Beatrix Novy: Eigentlich versteht sich's von selbst: dass Berlin eine große polnische Community hat, wie man heute sagt. Nichts liegt schließlich näher als Polen. Und trotzdem fallen die Polen weniger auf als zum Beispiel die Russen, die sich literarisch oder musikalisch ins Berliner Kulturleben einprägsamer eingeklinkt haben.
Vladimir Kaminer oder die "Russendisko", all das steht ja für eine rege Subkultur, die man so kennt. Aber Polen liegt ohnedies nur 80 Kilometer entfernt, hinter einer Grenze, die überhaupt gar keine mehr ist. Vielleicht deshalb fällt das Vorhandensein polnischer Zugezogener gar nicht groß auf. Ihre Geschichte ist lang. 300 Jahre deutsch-polnische Beziehungsgeschichte lassen sich jetzt in Berlin nachlesen, gebündelt in einer Ausstellung. Zu der habe ich Martin Sander gefragt. Zunächst einmal: Wie eng sind denn diese Beziehungen?
Martin Sander: Also diese Doppelidentität und auch so dieses Fragezeichen, was ist eigentlich ein Pole in Berlin, das gibt es seit Langem. Das gab es auch schon im 19. Jahrhundert und am Beginn des 20. Jahrhunderts, als die große Arbeitsemigration, die Einwanderung aus den östlichen Provinzen des damaligen Preußens nach Berlin kamen.
Es war ja eine Zeit, in der der polnische Staat gar nicht bestand - und man sich fragen konnte, waren das jetzt Deutsche aus Schlesien, waren es Polen. Und jeder hat das so ein bisschen für sich entschieden. Diese Ausstellung beleuchtet aber insgesamt drei Jahrhunderte polnisches Berlin. Und es fängt an - sehr eindrucksvoll und auch ein bisschen lautstark - im Erdgeschoss des Ephraim-Palais mit der Vorstellung des polnischen Adels in Berlin.
Also da gibt es einen Atanazy Raczinsky, auf dessen Grundstück dann später der Reichstag gebaut wurde. Das war ein großer Kunstliebhaber. Es gibt den Salon des Fürsten Radziwill. Dieser Radziwill, auch ein großer polnischer Magnat, aber zugleich jemand, der in besten Verbindungen mit dem preußischen Fürsten- und Königshaus gelebt hat. Der hat auch als Erster eine Musik zu Goethes "Faust" geschrieben.
Das heißt, das ist sozusagen der aristokratische Prolog zu dieser Ausstellung, die dann im 19. Jahrhundert über die vielen Facetten der Arbeitsmigration, über die dunklen Kapitel des Dritten Reiches, aber auch die interessanten künstlerischen Zusammenarbeiten der Weimarer Republik hinführt zu unserer heutigen Zeit, wo ja über 100.000 Polen in Berlin leben - es ist immer schwer zu sagen, wie man das definieren soll - und in ganz unterschiedlicher Weise arbeiten, ihre Kunst verwirklichen, so wie man in Berlin, im multikulturellen Berlin eben lebt, in ganz unterschiedlichen Formen, und deshalb vielleicht auch nicht so auffällig.
Novy: Polnische Künstler verlegt man eher vor dem geistigen Auge nach Frankreich, jedenfalls historisch, die Beziehungen waren ja früher eng. Was haben polnische Künstler zu Berlin zugefügt in der Vergangenheit, was haben sie Berlin gegeben?
Sander: Es ist richtig, dass auch aus polnischer Sicht Paris ja der große Ort der Emigration ist und Berlin so ein etwas unauffälliger. Aber man kann doch sehr Interessantes auch in der jüngsten Zeit, auch in der Nachkriegszeit finden. Es hat immer eine interessante polnische Literatur gegeben: Witold Wirpsza etwa für diese polnische Gegenwartsliteratur, der 1968 zum Beispiel nach den antisemitischen Kampagnen der polnischen kommunistischen Partei ins damals freiheitliche Westberlin verbannten Künstler. Die haben auf ganz interessante Weise an der Entwicklung der europäischen Kultur und Literatur dieser Zeit mitgewirkt.
Denken Sie auch auf der anderen Seite an einen Namen wie Witold Gombrowicz, der große polnische Erzähler, der ja Jahrzehnte im südamerikanischen Exil gelebt hat und der dann durch einen Aufenthalt in Westberlin in den 60er-Jahren bekannt wurde, der das deutsche Bild der polnischen Literatur stark geprägt hat. Viele deutsche, jüngere deutsche Autoren haben ihn sich als Vorbild genommen. Der gehört auch zu diesem polnischen Berlin.
Novy: Nun ist das deutsch-polnische Verhältnis ein teilweise prekäres, man kann es den vielen negativen Stereotypen entnehmen, die es aus der Vergangenheit gibt, aber auch jetzt. Die deutsch-polnische Auseinandersetzung ist ja virulent. Wie schlägt sich das in der Ausstellung nieder oder hat das irgendeinen Zusammenhang mit dieser Ausstellung?
