Grauer Himmel, aufgewühltes Meer und ein unbarmherziger Ostwind. Die südostenglische Küste beim Hafen von Felixstowe. Ein klammer, ungastlicher Tag, an dem nur eine Spezies Mensch ihre besondere Freude hat: der Strandhüttenbesitzer, oder 'beach hut owner'.
Eine Beach Hut ist eine Art Urhöhle, eine Burg am Meer - ein Logensitz für das epische Drama der Natur, schwärmt Andrew Selwyn Crome, Dichter, Denker, und Gründer des Verbands englischer Strandhüttenbesitzer.
Andrew, ein robuster Gentleman im wattierten Anorak blickt wohlwollend auf ein Dutzend kleiner Holzbuden, die an einem schmalen Landstreifen zwischen Küstenstraße und Meer aneinanderkauern. Manche Hüttchen leuchten im frischem Gurkengrün, manche waren irgendwann einmal lachsrosa, andere lassen zarten Gelb- und Türkistöne erahnen. Der Lack ist längst abgeblättert, das Holz morsch.
Der Wind zerrt an einer halb offenen Tür. Andrew erspäht einen Freund – Adrian, blaugefroren, hinter einer Festung aus Liegestühlen verschanzt, versucht die Sonntagszeitung zu lesen. Neben ihm eine zerbeulte Thermosflasche und ein bleiches Sandwich.
"Adrian trägt den nobelsten aller britischen Wettkämpfe aus: Mensch gegen Natur. Und das im Herzen von England in der Grafschaft Suffolk."
Das Schloss ist verrostet, das Fenster mit dicken Spinnweben verklebt. Aber Andrew Selvwyn Crome ist im Paradies. Oder zumindest im Vorzimmer: eineinhalb mal eineinhalb Meter groß, ein Plastiktisch, zwei Klappstühle, Campingkocher. Liebevoll erläutert er das Inventar.
"Ein Fernglas, um übers weite Meer zu spähen, eine Uhr, damit man den Zeitsinn nicht ganz verliert, und am allerwichtigsten natürlich ein Teekessel. Ein Brite braucht jederzeit Zugriff auf eine Tasse Tee."
Strandhütten gehen bis auf viktorianische Zeiten zurück. Ursprünglich waren sie rollende Umkleidekabinen für Ladies, die sich lustvoll aber keusch und unbesehen in den Wellen tummeln wollten. Und so ließen sie sich in einem geschlossenen Wagen ins Meer fahren, und stiegen dort mittels einer zierlichen Holzleiter ins kühle Nass.
Irgendwann haben diese "Bademaschinen" ihre Räder verloren. Sie wurden in praktische Kabinen umfunktioniert, wo man alle möglichen Dinge aufbewahren kann. Seitdem stehen sie am Strand, in Reih und Glied, wie typische englische Reihenhäuschen, und bilden die bei Briten so beliebte Schlange.
Andrew Selwyn Crome blickt sinnend in die graue Ferne. Ganz hinten am Horizont liegt eine Bohrinsel, die hat ein Sonderling gekauft und zur unabhängigen Republik erklärt. Das wäre nichts für mich, meint Andrew Selwyn Crome. Er möchte sein Strandhüttenglück teilen.
"Der Wandspiegel ist für Besucherinnen, damit sie ihre Bräunungsphasen kontrollieren können. Und die Blumenvasen. Nun ja, ab und zu veranstalte ich Dinnerpartys, mit schwarzem Anzug und Krawatte."
Und hier in der Ecke steht eine ganz besondere Kostbarkeit: eine sehr alte verrostete Konservendose, praktisch antik, mit Rindfleisch-Nierenpastete gefüllt, aus dem Jahre 1978.
Kein Strom, kein Wasser und nicht einmal die Erlaubnis zum Übernachten. Dennoch sind Strandhütten in Großbritannien ungemein begehrt. Andrew hat für sein Häuschen ein paar Tausend Euro hingelegt. Aber weiter nördlich, im feinen Badeort Southwold, kosten sie schon bis zu 100.000 Euro. Und werden jeden Winter per Kran auf einen Parkplatz geliftet, damit sie den Stürmen und Fluten ja nicht zum Opfer fallen.
