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Winzlinge auf acht Beinen

Biologie. - Auf der 100. Jahrestagung der deutschen Zoologischen Gesellschaft stehen vor allem Spinnen und deren wichtige Rolle in Ökosystemen im Fokus der Wissenschaftler. Besonders spannend ist dabei das eigensinnige Paarungsverhalten der vielgestaltigen Arachnoiden.

Von Kristin Raabe |
    In einem vier Zentimeter großen Plastikdöschen sitzt ein schwarzer Punkt in einem winzigen Netz. Das also ist eine Zwergspinne, ohne Beine nur etwa einen halben Millimeter groß. Weil sie so winzig sind und normalerweise nicht in einer Plastikschale, sondern in der Erde leben, bemerken wir Menschen sie so gut wie nie. Außer vielleicht gerade jetzt. Denn in dieser Jahreszeit sind die Zwergspinnen fliegend unterwegs.

    "Die fallen uns dann auf, wenn sie an ihrem Fadenfloß unterwegs sind, das heißt, wenn sie sich an einem Faden durch die Luft bewegen. Und das passiert ja sehr häufig im Spätsommer oder im Frühherbst und dann landen manchmal kleine Tierchen bei uns auf dem Pulli oder auf dem Hemd und das sind genau diese Zwergspinnen. Und die können an ihrem Faden fliegen weil sie eben so klein sind."

    Gabriele Uhl von der Universität Bonn ist eine der wenigen Zoologinnen, die sich für das geheime Leben der Zwergspinnen interessieren. Denn obwohl diese Spinnen zu den am weitesten verbreiteten deutschen Spinnenarten zählen, ist über ihre Lebensweise so gut wie nichts bekannt.

    "Was mir aufgefallen ist bei diesen Zwergspinnen, ist, dass es immer nur die Männchen sind, die ganz bizarre Kopfstrukturen haben. Also, da gibt es unglaubliche Auswüchse, da gibt es tiefe Gruben in den Köpfen, diese seltsamen Strukturen sind immer in der Augenregion, das heißt die Augenregion ist immer ganz stark nach oben verlängert oder hat eine tiefe Grube – alles was sie sich vorstellen können, was es an seltsamen Kopfstrukturen gibt, das gibt es auch, das findet man tatsächlich."

    Natürlich wollte Gabriele Uhl wissen, wozu die bizarre Kopfform eigentlich gut ist. Sie erfuhr mehr, als sie die Strukturen sezierte und das Verhalten der Zwergspinnen beobachtete.

    "In diesen Kopfstrukturen sitzt eine Vielzahl von Drüsen, überall sind die verteilt, bei jeder Art, die wir bis jetzt untersucht haben, ist das so, dass es hier Drüsenzellen gibt. Und dieses Sekret wird abgegeben während der Verpaarung, in dem das Weibchen sich in der Kopulationsstellung über diese Kopfstruktur des Männchens begibt und mit ihren Mundwerkzeugen Kontakt aufnimmt mit dieser Kopfstruktur."

    Die Weibchen verbeißen sich bei manchen Arten von Zwergspinnen regelrecht in die Kopfstruktur des Männchens. Und das ist für die Männchen das Signal das Sekret aus ihren Drüsenzellen freizusetzen.

    "Bisher wissen wir nur soviel, dass wir bei einer Art sagen können, dass wenn das Männchen kein Sekret hat und es hat dann in dem Fall, in dem Versuch kein Sekret, weil wir die Kopfstruktur mit einer dünnen Schicht Farbe überschmieren, und es dann vergleichen mit dem Verhalten von Männchen, die eine offene Kopfstruktur haben, dann können wir sagen, dass Männchen ohne Sekret nicht mal kopulieren, die brauchen also in irgendeiner Form erst mal diesen Stimulus durch den Biss des Weibchens und durch die Sekretaufnahme des Weibchens, was danach noch alles möglich ist, dass wissen wir noch nicht."

    Die Farbe hat in dem Experiment verhindert, dass die Drüsen am Kopf des Männchens ihr Sekret freisetzen und damit ist für die männlichen Zwergspinnen die Kopulation offenbar schon beendet. Welche Funktion das Sekret außerdem noch hat, will Gabriele Uhl durch weitere Studien noch herausfinden.

    "Wir wissen, dass es Proteine sind. Also es ist offensichtlich etwas, das mit Nährstoffen zu tun hat. Dass die Weibchen das riechen können, ist so gut wie ausgeschlossen, weil wir erstens keine Pheromone entdeckt haben, also keine flüchtigen Stoffe, die Männchen von Weibchen unterscheiden und wir finden auch keinen Unterschied bei den Arten, die wir untersucht haben, in der Wahrscheinlichkeit des Anlockens eines Weibchens. Das heißt, ob das Männchen jetzt eine offene Kopfstruktur hat oder von uns experimentell abgedeckt wurde, spielt keine Rolle erst mal im Paarungsgeschehen bis zur Kopulation."

    Möglicherweise fördert das Sekret der Männchen eine vorzeitige Eiablage bei den Weibchen, so dass sie sich nicht mehr mit einem weiteren Männchen paaren können. Aber bislang ist das nur eine Theorie. Noch bleibt ein Großteil des versteckten Lebens der Zwergspinnen auch weiterhin geheim.