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"Wir, die Barbaren. Nachrichten aus der Zivilisation"

"Wir, die Barbaren - Nachrichten aus der Zivilisation" ist das Motto des diesjährigen Schauspielprogramms in Salzburg und auch Titel eines Symposiums, das sich um die Anderen, die Barbaren, die Fremden drehte. Schauspielchef Martin Kusej wollte in diesem Jahr den Wunschtraum und den Alptraum Europa mit den Mitteln des Theaters und der Literatur entdecken und wiederbeleben. Dabei waren so unterschiedliche Referenten wie der Iranische Schriftsteller Navid Kermani, der österreichische Innenminister Ernst Strasser und der österreichische Schriftsteller Peter Turrini.

Von Susanne Lettenbauer |
    Gegen die Barbarenströme hilft nur der Regenschirm. Diese Erfahrung machte Biljana Srbljanovic dieses Jahr in Salzburg, als sie sich durch die Touristenmassen Richtung Mozarthaus drängeln musste. Sie die Serbin aus dem Nicht-EU-Belgrad, der Prototyp einer Barbarin schlechthin, zumindest aus der Sicht eines EU-Bürgers, definiert den Begriff Barbar in Salzburg ganz anders: Wenn gut 10 Millionen Besucher jährlich in Paris das Wahrzeichen Notre Dame besuchen, weltweit gut 700 Mill. Touristen jährlich unterwegs sind, die 622 Mrd. Dollar umsetzen, ist das barbarisch? Der Einfall fremder Horden in die Kulturstätten der Welt, um nur ein Foto mit nach Hause zu bringen von der Mona Lisa, den Pyramiden oder dem Eifelturm? Müssen Europas Nationen ihr kulturelles Erbe für Geld verschleudern, um mithalten zu können im großen Tourismusranking des Pauschalreisenden? Dabei stören sie den Proustschen Bildungsreisenden in seiner Kontemplation, zertrampeln das Versailler Parkett, hasten den Touristenführern hinterher.

    Jene Mobilitätsbarbaren also mit einer rücksichtsloser Kultur für Geld-Mentalität. Die modernen Germanen im römischen Reich, die untoten Römer Griechenlands, die Zugezognen für die Einheimischen, der Andere für das eigene Ich.

    Salzburgs Schauspielchef Martin Kusej kennt sich als Teil der slowenischen Minderheit in Österreich aus mit den menschlichen Xenophobien und wohl deshalb gibt es zum ersten Mal auf den Salzburger Festspielen, dem Hort von ganz anderen Barbaren, so Peter Turrini, ein Symposium zu diesem komplexen Thema. Denn der Barbar ist so alt wie sein Gegenüber. Und er hat zahlreiche Funktionen: Durch ihn kann sich eine Zivilisation definieren, sich abgrenzen, denn eines ist klar. Ein Barbar ist immer der andere. Sei es der Tourist in einer globalisierten Welt, seien es die Manager der großen Aktienfirmen, für die der Mensch nur noch Verhandlungsmasse ist. Ein moderner Prophet des Geldes, so das wortgewaltige Plädoyer Turrinis, der Kapitalismus, der nach der Auflösung des Ostblockes keine Argumente mehr vorzeigen braucht für sein Dogma von der neuen Religion "Geht es der Wirtschaft gut, geht es dem Menschen gut." Die Zahl von 475 000 Menschen an der Armutsgrenzen in Österreich spricht dagegen Bände. In Salzburg herrschte einstimmige Heuschreckenkritik. Turrinis Rede geriet daher zu einer zweiten Gegenrede im Rahmen der Festspiele, ein Phänomen, das vielleicht schon zur soziologischen Spezies eines Natan Sznaider gehört, der kurzfristig leider absagte. Wahrscheinlich konnte er seinen kurzen Zeilen für das Symposium-Almanach nichts mehr hinzufügen, denn dürre Quintessenz seines Statements hieß, wenn der Barbar dein Feind ist, dann muss er als solcher anerkannt werden.

    Der Barbar ist somit nicht nur ein Anderer, sondern wird wie im Falle des 11. September sehr schnell zum Feind. Dem kann man nicht mehr mit sozialwissenschaftlichen Theorien beikommen, dem Gutmensch-Denken des Westens, gibt Sznaider zu und kapituliert damit kampflos vor den Barbaren, an die alle derzeit denken. An die Muslime. Wer früher in Soziologenkreisen von "Wir die Barbaren sprach" oder "Der Westen ist an allem schuld" zog sich das lockere Büsserhemd an. Mittlerweile ist klar, das damit kein Problem gelöst wird. Schon gar nicht in Immigrantenviertel von Berlin, Wien oder Hamburg, versuchte Navid Kermani zu erklären. Der in Siegen geborene Schriftsteller wird seit kurzem gegen seinen Willen als Muslim-Dichter präsentiert, wird eingeladen in Moscheen, gibt Schreibkurse an islamischen Schulen. Was ihm nie besonders wichtig erschien, seine Religion, die Herkunft seiner Eltern, das Stigma, das damit verbunden ist, drängt ihn plötzlich in eine Ecke, in der er sich fremd fühlt. So müssen sich die Attentäter vom 11. September gefühlt haben. Sie waren nicht wir sondern sie. Sie waren integriert, säkular und Fussballfans, aber sie waren immer die Anderen. Barbaren sind das Produkt der Ausgrenzung, so Kermani. Ob Heranwachsende auf der Suche nach ihrer Identität Rockbands gründen, in Indien trommeln, sich in einer Partei engagieren oder islamistischen Kreisen anschließen, dass hängt auch immer von den Anderen ab. Und Muslime stehen spätestens seit dem September 2001 unter Generalverdacht. Doch ihre fiktive Kollektivschuld, die Integrationsverweigerung ist Schuld des Westens, seiner Doppelmoral, so Kermani. Denn wem nützt das Wort vom Barbaren, wenn nicht der scheinbar bedrohten Gesellschaft.

    Leider war der Bochumer Ästhetikprofessor Manfred Schneider nicht nach Salzburg geladen worden. Sein Essay zum Thema führte besser als die Referenten des Symposium vor Augen, worum es heute eigentlich geht: Um die Rebarbarisierung der Gesellschaft. Nie hat eine Gemeinschaft soviel Sehnsucht nach Barbaren, wie in ihrer dekadenten Hochblüte. Denn das barbarische erscheint als das Natürliche, das Ursprüngliche. Der Ursprung einer neuen Zeit. Dies Verlangen nach Erneuerung durch die Politik des Barbarischen musste das 20. Jahrhundert blutig durchleben. Doch wer an die Wollust der Intellektuellen denkt, sich 1914 den Barbaren vom Balkan entgegenzustellen, leuchtet Schneiders These ein, an deren Schärfe das Symposium leider nicht annähernd herankam. Zum Schluss das unerwartete Statement von Salzburgs diesjährigem Festspieldichter John M. Coetzee. Barbar ist bereits der, dessen Welt einem unverständlich scheint. Dialogverweigerung ist der Beginn der Barbarendenunziation. Mithin liegt es auch am Westen, wenn die Barbaren nicht aussterben.