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Winzige Bösewichter

Medizin. - Das Aids-Virus ist das am besten erforscht Virus der Welt. Allerdings war bislang die einfache Frage nicht beantwortet, in welcher Form das Virus übertragen wird, ob als Viruspartikel oder in einer infizierten Zelle. Kalifornische Forscher haben diese Frage jetzt in "Science Translational Medicine" geklärt. Der Wissenschaftsjournalist Martin Winkelheide erklärt die Antwort im Gespräch mit Monika Seynsche.

    Seynsche: Herr Winkelheide, was wird denn nun übertragen?

    Winkelheide: Es ist tatsächlich das Virus selbst, das ansteckend ist. Also sozusagen eine einfache Antwort auf eine einfache Frage. Aber der Weg dorthin war sehr kompliziert, sehr aufwändig. Und die Forscher haben das methodisch brillant gemacht und haben das auch verbunden mit einer Menge vertrauensbildender Maßnahmen.

    Seynsche: Wie haben sie das gemacht?

    Winkelheide: Sie haben zusammengearbeitet mit der homosexuellen Gemeinschaft in Kalifornien. Sie haben ihnen gesagt: 'Wenn Ihr das Gefühl gehabt, Ihr könnt Euch angesteckt haben, dann kommt bitte vorbei.' Und sie haben es tatsächlich auch gemacht und so sind Infektionen entdeckt worden, die kaum älter waren als zwei Wochen. Und das ist sehr, sehr ungewöhnlich. Denn eine HIV-Infektion macht ja unspezifische Beschwerden. Man fühlt sich einfach ein bisschen halt so wie bei einer Grippe. Und dann haben die Forscher etwas sehr aufwändiges gemacht: Sie haben Virusproben genommen von jemandem, der sich infiziert hat, und von dem, der wahrscheinlich ursächlich verantwortlich war für die Infektion. Und zwar haben sie beide Male eine Blutprobe genommen, aber eben auch Samenproben. Und dann haben sie die Viren verglichen miteinander, sehr aufwändig. Das heißt, man hat die genetische Information in den infizierten Zellen durchbuchstabiert und in den freien Viruspartikeln durchbuchstabiert, man hat die Viren miteinander verglichen, hat sozusagen Familienstammbäume gemacht. Das kann man besser machen, weil das Virus sich ja sehr schlampig vermehrt und dazu neigt, sich sehr schnell sehr stark zu verändern. Und dann haben sie eben gesehen, dass die größte Ähnlichkeit bei den infizierten mit den Viren des ursächlich Verantwortlichen eben in der Samenflüssigkeit, in Viruspartikeln war.

    Seynsche: Und was bedeutet diese Erkenntnis für die Entwicklung von Impfstoffen?

    Winkelheide: Das Ergebnis klingt erst einmal sehr technisch, aber es hat ungeheure Auswirkungen, zum Beispiel für die Impfstoffforschung, wie sie ja schon andeuteten. Denn bislang hat man bei den Impfstoffen immer darauf gesetzt, dass dem Körper beigebracht wird, infizierte Zellen zu erkennen. Jetzt weiß man, warum dieser Ansatz in den letzten großen Studien nicht funktioniert hat: Denn wenn es darum geht, die Viruspartikel abzuwehren, braucht man eine ganz spezielle Immunantwort des Körpers, das heißt, man muss ihm beibringen, wie er Abwehrmoleküle baut, also so genannte Antikörper, die das Virus neutralisieren und abfangen, so dass es gar nicht erst in eine Zelle hinein kommt.

    Seynsche: Ein Impfstoff ist ja noch nicht in Sicht. Kann denn der Schutz vor einer HIV-Infektion, durch diese aktuelle Kenntnisse trotzdem heute schon verbessert werden?

    Winkelheide: Man weiß nach wie vor, Kondom schützen. Das ist das eine. Das zweite ist, Medikamente schützen. Also wer infiziert ist und gut behandelt wird mit Medikamenten, bei dem reduziert sich die Zahl der Viren im Körper und er ist weniger ansteckend. Das Problem dabei ist. Bislang wird die Zahl der Viren immer nur im Blut gemessen. Und nur von ganz wenigen Wirkstoffen weiß man, wie gut kommen die eigentlich in den Genitaltrakt hinein. Also welche Medikamente haben tatsächlich einen großen Effekt auf die Zahl der Viren in der Spermienflüssigkeit. Und das wird man in Zukunft genau erforschen müssen.

    Seynsche: Kann das denn auch Frauen helfen? Bis jetzt sind nur die Ansteckung zwischen Männern untersucht worden.

    Winkelheide: Also man kann sagen, wahrscheinlich ist es bei Frauen ähnlich. Aber da muss man eben noch genauer forschen. Denn dann will man ja auch neue und bessere Schutzmechanismen und Schutzmöglichkeiten für Frauen entwickeln, also so genannte Mikrobizide. Was man da wahrscheinlich sagen kann, ist, es lohnt sich, Wirkstoffe in diesem Mikrobizide hineinzubringen, die verhindern, dass tatsächlich die Viren an Zellen anhaften und die verhindern, dass sie in die Zellen hineinkommen. Aber hier muss man eben ganz genau nachgucken: sind denn Frauen und Männer beim Mechanismus der Ansteckung gleich? Also sind wirklich die Viruspartikel an der Ansteckung schuld? Ganz viele neue Aufgaben für die Forschung, viel Arbeit.