Karin Fischer: Zu uns gestoßen ist der Schriftsteller Matthias Politycki, der hier die Aufgabe übernommen hat, etwas über das Verhältnis von Wort und Welt zu sagen, auch in einem politischen Sinn. Anlässe gibt es viele. Der Schriftsteller Hans Pleschinski zum Beispiel fährt nicht mehr nach Russland.
O-Ton Hans Pleschinski: "Das ist zu gefährlich. Buchhändler, die mein Buch ausliegen haben, können bestraft werden, oder Veranstalter, ich vielleicht auch. Das ist sehr riskant, in Russland im Gefängnis zu landen, kann Albträume auslösen. Es ist ein unfasslicher, ein widerwärtiger Vorgang und völlig unnötig, diese Unterdrückung von Homosexuellen und Lesbierinnen. Es bringt dem Staat nichts außer Rückschritt und scheint eine Art Ersatzpolitik zu sein. Weil sonst politisch in Russland nicht viel vorangeht, wird auf Minderheiten eingedroschen."
Fischer: Matthias Politycki, ein weiterer Anlass ist die NSA-Spionageaffäre, der NSA-Skandal, der ja interessanterweise auf dem Wort basiert. Seit wir uns alle sozusagen schriftlich ausgelagert haben in die Cloud, wird diese Art von Informationsabschöpfung ja erst richtig relevant. 70.000 Menschen haben eine Petition an die Bundesregierung unterzeichnet, viele Schriftstellerinnen und Schriftsteller einen offenen Brief an Angela Merkel geschrieben deshalb. Wie wichtig können Worte des Protests von Schriftstellern heute sein?
Matthias Politycki: Ich habe mal ein Abendessen neben Angela Merkel gesessen und sie auch versucht zu überzeugen. Schließlich hatte ich ja sogar mehr als eine Petition lang Zeit. Aber ich sehe das inzwischen eher resignativ, die Einflussmöglichkeit. Man wird dann verwiesen, darum kümmert sich doch eigentlich jener, darum dieser, und schon ist man in dieser ganzen Delegationssache da, wo man eigentlich sowieso nie hinkommt.
Also ich finde es besser, wenn Hans zum Beispiel klar seine Konsequenzen zieht - wir haben auch darüber geredet – und da nicht mehr hinfährt, und ich muss mir das auch überlegen. Ich habe ein ähnliches Problem mit dem usbekischen Staat. Die BBC ist die ganze Zeit hinter mir her, weil sie ein Interview von mir will, was dann in BBC Zentralasien ausgestrahlt wird, also auch in Usbekistan, wo ich recherchiert habe für meinen Roman. Aber wenn ich da die Wahrheit sage, dann sind meine ganzen Kumpel dort und Gewehrsleute, die sind dann dran. So ist es eben. Das heißt, man muss einfach jeweils die Bedingungen kennen und, ich fürchte, teilweise akzeptieren.
Fischer: Sie haben recherchiert für Ihren Roman "Samarkand Samarkand" und der interessante Zusammenhang besteht nun darin, dass einerseits in der NSA-Affäre immer von Terrorismusabwehr die Rede ist, andererseits in Ihrem Roman die Terroristen, sage ich jetzt mal, oder jedenfalls eine massiv fundamentalistische Gruppe, nämlich die Faust Gottes, den Westen schon überrollt hat. Wir befinden uns im Jahr 2026/2027, der Dritte Weltkrieg findet gerade statt und ein Bundeskanzler namens Memet Yalcin hat gerade türkische Militärhilfe beantragt. Das ist doch interessant, der Zusammenhang zwischen Terrorismus und dem Fundamentalismus, den Sie womöglich in Ihrem Buch schildern wollen?
Politycki: Na ja, Terrorismus ist Kriegführung. Wir müssen uns verabschieden von der Vorstellung, dass Krieg etwas mit Feldschlachten zu tun hat. Auch in Nairobi, als das Einkaufszentrum zum Kriegsschauplatz erklärt wurde von den in dem Fall somalischen Fundamentalisten, wurde in deren Kommuniques immer von Krieg gesprochen. Das heißt, der Westen befindet sich eigentlich schon längst in diesem Krieg, wenn wir die Begriffe anders mal besetzen oder anpassen an die Gegebenheiten. Und ja, ich habe einfach nur die Schraube aus der Wirklichkeit etwas in die Zukunft gedreht. Es finden ja auch schon in den Orten, in denen ich zu gemäßigten Zeiten Lesungen habe, dann Nachts die Bandenkriege statt zwischen Russlanddeutschen und türkischen Banden. Das kann man alles noch auf der Ebene abhandeln. Aber wenn man ins Ausland geht, dann sind ethnische Konflikte, verrückterweise verbunden immer auch mit terroristischen Akten, an der Tagesordnung - Sachen, die wir nicht mehr auf dem Schirm hatten zu Zeiten des Eisernen Vorhangs. Also das ist die Realität.
