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Winzige Wölfe im Schafspelz

Medizin. - Wenn pathogene Keime in den Körper eindringen, erstickt das Immunsystem die drohende Infektion zumeist bereits im Keim. Doch immer funktioniert das nicht - mehr oder minder schwere Krankheiten sind dann die Folge. Um gegen den mächtigen Feind "Immunabwehr" eine Chance zu haben, entwickelten verschiedene Bakterien raffinierte Tricks. So auch die Erreger der Zecken-Borreliose, einer Form der Hirnhautentzündung: Sie tarnen sich als selbst Immunpolizei.

    Von Hartmut Schade

    Borrelien sind Wölfe im Schafspelz. Die spiralförmigen Bakterien gelangen durch einen Zeckenbiss ins Blut, kidnappen dort Eiweißmoleküle und tarnen sich so vor dem Immunsystem. Das Raffinierte an der Sache: Die Tarnproteine sind selbst Bestandteile der körpereigenen Abwehr.

    Diese Moleküle sind dazu da, um das so genannte Komplementsystem in Schach zu halten,

    erklärt der Infektionsbiologe Professor Peter Zipfel vom Jenaer Hans-Knoell-Institut für Naturstoff-Forschung. Das Komplementsystem ist ein Teil der angeborenen Immunabwehr und ergänzt, komplementiert, die Abwehr durch Antikörper. Das Komplementsystem besteht aus zwei Teilen: den Effektormolekülen, die die Eindringlinge bekämpfen, und den Regulatormolekülen, die verhindern, das sich die Immunabwehr gegen den eigenen Körper richtet. Diese Regulatoren sitzen auf den Körperzellen, kreisen aber auch im Blut, schildert Dr. Jens Hellwage, der Leiter der Arbeitsgruppe für molekulare Immunbiologie am Hans Knoell Institut:

    Sozusagen als Patrouille und überprüfen, dass keine körpereigenen Zellen angegriffen werden und das sind die idealen Ziele für solche Bakterien, die dann sozusagen die Proteine kidnappen und auf ihre Oberfläche binden.

    Einmal so getarnt, werden die Keime nicht mehr von der Immunabwehr erkannt, können sich ungestört vermehren und die Krankheit bricht aus. Doch nicht alle Borreliose-Erreger tarnen sich derart clever.

    Also wir sind momentan bei der Bestandsaufnahme, zu gucken, welche der Borrelienstämme besitzen die Möglichkeit und welche besitzen nicht die Möglichkeiten. Und auch zu gucken, ob jetzt im klinische Bild, dass heißt bei Patientengruppen, ob da diese Bakteriengruppen, die sich besser durchsetzen können, eben die relevante Gruppe sind.

    Nachdem die Wissenschaftler den Borrelien unters Tarnmäntelchen schauten, suchten sie nach anderen Bakterien, die sich gleichfalls so tarnen. Und wurden fündig: die Erreger von Scharlach, Lungenentzündung, Gonorrhö überlisten das menschliche Immunsystem nach der Wolf-im-Schafspelz-Methode. Aber auch Hefen, Bandwürmer oder Bilharziose-Würmer arbeiten mit dieser Methode. Damit der Trick funktioniert, müssen alle Eiweiße, egal ob von Wurm oder Bakterium - dem Regulatorprotein der Immunabwehr eine Andockstelle bieten. Die Jenaer Forscher suchen nach einer Substanz, die das ankoppeln verhindert. Dazu Professor Zipfel:

    Wir wollen nach Stoffen suchen, die verhindern, dass das Komplementprotein des Wirtes an das bakterielle Oberflächenprotein andockt. Wenn uns diese Ziel gelingen wird, dann sind wir dadurch in der Lage, die natürliche Immunabwehr wieder in Gang zu setzen und zu verstärken und die Bakterien in dem natürlichen Weg letztendlich zu eliminieren. Das sind die Schritte, die in jedem menschlichen Organismus immer wieder ablaufen und im Normalfall funktioniert das Immunsystem sehr gut. 99 Prozent der Erreger werden abgetötet und man merkt sehr wenig davon.

    Das Ganze wird aber zu einer Gratwanderung. Die Wissenschaftler brauchen ein Molekül, das die Andockstelle des Bakteriums blockiert, ohne es zu tarnen, das aber auf keinen Fall an den Körperzellen ankoppelt. Sonst würde sich die Körperabwehr gegen den eigenen Körper richten, also eine Autoimmunerkrankung wie Multiple Sklerose oder Rheuma auslösen. Weil niemand weiß, ob sich ein solcher Stoff findet, gehen die Jenaer Wissenschaftler auch den traditionellen Weg und suchen nach einem Impfstoff gegen die Bakterien.