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Wintervögelzählung
"Es fehlt ein ganzer Teil von Vögeln"

Die Zählaktion "Stunde der Wintervögel" hat bestätigt, was viele Vogelfreunde schon längst vermutet haben: In diesem Winter gibt es weniger Singvögel. Man habe mittlerweile auch schon einige Hinweise auf mögliche Gründe, sagte der Ornithologe Lars Lachnmann im Deutschlandfunk.

Lars Lachmann im Gespräch mit Georg Ehring | 09.01.2017
    Ein Dompfaff-Paar sitzt in einem Baum.
    Ein Dompfaff-Paar sitzt in einem Baum. (dpa/picture alliance/ Ismo Pekkarinen)
    Georg Ehring: Gibt es wirklich in diesem Winter weniger Vögel als sonst? Der Eindruck, den viele Menschen beim Anblick eines leeren Futterhäuschens haben, kann auch täuschen. Mehr Objektivität hat vielleicht die Stunde der Wintervögel gebracht. Am vergangenen Wochenende waren Vogelfreunde aufgefordert worden, eine Stunde lang zu beobachten und zu zählen, was in ihrem Garten so herumfliegt. Erste Ergebnisse hat Lars Lachmann, Ornithologe beim Naturschutzbund NABU. Guten Tag, Herr Lachmann.
    Lars Lachmann: Guten Tag!
    Ehring: Herr Lachmann, können Sie denn den Eindruck vom Schwund der Vögel bestätigen?
    Lachmann: Ja, das können wir ganz eindeutig. Wir hatten eine sehr rege Beteiligung von Vogelfreunden an diesem Wochenende, die die Vögel in ihrem Garten gezählt haben und auch zum Großteil schon gemeldet haben. Wir warten noch auf weitere Eingänge, die dann teilweise noch per Papier kommen. Aber die Ergebnisse sind eigentlich schon sehr klar. Wir haben in diesem Jahr statt wie üblich etwa 40 Vögel pro Garten in diesem Jahr nur 33 Vögel pro Garten. Das heißt, es fehlt wirklich ein ganzer Teil von Vögel. Wir haben aber glücklicherweise auch schon ein paar Hinweise auf die möglichen Gründe dafür.
    "Wir haben auch Arten, die zunehmen"
    Ehring: Es kann ja auch positiv sein. Bei mildem Wetter, wie es ja im großen Teil dieses Winters war, brauchen die Vögel das vom Menschen angebotene Futter vielleicht gar nicht, weil die in der Natur was finden.
    Lachmann: Das ist sicherlich ein möglicher Grund. Normalerweise, wenn im Winter die Vögel fehlen, sagt man häufig, die sind einfach noch im Wald, die Vögel, weil sie dort noch genügend Futter finden. Es gab ja bis direkt zum Anfang unserer Zählung eigentlich keinen richtigen Winter in Deutschland und auch keine Schneedecke und das hat sich erst jetzt genau an diesem Wochenende geändert. Aber wir denken, dass der Hauptgrund doch noch ein anderer ist, nämlich dass viele Wintervögel in diesem Winter überhaupt noch gar nicht zu uns nach Deutschland gekommen sind. Denn die Vogelarten, die besonders fehlen - das ist nämlich nur ein Teil der Vogelarten -, das sind Vogelarten, die in ihren Zahlen im Winter immer darauf angewiesen sind, dass sie aus dem Norden und aus dem Osten starken Zuzug bekommen, wo dann diese Vögel hier in Deutschland quasi den warmen Winter schon verbringen. Das sind vor allem die Meisenarten, aber auch einige Finkenarten, die in diesem Jahr wohl gar nicht zu uns gekommen sind, weil es im Norden und Osten viel, viel wärmer war als normalerweise.
    Ehring: Welche Arten haben Sie denn dann gefunden?