Fischer: Matthias Politycki, es ist ja auch immer interessant, von sehr weit weg wieder zurück nach Europa zu schauen, und dann müssen wir aber doch feststellen, dass in Europa unsere Kultur nicht durch Terrorismus gefährdet ist, sondern wir diskutieren über die Euro- und Wirtschaftskrise schon seit Jahren und Monaten eher durch den Vorrang des Geldes vor dem Geist zum Beispiel.
Politycki: Europa ist keine geographische Entität, sondern eine geistige, und dieses Konstrukt Europa, was wir über Jahrhunderte der Kriege, aber auch der Aufklärung erarbeitet haben, ein Raum der Toleranz, des Miteinanders, ist gefährdet meiner Meinung nach. Der Terrorismus ist sehr wohl bei uns angekommen. Wir sind nicht nur diejenigen, die gerade mal in Deutschland sind, sondern wir sind auch die, die beim Boston-Marathon mitrennen, wir sind diejenigen, die in der U-Bahn in London sitzen, wenn dort eine Bombe hochgeht.
Wir leben ja auch inzwischen globalisiert als moderne Nomaden in einem viel größeren Raum als früher, und da ist der Terrorismus da. Ich erlebe ihn schon allein durch die Sicherheitskontrollen. Gott sei Dank bricht er selten aus, aber in unserem Bewusstsein ist er angekommen und es fehlen nur wenige Funken, dass daraus auch etwas größeres da oder dort werden kann. Das hat man auch schon gesehen.
Fischer: Ganz kurz zum Schluss, Herr Politycki: Was tun? Sie fordern ein robustes Mandat für Toleranz. Was bedeutet das?
Politycki: Wir müssen uns klar darüber werden, dass die europäische Idee nicht durch eine Euro-Krise kaputt gemacht werden kann, sondern dass es sich lohnt, Generation für Generation diese Idee wieder zu der eigenen zu machen. Das ist bei allen Reisen, die ich mache, der tollste Ort, an dem man leben kann. Mitteleuropa ist von außen betrachtet eine Insel der Seligen. Aber dafür muss man auch kämpfen, und zwar mental. Man muss also klar wissen, wo man steht und was man nicht verlieren möchte.
Fischer: Herzlichen Dank fürs Kommen, Matthias Politycki, und für dieses Gespräch über Worte, Welt und Wirkung.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
O-Ton Hans Pleschinski: "Das ist zu gefährlich. Buchhändler, die mein Buch ausliegen haben, können bestraft werden, oder Veranstalter, ich vielleicht auch. Das ist sehr riskant, in Russland im Gefängnis zu landen, kann Albträume auslösen. Es ist ein unfasslicher, ein widerwärtiger Vorgang und völlig unnötig, diese Unterdrückung von Homosexuellen und Lesbierinnen. Es bringt dem Staat nichts außer Rückschritt und scheint eine Art Ersatzpolitik zu sein. Weil sonst politisch in Russland nicht viel vorangeht, wird auf Minderheiten eingedroschen."
Fischer: Matthias Politycki, ein weiterer Anlass ist die NSA-Spionageaffäre, der NSA-Skandal, der ja interessanterweise auf dem Wort basiert. Seit wir uns alle sozusagen schriftlich ausgelagert haben in die Cloud, wird diese Art von Informationsabschöpfung ja erst richtig relevant. 70.000 Menschen haben eine Petition an die Bundesregierung unterzeichnet, viele Schriftstellerinnen und Schriftsteller einen offenen Brief an Angela Merkel geschrieben deshalb. Wie wichtig können Worte des Protests von Schriftstellern heute sein?
Matthias Politycki: Ich habe mal ein Abendessen neben Angela Merkel gesessen und sie auch versucht zu überzeugen. Schließlich hatte ich ja sogar mehr als eine Petition lang Zeit. Aber ich sehe das inzwischen eher resignativ, die Einflussmöglichkeit. Man wird dann verwiesen, darum kümmert sich doch eigentlich jener, darum dieser, und schon ist man in dieser ganzen Delegationssache da, wo man eigentlich sowieso nie hinkommt.
Also ich finde es besser, wenn Hans zum Beispiel klar seine Konsequenzen zieht - wir haben auch darüber geredet – und da nicht mehr hinfährt, und ich muss mir das auch überlegen. Ich habe ein ähnliches Problem mit dem usbekischen Staat. Die BBC ist die ganze Zeit hinter mir her, weil sie ein Interview von mir will, was dann in BBC Zentralasien ausgestrahlt wird, also auch in Usbekistan, wo ich recherchiert habe für meinen Roman. Aber wenn ich da die Wahrheit sage, dann sind meine ganzen Kumpel dort und Gewehrsleute, die sind dann dran. So ist es eben. Das heißt, man muss einfach jeweils die Bedingungen kennen und, ich fürchte, teilweise akzeptieren.