Typisches Städtergebaren, murmelt Andrew Selwyn Crome. Da sind er und seine Nachbarn aus einem ganz anderen Holz geschnitzt.
Rhoda und Olive zum Beispiel, zwei gesetzte aber resolute Damen: sie kosten die Freuden ihrer Strandhütte auch im Winter voll aus
"Jedes Jahr veranstalte ich für meine Freunde ein Weihnachtsdinner: ich serviere stets dasselbe Menü: kalter Braten, Gemüsepfanne, Weihnachtsgebäck."
Rhoda und Olives Strandhütte ist ein Kleinod in blau und weiß, ein Schnuckelstübchen komplett mit Plüschteppich, bestickten Sofakissen, und Nippes. Über der Tür prangt ein bemalter Keramikteller: my home is my castle.
Aber auch Strandhüttenbesitzer legen Wert auf Privatsphäre. Gerade weil sie so dicht an dicht nebeneinander wohnen, gilt für sie eine besonders strenge Etikette.
"Wir tun so, als gäbe es eine unsichtbare Mauer zwischen uns, und wenn wir uns doch einmal mit dem Nachbarn austauschen, reden wir grundsätzlich nur über Strandhüttenbelange, das beste Schloss, der beste Anstrich fürs Holz, die günstigste Versicherung."
Am Strand bauen zwei Kinder eine Sandburg und krönen sie mit einem weißroten Wimpel mit patriotischem Georgskreuz. Die Strandhüttenbesitzer von morgen. Andrew Selwyn wirft sich rund ums Jahr in die Wellen. Letztes Mal hatte das Wasser gerade sechs Grad. Am allerliebsten ist ihm seine Beach Hut allerdings bei Nacht, vor allem im Winter. Da kann er sich mit Leib und Seele auf seine wahre Leidenschaft konzentrieren.
"Geistergeschichten. Ich setze mich an meinen Tisch, stelle einen Totenschädel vor mich hin und zünde ein paar Kerzen an. Und dann warte ich, bis die Stimmung so unerträglich gruselig wird, dass sich die Geistergeschichten fast wie von selbst schreiben."
Eine Beach Hut ist eine Art Urhöhle, eine Burg am Meer - ein Logensitz für das epische Drama der Natur, schwärmt Andrew Selwyn Crome, Dichter, Denker, und Gründer des Verbands englischer Strandhüttenbesitzer.
Andrew, ein robuster Gentleman im wattierten Anorak blickt wohlwollend auf ein Dutzend kleiner Holzbuden, die an einem schmalen Landstreifen zwischen Küstenstraße und Meer aneinanderkauern. Manche Hüttchen leuchten im frischem Gurkengrün, manche waren irgendwann einmal lachsrosa, andere lassen zarten Gelb- und Türkistöne erahnen. Der Lack ist längst abgeblättert, das Holz morsch.
Der Wind zerrt an einer halb offenen Tür. Andrew erspäht einen Freund – Adrian, blaugefroren, hinter einer Festung aus Liegestühlen verschanzt, versucht die Sonntagszeitung zu lesen. Neben ihm eine zerbeulte Thermosflasche und ein bleiches Sandwich.
"Adrian trägt den nobelsten aller britischen Wettkämpfe aus: Mensch gegen Natur. Und das im Herzen von England in der Grafschaft Suffolk."
Das Schloss ist verrostet, das Fenster mit dicken Spinnweben verklebt. Aber Andrew Selvwyn Crome ist im Paradies. Oder zumindest im Vorzimmer: eineinhalb mal eineinhalb Meter groß, ein Plastiktisch, zwei Klappstühle, Campingkocher. Liebevoll erläutert er das Inventar.
"Ein Fernglas, um übers weite Meer zu spähen, eine Uhr, damit man den Zeitsinn nicht ganz verliert, und am allerwichtigsten natürlich ein Teekessel. Ein Brite braucht jederzeit Zugriff auf eine Tasse Tee."
