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Winterradeln in Stockholm

Muss man sein Rad im Schuppen lassen, wenn es anfängt zu schneien? Nein, sagen immer mehr Menschen in Stockholm und gehen zu Beginn des Winters in die Werkstatt, um den Reifenwechsel vornehmen zu lassen.

Von Agnes Bührig |
    Thomas Fahlman kämpft sich durch den Schnee. Das Thermometer ist auf Werte um den Gefrierpunkt gestiegen, auf dem Fahrradweg haben sich matschige Spurrillen gebildet. Angestrengt tritt der Mittfünfziger mit dem grauen Bärtchen in die Pedale seines grünen Tourenrades. Unter dem windschnittigen Helm trägt er eine dünne Mütze, die Hände stecken in dicken Fäustlingen. Vor fünf Jahren entdeckte er seine Liebe zum Winterradeln:

    "Auf der Arbeit sitze ich den ganzen Tag lang still. Das Fahrradfahren ist ein guter Ausgleich. Außerdem bin ich schneller als mit dem Bus. Mit dem Auto ginge es noch schneller, aber dann müsste ich zweimal an der Mautstation den Innenstadtzuschlag bezahlen, das sind fünf Euro pro Arbeitstag. Mit dem Fahrrad spare ich auch die Monatskarte für Bus und Bahn."

    Heute kommt Fahlman allerdings nicht richtig schnell voran. Aber das macht ihm nichts aus. Ruhig und bedächtig zu fahren ist sowieso das a und o, um sicher durch den Verkehr zu kommen, versichert der schwedische Winterradfahrer. Wenn er es sich aussuchen kann, fährt er am liebsten auf Neuschnee. Wenn die Wege erst einmal geräumt sind, bilden sich vereiste Stellen und Spurrillen, auf denen man leicht ausrutscht. Passiert ist ihm das nur einmal, da hatte er noch keine Winterreifen aufgezogen, sagt Fahlmann:

    "Die Glätte kann ganz plötzlich kommen. Am Morgen kann es kalt und eisig sein, auch, wenn noch kein Schnee liegt. Dann steigen die Temperaturen auf milde Temperaturen am Tag und am Abend ist das Eis wieder da. Ich gehe auf Nummer sicher und wechsle schon im Oktober oder November die Reifen."

    Seine Werkstatt ist ein hell erleuchteter Fahrradladen im Stockholmer Vorort Hammarby Sjöstad. Vor der breiten Fensterfront stehen massive Zweiräder der Traditionsmarke Skeppshult in Reih und Glied, daneben ragen Stangen aus der Wand, die mit Reifen behängt sind. Grobes Profil verkauft sich bei Cycle Corner in diesem Winter besonders gut, sagt Magnus Lindholm und greift sich ein Exemplar heraus, das mit Spikes übersät ist:

    "Wir verkaufen Winterreifen aus Finnland. Das sind die Besten. Vermutlich, weil der Winter dort so lang ist. Je nachdem, wo man fährt, kann man zwischen 74, 106 oder 240 Spikes pro Reifen wählen. Je mehr Nägel montiert sind, desto stärker krallt sich das Fahrrad in den Untergrund. Dann muss man aber auch stärker in die Pedale treten. Die meisten Kunden wählen die mittlere Variante."

    Und es werden immer mehr, freut sich Lindholm. In dieser Saison hat er in den ersten drei Wochen so viele Winterreifen verkauft wie im ganzen letzten Jahr. Der Grund dafür liegt auf der Hand, meint der junge Verkäufer und streicht sich eine Ponysträhne aus dem Gesicht:

    "Im letzten Jahr haben sich viele Leute noch gedacht, dass wir so einen schneereichen Winter die nächsten 25 Jahre nicht wieder sehen werden. Als sich dann ein weiterer harter Winter ankündigte, hielten viele Winterreifen für eine gute Investition. Auch die Zahl der Arbeitspendler, die in Stockholm mit dem Fahrrad fahren, steigt stetig."

    Um mehr als 130 Prozent haben die Winterradler in den letzten sechs Jahren zugenommen, hat die Stadt Stockholm ausgerechnet. Als Schwede ist man eben an Schnee und Eis gewöhnt, meint auch Lars Danielsson, der sich im Laden gerade nach einem neuen Drahtesel umsieht:

    "Wir sind Wikinger. Natürlich fahren wir das Ganze Jahr lang. Ich kann mir auch vorstellen, mit Winterreifen zu fahren. Meine Tochter lässt ihr Fahrrad keinen Tag lang im Schuppen stehen. Im Herbst wechselt sie allerdings von Sommerreifen auf Spikes."

    Auf dem Gehweg vor dem Laden hat sich unterdessen ein Bagger ans Werk gemacht. Mit seiner flachen Baggerschaufel schrammt er übers Trottoir. Scheinbar mühelos bricht sie die Eisschicht auf, schiebt sie zu einem Haufen zusammen und befördert diesen in einen wartenden Lkw. Das war auch höchste Zeit, freut sich Thomas Fahlman:

    "Hier auf dem Weg kommt man mit dem Fahrrad schlecht durch. Wenn sie nicht räumen, muss ich auf die Straße ausweichen. Zum Glück kann ich auf dem Weg zur Arbeit Seitenstraßen fahren, ..."
    ,sagt Fahlmann und schwingt sich wieder auf sein grünes Rad, an dessen hinteren Rahmen sich Eisklumpen festgesetzt haben. Dann verschwindet er ganz langsam Richtung Horizont.