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"Wir brauchen Pioniergeist"

Nach einer Untersuchung des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) sank die Zahl der Unternehmensgründungen im vergangenen Jahr auf ein Fünftel. Angesichts der Zahlen appellierte Marc Evers von der DIHK für eine stärkere Einbindung der Themen Wirtschaft und Unternehmertum in die Stundenpläne und Kurrikula der Schulen und Universitäten.

Moderation: Sandra Pfister | 04.07.2008
    Sandra Pfister: Gründungsflaute in Deutschland - wir waren noch nie ein großes Volk von kleinen Gründern. Aber im vergangenen Jahr haben sich viele Leute dann offenbar doch überlegt, ein Angestelltenverhältnis ist doch eigentlich auch etwas Schönes.

    Die Kreditanstalt für Wiederaufbau hat es nachgemessen: 2007 schrumpfte die Zahl der Unternehmensgründer auf ein Fünftel auf 860.000. Heute stellen wir Ihnen das Wichtigste aus dem druckfrischen Gründerreport des Deutschen Industrie- und Handelskammertages vor. Marc Evers vom DIHK in Berlin ist uns zugeschaltet, Fachmann für Existenzgründungen. Herr Evers, woran liegt es denn, das weniger gegründet wird?

    Marc Evers: Die Industrie- und Handelskammern berichten uns von drei Hauptgründen. Zum einen geht in der gut laufenden Konjunktur die Zahl der Arbeitslosen zurück. So verbessern sich die Jobperspektiven, und es sinken die Anreize zu Gründungen aus der Not. Doch Arbeitslosigkeit bleibt für die Mehrheit derjenigen, die sich zu Selbständigkeit entscheiden, das ausschlaggebende Motiv, für 60 Prozent der bei den IHKs beratenen Gründer.

    Grund zwei, die Förderung für Arbeitslose Existenzgründer wurde verschärft. Es gibt den Gründungszuschuss und abgeschafft wurde die Ich-AG. Damit verbunden sind höhere Anforderungen an den Antragsteller. Punkt drei, die Jobaussichten vor allem für Fachkräfte haben sich im Konjunkturboom spürbar verbessert, vor allem für qualifizierte Fachkräfte erhöhen sich die Chancen auf gute Gehälter in abhängiger Beschäftigung. So bieten etwa Unternehmen exportorientierter Branchen wie zum Beispiel im Maschinenbau vor allem Ingenieuren und technisch versierten Fachkräften attraktive Jobs, viele ziehen eine gut dotierte abhängige Beschäftigung dem unternehmerischen Risiko vor.

    Pfister: Das sind alles in allem sehr positive Nachrichten. Dass es weniger Gründer gibt, ist also gar nicht unbedingt negativ.

    Evers: Wir müssen zwei Dinge betrachten. Es geht ja zum einen um die Quantität und zum anderen um die Qualität. Wir brauchen in Deutschland mehr Existenzgründungen und nicht weniger. Wir brauchen in Deutschland aber auch mehr gute Ideen, die sich am Markt tragen können. Und hier müssen wir zu einem grundlegenden Wandel hin zu einer Kultur der Selbständigkeit kommen. Und hier müssen wir im Bildungssystem ansetzen.

    Förderweltmeister sind wir schon. Wir haben in Deutschland sehr viele Förderprogramme, aber in Punkto unternehmerische Bildung in Schulen und Hochschulen haben wir Nachholbedarf. Die Themen Wirtschaft und Unternehmertum müssen systematisch in die Stundenpläne und müssen systematisch in die Kurrikula der Hochschulen.

    Pfister: Aber ich habe Sie richtig verstanden, Sie sind nicht unbedingt unglücklich, dass sich jetzt die Spreu vom Weizen trennt, dass also viele Notgründungen nicht unternommen werden.

    Evers: Das ist eigentlich ein gutes Zeichen, denn eine schlecht vorbereitete Selbständigkeit hilft am allerwenigsten dem Gründer selber. Die IHKs haben erlebt, dass fast vierzig Prozent im Jahr 2005 derjenigen, die eine Ich-AG gründen wollten, ihre eigene Produktidee gar nicht klar beschreiben konnten. Das sind natürlich denkbar schlechte Voraussetzungen für den Start.

