Baumgrenze. Im Dovrefjell liegt bei Ibsen das Reich der Trolle. Peer Gynts zweiter Heiratsversuch gilt der Trollprinzessin. Er hätte sich nur in einen Troll verwandeln lassen müssen, schon wäre Peer Troll-König geworden. Aber er flüchtet abermals.
Die Norweger sind sich anscheinend nicht alle sicher, ob die Trolle tatsächlich ins Reich der Fabel gehören. Sie passen so gut in die langen Dämmerstunden des norwegischen Winters. Und als Skifahrer hat man schon mal das Gefühl, dass es Situationen gibt, in denen es von Vorteil wäre, sich gut zu stellen mit den kleinen Wesen unterm Schnee. Eigentlich weiß niemand genau, wie sie aussehen, etliche schwören allerdings Stein und Bein, dass die langen Fasern und Fäden an den Ästen und Zweigen vieler Bäume in Wäldern, nicht etwa Moosflechten sind, sondern die Haare der Trolle.
"Zwischen Hoevringen und Skoverseter gibt es einen Wald namens Varfjelle. Dort lebten die Trolle, ja, sie leben immer noch, na klar, sicher."
"Als ich ein kleiner Junge war, sechs oder sieben Jahre alt, hier oben in den Bergen, liebte es die ältere Generation, von Trollen zu erzählen - oder eigentlich nicht von Trollen, sondern von den Leuten, die unter der Erde leben, das ist ein Unterschied. Troll ist Troll! Aber diese kleinen Menschen, das sind die Untergrundleute, so nannten sie sie. Sie sehen aus wie Menschen, nur kleiner. Und wenn man noch eine Generation zurückgeht, dann haben sie wirklich existiert. Denn es gab viele Rituale im Umgang mit diesen Leuten. Wenn unsere Vorfahren beispielsweise in den Almhütten gearbeitet haben, haben sie viel heißes Wasser verbraucht, wenn sie Käse gemacht haben etwa. Und wenn sie dieses heiße Wasser zum Fenster hinaus schütteten, haben sie immer erst gerufen: "Hier kommt heißes Wasser!" - extra, damit die kleinen Leute sich nicht verbrühen. Und wenn sie am Ende des Sommers die Hütten verließen, im Herbst, haben sie das Haus nie abgeschlossen. Es sollte immer offen bleiben für den Fall, dass die kleinen Leute hinein wollten. Es war sehr aufregend, ihnen zuzuhören. Meine Großeltern erzählten mir von deren Eltern und ihren Geschichten, aber ich spürte, dass sie sich nicht so ganz sicher waren. Wirklich."
"Vielleicht sehen Trolle so ein bisschen aus wie Pilze, wenn sie unter dem Moos gewachsen sind und so ein kleines Mäntelchen über dem Kopf haben. So stelle ich mir Trolle vor. Wenn man den Nachbildungen glaubt, sind sie klein, haben Gnubbelnasen und ganz rote Wangen. Ungefähr so, wie wenn ich vom Ski komme."