Sander: Also ich habe auch mit dem Initiator des gesamten Projekts - das ist ja nicht nur die Ausstellung, sondern ist ein mehrjähriges Projekt, "Polen in Berlin" -, dem Historiker Robert Traba, gesprochen und auch mit Professor Thomas Szarota, und die haben alle übereinstimmend gesagt, es sind doch zwei ganz unterschiedliche Ebenen.
Dieser Medienkrieg, politische Medienkrieg, der von polnischer und deutscher Seite geführt wird, ist sehr intensiv, stört ein wenig das deutsch-polnische Verhältnis, hat aber nicht mit den wirklichen Beziehungen zwischen Polen und Deutschen zu tun und vor allen Dingen auch nicht mit den Beziehungen zwischen Polen und Deutschen in Berlin. Das ist eine ganz andere Ebene. Und man hat dieses Ausstellungsprojekt, das ja schon vor einigen Jahren entwickelt wurde, aber auch bewusst gesehen als eine ganz selbstverständliche Art, sich eben gemeinsam mit diesen Problemen der deutsch-polnischen Nachbarschaft auseinanderzusetzen. Und das ist weitab von dem - würde ich fast sagen - deutsch-polnischen Gezeter der jüngsten Zeit.
Novy: Bleibt also noch die Frage, wie dieses weite Spektrum "300 Jahre Polen in Berlin" eigentlich umgesetzt ist in der Ausstellung.
Sander: Also man hat im Grunde genommen diese Geschichte in drei Akten - sagen die Ausstellungsmacher - und 18 Szenen erzählt, und mir kommt das vor wie so eine Art Möblierung. Es gibt also zum Beispiel eine ganze Wand mit 400 Pappkästen, und auf jedem Deckel steht der Name einer polnischen Organisation in Berlin - von den polnischen Musliminnen der Gegenwart bis zu einer Sparkasse des 19. Jahrhunderts oder einer nationalen Partei.
Das ist eine Idee, auf diese Art und Weise sich auch spielerisch mit Stereotypen auseinanderzusetzen. Auch ansonsten sind man viele Fächer, Kartons, Schubläden - das alles als so eine, sagen wir ästhetische Reaktion auf schon bestehende Bilder in unserem Kopf. Also man fächert und zugleich verwirrt man auch den Ausstellungsbesucher damit ein wenig.
Novy: Das war Martin Sander über die Ausstellung "Wir Berliner" - ein doppelsprachiger Titel - und "My, berlinczycy!": im Ephraim-Palais in Berlin zu sehen und im Märkischen Museum. Dort ist die Abteilung "zeitgenössische Kunst" zu sehen.
Vladimir Kaminer oder die "Russendisko", all das steht ja für eine rege Subkultur, die man so kennt. Aber Polen liegt ohnedies nur 80 Kilometer entfernt, hinter einer Grenze, die überhaupt gar keine mehr ist. Vielleicht deshalb fällt das Vorhandensein polnischer Zugezogener gar nicht groß auf. Ihre Geschichte ist lang. 300 Jahre deutsch-polnische Beziehungsgeschichte lassen sich jetzt in Berlin nachlesen, gebündelt in einer Ausstellung. Zu der habe ich Martin Sander gefragt. Zunächst einmal: Wie eng sind denn diese Beziehungen?
Martin Sander: Also diese Doppelidentität und auch so dieses Fragezeichen, was ist eigentlich ein Pole in Berlin, das gibt es seit Langem. Das gab es auch schon im 19. Jahrhundert und am Beginn des 20. Jahrhunderts, als die große Arbeitsemigration, die Einwanderung aus den östlichen Provinzen des damaligen Preußens nach Berlin kamen.
Es war ja eine Zeit, in der der polnische Staat gar nicht bestand - und man sich fragen konnte, waren das jetzt Deutsche aus Schlesien, waren es Polen. Und jeder hat das so ein bisschen für sich entschieden. Diese Ausstellung beleuchtet aber insgesamt drei Jahrhunderte polnisches Berlin. Und es fängt an - sehr eindrucksvoll und auch ein bisschen lautstark - im Erdgeschoss des Ephraim-Palais mit der Vorstellung des polnischen Adels in Berlin.
Also da gibt es einen Atanazy Raczinsky, auf dessen Grundstück dann später der Reichstag gebaut wurde. Das war ein großer Kunstliebhaber. Es gibt den Salon des Fürsten Radziwill. Dieser Radziwill, auch ein großer polnischer Magnat, aber zugleich jemand, der in besten Verbindungen mit dem preußischen Fürsten- und Königshaus gelebt hat. Der hat auch als Erster eine Musik zu Goethes "Faust" geschrieben.