Strandhütten gehen bis auf viktorianische Zeiten zurück. Ursprünglich waren sie rollende Umkleidekabinen für Ladies, die sich lustvoll aber keusch und unbesehen in den Wellen tummeln wollten. Und so ließen sie sich in einem geschlossenen Wagen ins Meer fahren, und stiegen dort mittels einer zierlichen Holzleiter ins kühle Nass.
Irgendwann haben diese "Bademaschinen" ihre Räder verloren. Sie wurden in praktische Kabinen umfunktioniert, wo man alle möglichen Dinge aufbewahren kann. Seitdem stehen sie am Strand, in Reih und Glied, wie typische englische Reihenhäuschen, und bilden die bei Briten so beliebte Schlange.
Andrew Selwyn Crome blickt sinnend in die graue Ferne. Ganz hinten am Horizont liegt eine Bohrinsel, die hat ein Sonderling gekauft und zur unabhängigen Republik erklärt. Das wäre nichts für mich, meint Andrew Selwyn Crome. Er möchte sein Strandhüttenglück teilen.
"Der Wandspiegel ist für Besucherinnen, damit sie ihre Bräunungsphasen kontrollieren können. Und die Blumenvasen. Nun ja, ab und zu veranstalte ich Dinnerpartys, mit schwarzem Anzug und Krawatte."
Und hier in der Ecke steht eine ganz besondere Kostbarkeit: eine sehr alte verrostete Konservendose, praktisch antik, mit Rindfleisch-Nierenpastete gefüllt, aus dem Jahre 1978.
Kein Strom, kein Wasser und nicht einmal die Erlaubnis zum Übernachten. Dennoch sind Strandhütten in Großbritannien ungemein begehrt. Andrew hat für sein Häuschen ein paar Tausend Euro hingelegt. Aber weiter nördlich, im feinen Badeort Southwold, kosten sie schon bis zu 100.000 Euro. Und werden jeden Winter per Kran auf einen Parkplatz geliftet, damit sie den Stürmen und Fluten ja nicht zum Opfer fallen.
Typisches Städtergebaren, murmelt Andrew Selwyn Crome. Da sind er und seine Nachbarn aus einem ganz anderen Holz geschnitzt.
Rhoda und Olive zum Beispiel, zwei gesetzte aber resolute Damen: sie kosten die Freuden ihrer Strandhütte auch im Winter voll aus
"Jedes Jahr veranstalte ich für meine Freunde ein Weihnachtsdinner: ich serviere stets dasselbe Menü: kalter Braten, Gemüsepfanne, Weihnachtsgebäck."
Rhoda und Olives Strandhütte ist ein Kleinod in blau und weiß, ein Schnuckelstübchen komplett mit Plüschteppich, bestickten Sofakissen, und Nippes. Über der Tür prangt ein bemalter Keramikteller: my home is my castle.
Aber auch Strandhüttenbesitzer legen Wert auf Privatsphäre. Gerade weil sie so dicht an dicht nebeneinander wohnen, gilt für sie eine besonders strenge Etikette.
"Wir tun so, als gäbe es eine unsichtbare Mauer zwischen uns, und wenn wir uns doch einmal mit dem Nachbarn austauschen, reden wir grundsätzlich nur über Strandhüttenbelange, das beste Schloss, der beste Anstrich fürs Holz, die günstigste Versicherung."
Am Strand bauen zwei Kinder eine Sandburg und krönen sie mit einem weißroten Wimpel mit patriotischem Georgskreuz. Die Strandhüttenbesitzer von morgen. Andrew Selwyn wirft sich rund ums Jahr in die Wellen. Letztes Mal hatte das Wasser gerade sechs Grad. Am allerliebsten ist ihm seine Beach Hut allerdings bei Nacht, vor allem im Winter. Da kann er sich mit Leib und Seele auf seine wahre Leidenschaft konzentrieren.
"Geistergeschichten. Ich setze mich an meinen Tisch, stelle einen Totenschädel vor mich hin und zünde ein paar Kerzen an. Und dann warte ich, bis die Stimmung so unerträglich gruselig wird, dass sich die Geistergeschichten fast wie von selbst schreiben."