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Winzlinge im Windrad

Materialwissenschaft. - Die Kohlenstoff-Nanoröhrchen stehen kurz vor dem Sprung heraus aus den Labors hinein in die Anwendung. Vor allem für neuartige hochfeste und trotzdem leichte Werkstoffe könnten sie verwendet werden. Auf der Fachkonferenz "Nanotech Europe 2009", die heute in Berlin zu Ende geht, waren sie ein Thema.

Von Frank Grotelüschen |
    Man nehme eine Makkaroni-Nudel, male sie pechschwarz an und schrumpfe sie auf das Einmillionstel ihrer Größe. Was dabei herauskäme, würde aussehen wie ein Nanoröhrchen – oder englisch Nanotube. So heißt eine noch junge Variante von Kohlenstoff. Experten wie Péter Krüger von der Bayer Materials Science AG treibt sie das Leuchten in die Augen.

    "Dieses schwarze Gold ist dadurch gekennzeichnet, dass diese Röhrchen eine sehr hohe elektrische Leitfähigkeit haben. Gleichzeitig sind sie mechanisch sehr stabil, leiten die Wärme sehr gut, haben eine große innere Oberfläche und ein leichtes Gewicht."

    Aus Sicht eines Materialforschers also eine eierlegende Wollmilchsau. Bislang aber spielen die Nanoröhrchen ihre Eigenschaften nur im Labor aus. In den breiten Markt haben sie es noch nicht geschafft. Um das zu ändern, hat das Bundesforschungsministerium im letzten Jahr die Innovationsallianz CNT ins Leben gerufen – CNT steht für Carbon Nanotubes, Kohlenstoff-Nanoröhrchen. 80 Partner aus Wissenschaft und Industrie wollen sie vom Labor in den Markt tragen – zum Beispiel in den Windenergie-Markt. Heute bestehen die Rotorblätter eines Windrads aus kohlefaserverstärkten Kunststoffen. Diese ließen sich deutlich verbessern, indem man den Kunststoff zusätzlich mit Nanoröhrchen versetzt. Die Röhrchen nämlich verflechten sich zu einem Netz, das das Blatt stabiler macht. Unterm Strich würde man weniger Material brauchen, das Rotorblatt würde leichter. Krüger:

    "Das wiederum bedeutet: Sie können schon bei niedrigen Windstärken Strom erzeugen. Und Sie können bei höheren Windstärken immer noch Strom erzeugen."

    Denn je leichter die Rotorblätter, umso leichter drehen sie sich im Wind. Also würde sich ein Nanotech-Rotor bereits bei einer schwachen Brise drehen, bei der ein heutiges Windrad noch in Ruhe verharrt. Und bei starkem Wind müssten die neuen Rotoren nicht so schnell abgeschaltet werden, sie sind schlicht stabiler. Damit ließe sich die Effizienz eines Windrads um 30 bis 100 Prozent erhöhen, hofft Krüger.

    "Das ist die Anwendung von Kohlenstoff-Nanoröhren, die am weitesten fortgeschritten ist. Da gibt es schon Pilotanlagen. Das fängt mit kleinen Rotorblättern an, um zu schauen, wie sich das in der Anwendung bewährt. In der Bauphase sind mittlerweile Rotorblätter, die in der Größenordnung von 50 Metern liegen."

    Denkbar sind aber auch 70 Meter lange Rotorblätter. Mit ihnen ließen sich die stärksten Windräder der Welt bauen. Sie sollen zehn Megawatt leisten statt sechs Megawatt wie die derzeitigen Rekordhalter. Und auch anderswo sollen sich die winzigen Kohlenstoff-Makkaroni wiederfinden – im Auto der Zukunft.

    "Zum Beispiel in einem Kotflügel, wo Sie möglichst wenig Gewicht hineinstecken möchten, aber doch eine gewisse mechanische Festigkeit brauchen. Und gleichzeitig auch mit den Metallteilen zusammen lackieren möchten. Die Kohlenstoff-Nanoröhrchen sorgen dann für die mechanische Stabilität und auch für die Lackierbarkeit."

    Hier will man die Nanoröhrchen entweder speziellen Kunststoffen beimischen oder aber Aluminium. Das Netz, das die Röhrchen nach ihrer Beimischung ausbilden, steigert die Stabilität. Und dadurch, so das Kalkül, könnte man den Kotflügel dünner machen als heute – und damit leichter, sagt Péter Krüger.

    "Einmal können Sie sparen, weil sie vorhandene Wandstärken reduzieren können, um zehn bis 30 Prozent vielleicht. Und die andere Stoßrichtung wäre, dass Sie bis jetzt nicht zugängliche Bauteile machen können. Denken Sie an tragende Teile. Wenn Sie zum Beispiel Aluminium dadurch fester machen, dass Sie ihn mit Kohlenstoff-Nanoröhrchen modifizieren, können Sie Stahlteile, die relativ schwer sind, durch Aluminiumteile ersetzen. Sodass das durchaus in diverse zig Kilos gehen könnte, wenn alle Teile ersetzt werden würden."

    Die Voraussetzungen jedenfalls sind nicht schlecht, sagt Krüger. Denn seit kurzem gelingt es der Industrie, Nanoröhrchen im Tonnenmaßstab herstellen, und zwar zu akzeptablen Preisen. Was aber noch fehlt sind Methoden, mit denen man die Winzlinge dann wirtschaftlich weiterverarbeiten kann, zum Beispiel zu hochfesten Kotflügeln.