Das heißt, das ist sozusagen der aristokratische Prolog zu dieser Ausstellung, die dann im 19. Jahrhundert über die vielen Facetten der Arbeitsmigration, über die dunklen Kapitel des Dritten Reiches, aber auch die interessanten künstlerischen Zusammenarbeiten der Weimarer Republik hinführt zu unserer heutigen Zeit, wo ja über 100.000 Polen in Berlin leben - es ist immer schwer zu sagen, wie man das definieren soll - und in ganz unterschiedlicher Weise arbeiten, ihre Kunst verwirklichen, so wie man in Berlin, im multikulturellen Berlin eben lebt, in ganz unterschiedlichen Formen, und deshalb vielleicht auch nicht so auffällig.
Novy: Polnische Künstler verlegt man eher vor dem geistigen Auge nach Frankreich, jedenfalls historisch, die Beziehungen waren ja früher eng. Was haben polnische Künstler zu Berlin zugefügt in der Vergangenheit, was haben sie Berlin gegeben?
Sander: Es ist richtig, dass auch aus polnischer Sicht Paris ja der große Ort der Emigration ist und Berlin so ein etwas unauffälliger. Aber man kann doch sehr Interessantes auch in der jüngsten Zeit, auch in der Nachkriegszeit finden. Es hat immer eine interessante polnische Literatur gegeben: Witold Wirpsza etwa für diese polnische Gegenwartsliteratur, der 1968 zum Beispiel nach den antisemitischen Kampagnen der polnischen kommunistischen Partei ins damals freiheitliche Westberlin verbannten Künstler. Die haben auf ganz interessante Weise an der Entwicklung der europäischen Kultur und Literatur dieser Zeit mitgewirkt.
Denken Sie auch auf der anderen Seite an einen Namen wie Witold Gombrowicz, der große polnische Erzähler, der ja Jahrzehnte im südamerikanischen Exil gelebt hat und der dann durch einen Aufenthalt in Westberlin in den 60er-Jahren bekannt wurde, der das deutsche Bild der polnischen Literatur stark geprägt hat. Viele deutsche, jüngere deutsche Autoren haben ihn sich als Vorbild genommen. Der gehört auch zu diesem polnischen Berlin.
Novy: Nun ist das deutsch-polnische Verhältnis ein teilweise prekäres, man kann es den vielen negativen Stereotypen entnehmen, die es aus der Vergangenheit gibt, aber auch jetzt. Die deutsch-polnische Auseinandersetzung ist ja virulent. Wie schlägt sich das in der Ausstellung nieder oder hat das irgendeinen Zusammenhang mit dieser Ausstellung?
Sander: Also ich habe auch mit dem Initiator des gesamten Projekts - das ist ja nicht nur die Ausstellung, sondern ist ein mehrjähriges Projekt, "Polen in Berlin" -, dem Historiker Robert Traba, gesprochen und auch mit Professor Thomas Szarota, und die haben alle übereinstimmend gesagt, es sind doch zwei ganz unterschiedliche Ebenen.
Dieser Medienkrieg, politische Medienkrieg, der von polnischer und deutscher Seite geführt wird, ist sehr intensiv, stört ein wenig das deutsch-polnische Verhältnis, hat aber nicht mit den wirklichen Beziehungen zwischen Polen und Deutschen zu tun und vor allen Dingen auch nicht mit den Beziehungen zwischen Polen und Deutschen in Berlin. Das ist eine ganz andere Ebene. Und man hat dieses Ausstellungsprojekt, das ja schon vor einigen Jahren entwickelt wurde, aber auch bewusst gesehen als eine ganz selbstverständliche Art, sich eben gemeinsam mit diesen Problemen der deutsch-polnischen Nachbarschaft auseinanderzusetzen. Und das ist weitab von dem - würde ich fast sagen - deutsch-polnischen Gezeter der jüngsten Zeit.
Novy: Bleibt also noch die Frage, wie dieses weite Spektrum "300 Jahre Polen in Berlin" eigentlich umgesetzt ist in der Ausstellung.
Sander: Also man hat im Grunde genommen diese Geschichte in drei Akten - sagen die Ausstellungsmacher - und 18 Szenen erzählt, und mir kommt das vor wie so eine Art Möblierung. Es gibt also zum Beispiel eine ganze Wand mit 400 Pappkästen, und auf jedem Deckel steht der Name einer polnischen Organisation in Berlin - von den polnischen Musliminnen der Gegenwart bis zu einer Sparkasse des 19. Jahrhunderts oder einer nationalen Partei.
Das ist eine Idee, auf diese Art und Weise sich auch spielerisch mit Stereotypen auseinanderzusetzen. Auch ansonsten sind man viele Fächer, Kartons, Schubläden - das alles als so eine, sagen wir ästhetische Reaktion auf schon bestehende Bilder in unserem Kopf. Also man fächert und zugleich verwirrt man auch den Ausstellungsbesucher damit ein wenig.
Novy: Das war Martin Sander über die Ausstellung "Wir Berliner" - ein doppelsprachiger Titel - und "My, berlinczycy!": im Ephraim-Palais in Berlin zu sehen und im Märkischen Museum. Dort ist die Abteilung "zeitgenössische Kunst" zu sehen.