    Lachmann: Wir haben auch Arten, die zunehmen. Das sind allerdings nicht die klassischen Futterstellenarten, die man so kennt. Man erwartet ja an den meisten Futterstellen Kohlmeisen, Blaumeisen und Finken vor allem. Wir haben Zunahmen festgestellt bei Arten, die eigentlich nur in Teilen Deutschland verlassen und weiter in den Süden fliegen, und die sind anscheinend in größerer Zahl bei uns geblieben. Zum Beispiel haben wir mehr Amseln, wir haben mehr Rotkehlchen und wir haben auch mehr Hausrotschwänze und Heckenbraunellen. Das sind alles Arten, da würde man eigentlich erwarten, dass viel mehr von denen wegfliegen, aber sie sind wohl vermehrt da geblieben. Genauso auch beim Star. Das ist eine typische Art. Die würde eigentlich knapp westlich der deutschen Grenze überwintern und ist in diesem Jahr anscheinend stärker in Deutschland geblieben. Wenn man denkt, dass das die anderen Vögel in Russland und in Polen auch so gemacht haben, dann sind sie nicht bis zu uns gekommen.
    "Der langfristige Trend bei den Wintervögeln ist schwer festzustellen"
    Ehring: Bei der Amsel wunder ich mich. Da gab es doch einen Virus, was sie eigentlich dezimiert hat.
    Lachmann: Genau. Das ist auch ein sehr interessantes Ergebnis unserer Zählung, dass insgesamt die Amselzahlen zwar größer sind als in den Vorjahren, was wir hauptsächlich dadurch erklären, dass mehr Amseln in Deutschland geblieben sind. Bei Amseln zieht immer ein Teil der Population ab, ein Teil bleibt bei uns. Aber man sieht ganz deutlich, wenn man in die Karte unserer Ergebnisse reinzoomt, dass man in den Gegenden, wo das Usutu-Virus in diesem Jahr tatsächlich gewütet hat, große Löcher in der Verbreitung sieht. Das heißt nicht, dass dort keine Amseln mehr vorkommen, aber es sind ganz klar dort weniger Amseln als in Gegenden, wo das Usutu-Virus nicht aufgetreten ist. Aber weil das ein relativ beschränktes Verbreitungsgebiet des Usutu-Virus in Deutschland war, hat das keine Auswirkungen auf die bundesweiten Ergebnisse.
    Ehring: Wie ist denn der langfristige Trend? Man redet ja immer von Insektensterben wegen Pestiziden und das hat ja auch Folgen für die Vögel.
    Lachmann: Ja. Der langfristige Trend bei den Wintervögeln ist sehr, sehr schwer festzustellen, denn die Wintervogelzählungen sind sehr stark wetterabhängig. Das heißt, in einem kalten Winter bekommt man andere Zahlen als in einem warmen Winter, so dass man hier bei den Winterzählungen vor allem die aktuelle Situation feststellt. Dazu kommt, dass wir die Wintervogelzählung erst seit 2011 durchführen. Das heißt, die Ergebnisse sind dort noch sehr fluktuierend und wir hoffen, dass sich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten da ein klarer Trend ergibt. Wir führen aber auch eine Gartenvogelzählung im Mai durch.
    Das ist dann die Stunde der Gartenvögel, nicht die Stunde der Wintervögel, mit der gleichen Methodik, und da sind die Ergebnisse wesentlich stabiler, denn im Mai sitzen die Vögel in ihren Revieren und bewegen sich nicht weg, auch wenn mal schlechtes Wetter ist bei der Zählung, und da kann man sehr gut die Bestandsentwicklung erkennen. Diese Zählung führen wir auch seit 2005 schon durch und dort können wir von vielen Arten feststellen, dass sie stark abnehmen, und das sind, wie Sie gesagt haben, vor allem Insektenfresser, zum Beispiel die Mehlschwalbe oder der Mauersegler. Die Insektenfresser sind allerdings jetzt bei der Wintervogelzählung auch nicht vertreten, denn die sind ja jetzt im warmen Süden.
    Ehring: Herzlichen Dank! - Das war Lars Lachmann vom Naturschutzbund zur Stunde der Wintervögel.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.