Fischer: Sie haben recherchiert für Ihren Roman "Samarkand Samarkand" und der interessante Zusammenhang besteht nun darin, dass einerseits in der NSA-Affäre immer von Terrorismusabwehr die Rede ist, andererseits in Ihrem Roman die Terroristen, sage ich jetzt mal, oder jedenfalls eine massiv fundamentalistische Gruppe, nämlich die Faust Gottes, den Westen schon überrollt hat. Wir befinden uns im Jahr 2026/2027, der Dritte Weltkrieg findet gerade statt und ein Bundeskanzler namens Memet Yalcin hat gerade türkische Militärhilfe beantragt. Das ist doch interessant, der Zusammenhang zwischen Terrorismus und dem Fundamentalismus, den Sie womöglich in Ihrem Buch schildern wollen?
Politycki: Na ja, Terrorismus ist Kriegführung. Wir müssen uns verabschieden von der Vorstellung, dass Krieg etwas mit Feldschlachten zu tun hat. Auch in Nairobi, als das Einkaufszentrum zum Kriegsschauplatz erklärt wurde von den in dem Fall somalischen Fundamentalisten, wurde in deren Kommuniques immer von Krieg gesprochen. Das heißt, der Westen befindet sich eigentlich schon längst in diesem Krieg, wenn wir die Begriffe anders mal besetzen oder anpassen an die Gegebenheiten. Und ja, ich habe einfach nur die Schraube aus der Wirklichkeit etwas in die Zukunft gedreht. Es finden ja auch schon in den Orten, in denen ich zu gemäßigten Zeiten Lesungen habe, dann Nachts die Bandenkriege statt zwischen Russlanddeutschen und türkischen Banden. Das kann man alles noch auf der Ebene abhandeln. Aber wenn man ins Ausland geht, dann sind ethnische Konflikte, verrückterweise verbunden immer auch mit terroristischen Akten, an der Tagesordnung - Sachen, die wir nicht mehr auf dem Schirm hatten zu Zeiten des Eisernen Vorhangs. Also das ist die Realität.
Fischer: Matthias Politycki, es ist ja auch immer interessant, von sehr weit weg wieder zurück nach Europa zu schauen, und dann müssen wir aber doch feststellen, dass in Europa unsere Kultur nicht durch Terrorismus gefährdet ist, sondern wir diskutieren über die Euro- und Wirtschaftskrise schon seit Jahren und Monaten eher durch den Vorrang des Geldes vor dem Geist zum Beispiel.
Politycki: Europa ist keine geographische Entität, sondern eine geistige, und dieses Konstrukt Europa, was wir über Jahrhunderte der Kriege, aber auch der Aufklärung erarbeitet haben, ein Raum der Toleranz, des Miteinanders, ist gefährdet meiner Meinung nach. Der Terrorismus ist sehr wohl bei uns angekommen. Wir sind nicht nur diejenigen, die gerade mal in Deutschland sind, sondern wir sind auch die, die beim Boston-Marathon mitrennen, wir sind diejenigen, die in der U-Bahn in London sitzen, wenn dort eine Bombe hochgeht.
Wir leben ja auch inzwischen globalisiert als moderne Nomaden in einem viel größeren Raum als früher, und da ist der Terrorismus da. Ich erlebe ihn schon allein durch die Sicherheitskontrollen. Gott sei Dank bricht er selten aus, aber in unserem Bewusstsein ist er angekommen und es fehlen nur wenige Funken, dass daraus auch etwas größeres da oder dort werden kann. Das hat man auch schon gesehen.
Fischer: Ganz kurz zum Schluss, Herr Politycki: Was tun? Sie fordern ein robustes Mandat für Toleranz. Was bedeutet das?
Politycki: Wir müssen uns klar darüber werden, dass die europäische Idee nicht durch eine Euro-Krise kaputt gemacht werden kann, sondern dass es sich lohnt, Generation für Generation diese Idee wieder zu der eigenen zu machen. Das ist bei allen Reisen, die ich mache, der tollste Ort, an dem man leben kann. Mitteleuropa ist von außen betrachtet eine Insel der Seligen. Aber dafür muss man auch kämpfen, und zwar mental. Man muss also klar wissen, wo man steht und was man nicht verlieren möchte.
Fischer: Herzlichen Dank fürs Kommen, Matthias Politycki, und für dieses Gespräch über Worte, Welt und Wirkung.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.