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Winzig, aber gehaltvoll

Onkologie. - Viele Tumore werden erst dann bemerkt, wenn es für eine Behandlung zu spät ist. Forscher suchen deshalb schon lange nach Möglichkeiten, Spuren eines Krebsherds im Blut oder Urin aufzuspüren. Das scheint nun mit einer neuen Methode in greifbare Nähe zu rücken. Doch für eine Früherkennung bleibt das Problem: Die Ergebnisse sind nicht eindeutig genug.

Von Hellmuth Nordwig | 27.09.2012
    In jedem Milliliter Blut oder Urin sind 100 Milliarden winzigste Kügelchen zu finden, jedes umhüllt von einer Membran. 1000 von ihnen ergeben, nebeneinander gelegt, eine Strecke, die einer Haaresbreite entspricht. Biologen haben diese Winzlinge bisher unterschätzt. Noch nicht einmal eine einheitliche Bezeichnung gibt es für sie, sagt Dr. Mikkel Noerholm von der Martinsrieder Firma Exosome Diagnostics.

    "In der Fachwelt nennt man sie mal Exosomen, mal Mikrovesikel. Wie wir sie bezeichnen sollen und ob es da überhaupt Unterschiede gibt, darüber streiten die Experten noch. Aber es sind alles kleine Taschen mit einer Membranhülle, die von Zellen abgegeben werden."

    Erst 2008 haben Forscher herausgefunden, dass auch Tumorzellen Exosomen ins Blut oder in den Urin absondern. Und dass darin sogar Erbmaterial des Tumors enthalten ist. Das hat Hoffnungen auf eine neue Methode zur Krebsdiagnostik geweckt: Im Labor der Martinsrieder Firma untersucht Dr. Daniel Enderle, wie leicht sich Hinweise auf Krebs in Blut- oder Urinproben tatsächlich finden lassen.

    "Das hier ist unser Urinkühlschrank. Hier haben wir jede Menge Patientenproben. Es kommt beständig neues Patientenmaterial herein. Wir benutzen Körperflüssigkeiten im Allgemeinen, also Blut, Serum, Plasma und eben auch Urin. Wir machen keine Tumorbiopsien, sondern versuchen an Material zu kommen, das einfach und auch häufig zu bekommen ist."

    Mit speziellen Filtertechniken isoliert Daniel Enderle die Exosomen aus dem Blut oder Urin und holt die Erbgut-Bruchstücke heraus. Dann fahndet er nach Genabschnitten, die in Tumorzellen anders sind als in gesunden Zellen. Solche Erbgut-Blöcke vervielfältigt der Forscher mit Hilfe der sogenannten Polymerase-Kettenreaktion in einem biochemischen Kopiervorgang. In einem 100.000 Euro teuren Gerät wird schließlich der Text des Erbguts entziffert – von allen Exosomen eines Patienten, ob sie nun von gesunden oder Tumorzellen stammen. Von den letzteren gibt es viel weniger, aber sie verraten sich durch Mutationen, also Genveränderungen. Enderle:

    "Die letzte Mutation, die ich hatte, war 2,7 Prozent. Also 2,7 Prozent aller Moleküle tragen diese Mutation. Das ist viel. Wir versuchen auch, sehr viel weniger zu detektieren und loten da gerade unsere Grenzen aus."

    Krebszellen hinterlassen also tatsächlich ihre Spuren im Blut oder Urin. Es geht den Martinsrieder Forschern dabei aber nicht um eine mögliche neue Technik zur Frühdiagnose. Denn solche Methoden sind umstritten. Zum Beispiel ist ein erhöhter PSA-Wert nicht zwangsläufig ein Hinweis auf Prostatakrebs, der behandelt werden muss. Ein möglicher Exosomen-Test würde daran nichts ändern, sagt Mikkel Noerholm.

    "Außer man hätte ein eindeutiges Kennzeichen, dem man entnehmen kann: Wenn es da ist, haben Sie Krebs, und wenn es fehlt, dann nicht. Sonst bewegt man sich in einer Grauzone und verängstigt viele Menschen. Oder jemand wird unnötig behandelt, obwohl er noch viele Jahre lang bestens hätte leben können. Da fügt man einem Patienten mehr Schaden zu, als dass man ihm hilft."

    Dagegen kann ein Bluttest in anderen Fällen nützlich sein. Denn immer mehr Krebsmedikamente wirken nur bei Patienten, die eine bestimmte Genveränderung tragen. Und die lässt sich mit Hilfe der Exosomen im den Körperflüssigkeiten rasch feststellen, auch ohne dass man zum Beispiel eine Probe eines Hirntumors entnehmen müsste. Eine klinische Studie hat bisher aber noch nicht begonnen.