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"Wir brauchen einen kooperativen Föderalismus"

Eine nationale Bündelung der Kräfte im Bildungssystem fordert der Vorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung Ludwig Eckinger. Wettbewerbföderalismus sei völliger Unsinn. Um die Bildungsungerechtigkeit in Deutschland zu bewältigen, brauche es eine gesamtstaatliche Verantwortung.

Moderation: Sandra Pfister |
    Sandra Pfister: Klappern gehört zum Handwerk, wenn man Interessenvertreter ist. Andererseits hat man schon das Gefühl, dass dem Vorsitzenden einer der beiden größten deutschen Lehrergewerkschaften, dem Verband Bildung und Erziehung, schon einiges gewaltig unter den Nägeln brennt, wenn er sich zu den jüngsten Reformen im Bildungswesen äußert. Am vergangenen Freitag forderte Ludwig Eckinger eine "konzertierte Aktion" für das deutsche Bildungssystem. Eine konzertierte Aktion auf nationaler Ebene. Herr Eckinger, was meinen Sie denn damit?

    Ludwig Eckinger: Also wir brauchen eine nationale Bündelung der Kräfte, um das Problem der Bildungsungerechtigkeit endlich zu bewältigen in Deutschland. Es gibt klare Anzeichen dafür, dass eine Formel aufgestellt wurde von den eigentlichen Kultusministern, nämlich den Finanzministern: Weniger Schüler bedeutet weniger Geld. Und da sagen wir: Stopp! Das heißt, das Abziehen von Mitteln aus den Bildungsetats muss gestoppt werden. Der Schülerrückgang muss zur Qualitätsverbesserung und zur Qualitätssicherung eingesetzt werden.

    Pfister: Zu wenig Geld in den Länderetats für Bildung. Das ist natürlich eine relativ wohlfeile Klage, die für fast alle politischen Bereiche gilt.

    Eckinger: Ja, aber das können wir nicht akzeptieren, denn es wird viel Geld ausgegeben in allen möglichen Bereichen und wir wissen, im internationalen Vergleich, dass Deutschland hier große Defizite hat, dass wir, zum Beispiel schon beginnend beim Fundament, viel zu wenig Geld ausgeben als im Vergleich jetzt. Es ist allein im Grundschulbereich so, dass der OECD-Durchschnitt erheblich höher ist als in Deutschland. Und das können wir natürlich als Lehrerverband nicht akzeptieren.

    Pfister: Die Bildungsungerechtigkeit haben Sie ins Spiel gebracht. Die Bildungsungerechtigkeit treibt Sie um, das haben Sie auch gemeinsam mit Andreas Schleicher, der vergangene Woche die jüngste OECD-Bildungsstudie vorgestellt hat. Bildungsungerechtigkeit, bedeutet das für Sie vorwiegend, dass Kinder aus unteren sozialen Schichten weniger Chancen haben auf einen höheren Schulabschluss und erst recht auf eine akademische Laufbahn?

    Eckinger: Das vor allem. Das ist eine enge Kopplung in Deutschland zwischen Bildungserfolg und sozialer wie ethnischer Herkunft. Aber wir haben mit der Föderalismusreform auch noch starke Bedenken, dass die Abhängigkeit von der Herkunft nach Bundesland hinzukommt. In jedem Fall müssen wir diese soziale Disparität auflösen, denn ich denke nicht, dass eine Demokratie wachsen kann, wenn wir ein solches Potenzial einfach ungelöst dahinvegetieren lassen.

    Pfister: Das heißt, Sie trauen den Ländern im Grunde genommen nicht zu, dass sie ihre nationale Verantwortung für die Bildung ausfüllen können?

    Eckinger: Also das wird zumindest schwierig. Ich denke, dass die Länder sich darüber im Klaren sein müssen, dass Wettbewerbsföderalismus völliger Unsinn ist, sondern dass wir den kooperativen Föderalismus brauchen, dass sie also zusammen helfen müssen, dass sie sich solidarisch erklären müssen. Das heißt aber nicht, dass sich nicht jedes Land spezifisch ausprägen kann. Aber wir brauchen Bildungspolitik in einer gemeinsamen Anstrengung, also auch in einer gesamtstaatlichen Verantwortung. Und nicht Partikularinteressen und dann 17 verschiedene zum Beispiel Lehrerbildungen. Das wäre fatal auch im Blick auf Europa.

    Pfister: Jetzt ist die Föderalismusreform, so wie sie jetzt ist, aber beschlossene Sache. Was bleibt denn dann?

    Eckinger: Es bleibt für die Länder, wirklich sich zu bekennen, dass die Kultusministerkonferenz eine neue Dimension bekommt, eine neue Kräfteverteilung passiert. Das heißt also, dass auf der Ebene der Kultusministerkonferenz und auf Augenhöhe auch mit den Lehrergewerkschaften das passiert, was wir fordern, nämlich gesamtstaatliche Verantwortung. Und das bedeutet, dass wir Bildungsstrategien brauchen vom Kindergarten bis zur Hochschule, die von Land zu Land nicht unterschiedlich sind, sondern die wirklich gemeinsam definiert werden.

    Pfister: Ist die KMK die richtige Institution oder hätten Sie lieber gerne so etwas wie einen nationalen Bildungsrat?

    Eckinger: Das habe ich auch unter Bundespräsident Rau schon gefordert. Der hat die Idee sehr interessant gefunden und wollte auch anpacken. Ob der jetzige Bundespräsident das macht, das wird sich zeigen. Auch er ist angefragt. Also ich meine schon, wie Sie sagen, dass ein nationaler Bildungsrat die richtige Einrichtung wäre. Er wäre völlig unabhängig - er müsste auch so besetzt sein. Aber das haben wir zurzeit nicht. Von daher setze ich auf die Kultusministerkonferenz.

    Pfister: Konkret zurück zu dem, was Sie gefordert haben: die konzertierte Aktion. Was könnte das jetzt - von Ihnen angestoßen - wirklich sein?

    Eckinger: Das bedeutet, dass im Kindergarten endlich Einigkeit besteht, dass das Bildungsbereich ist und nicht etwa sozialer Bereich, wo man nur aufbewahrt wird. Und das bedeutet auch, dass das Personal professionalisiert werden muss. Das ist eine Forderung, die natürlich Geld kostet, aber die sich rechnen würde auf Dauer. Und in der Grundschule ist es so, dass wir ebenfalls das Thema des Förderns und Forderns, also die Heterogenität in den Griff bekommen müssen. Und das bedeutet, dass die Grundschulen besser ausgestattet werden müssen mit Personal und auch materiell.

    Pfister: In Ansätzen geschieht das, was Sie fordern. Ich danke Ihnen trotzdem ganz herzlich. Ludwig Eckinger war das, Bundesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung. Er fordert eine "konzertierte nationale Aktion" für das deutsche Bildungssystem. Danke, Herr Eckinger.

    Eckinger: Ich danke Ihnen.