    Und es ist gut, dass mit der Verschärfung der Gründungsförderung und der besseren Konjunktur sich Gründer jetzt gründlicher überlegen, wie sie ihre Selbständigkeit vorbereiten. Da sehen die IHKs durchaus verbesserte Qualität von Businessplänen. Und noch einmal, wir müssen nicht nur eine bessere Qualität haben, wir müssen auch mehr Gründer haben. Wir müssen beide Schuhe haben, damit Deutschland in Punkto Existenzgründung wieder richtig sprinten kann.

    Pfister: Was schlagen Sie vor, wie kriegen wir mehr Gründer?

    Evers: Wir müssen zum einen Bürokratie abbauen. Da schlagen wir konkret vor, den Industrie- und Handelskammern in Ergänzung zum Angebot der Kommunen zu erlauben, rechtsverbindlich Gründern die Gewerbeanzeige anbieten zu können.

    Denn so erhalten Existenzgründer alles für den Staat an einem Ort. Sie erhalten ein Gründerpaket, einen Gründerservice aus einer Hand, von der Erstauskunft, über den Businessplancheck, bis hin zur rechtsgültigen Gewerbeanzeige. In Hamburg und in Rheinland-Pfalz können die Industrie- und Handelskammern diesen Service bereits bieten. Wir setzen uns bei den Landesregierungen dafür ein, dass das auch in den anderen Bundesländern in absehbarer Zeit der Fall sein wird.

    Pfister: Die Migranten haben Sie auch eigens untersucht.

    Evers: Richtig.

    Pfister: Mit welchem Ergebnis?

    Evers: Wir beobachten, dass die Migranten ein Motor für Selbständigkeit in Deutschland sind. Etwa 14 Prozent derjenigen, die die IHK-Gründungsberatung oder Gründertage aufsuchen, haben einen Migrationshintergrund. Wir beobachten eine weitere Interessante Tendenz. Viele Migranten sind in Punkto technische, kaufmännische, handwerkliche Voraussetzungen teils besser vorbereitet, als es der Durchschnitt ist. Da geht es um Dinge wie Buchführung, wie Kostenrechnung, wie Ausstellung von Planrechnungen.

    Auf der anderen Seite ist ein nicht zu unterschätzendes Manko bei manchen Migranten zu beobachten, nämlich die mangelnde Kenntnis des kulturellen und geschäftlichen Umfeldes. So sprechen 37 Prozent aller Personen mit Migrationshintergrund ein für das Geschäftsleben nicht ganz ausreichendes Deutsch. Aber insgesamt noch einmal, Migranten sind ein Motor für Selbständigkeit in Deutschland.

    Pfister: Und wenn wir das alles zusammenbinden, müssen wir sagen, ohne mehr Bildung werden wir kein Volk von Gründern.

    Evers: Wenn man sich einmal die demografische Entwicklung anschaut, dann werden wir bei den jetzigen Gründungszahlen, wenn sich da nichts ändert, im Jahr 2050 über eine halbe Million weniger Selbständige in Deutschland haben. Nun ist Deutschland ja nicht mit reichlichen Bodenschätzen wie etwa Öl gesegnet, sondern wir sind darauf angewiesen, was in den Köpfen der Menschen ist. Wir brauchen Pioniergeist und wir brauchen Unternehmertum.

    Wir brauchen also einen grundlegenden Wandel zu einer Kultur der Selbständigkeit in Deutschland. Und hier müssen wir im Bildungssystem ansetzen. Wir brauchen Wirtschaft und Unternehmertum systematisch in den Schulen, systematisch in den Universitäten. Wir brauchen und wir müssen über den Status von Projekttagen hinauskommen, das muss systematisch in den Stundenplänen und Kurrikula verankert werden.

    Pfister: Marc Evers vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag zu dessen brandneuen Gründungsreport 2008. Danke Ihnen, Herr Evers.

    Evers: Sehr gerne, Frau Pfister.