"Zu Mailand habe ich ein sehr konfliktgeladenes Verhältnis, denn auf der einen Seiten ist es ein Teil von mir, auf der anderen Seite verabscheue ich es, als physisches Umfeld. Aber es gibt dort einen Geist, unruhig und neugierig, darauf, was außerhalb von Mailand geschieht, diese Geisteshaltung habe ich auch. Schließlich bin ich hier geboren und aufgewachsen, und deshalb ist sie auch Teil von mir geworden. Es ist eine merkwürdige Mischung aus Unzufriedenheit und Neugier, eine mental sehr unruhige Haltung: Mailand ist eine Stadt, in der die Menschen häufig ihrer Arbeit nachgehen und ihr Privatleben haben, aber die sie umgebende Welt wie hinter einer Glasscheibe oder wie auf einem Fernsehschirm erleben. In gewisser Weise treibt die Stadt zum Reisen, viele Menschen, die in Mailand geboren sind, sind die meiste Zeit auf Reisen."
Allen Figuren gemeinsam ist, daß sie, mit durchschnittlicher Kreativität ausgestattet, unbedingt das Besondere tun wollen. Bei Mario ist es der Film, Livio findet seinen Weg als Maler, Misia wird zuerst unfreiwillig, dann willentlich zur Schauspielerin. Der Knoten, an dem die drei Lebensgeschichten miteinander versponnen sind, ist ein Filmprojekt, das Mario realisiert. Misia wird seine Hauptdarstellerin und zum Mißfallen von Livio auch dessen Geliebte. Nach einigen Friktionen, die der Konstellation: zwei Männer und eine Frau inhärent sind, setzt sich das Prinzip der Freundschaft durch. Sie ist stärker als die Liebe, die als ein sehr flüchtiges und selbstzerstörerisches Phänomen, unweigerlich wieder in die Katastrophe führt. Eine Zeitlang paßt man sich den Bedürfnissen und dem Lebensstil des jeweiligen neuen Partners an, dann folgt ein gewaltsamer Ausbruch aus dem Vertrauten und Umkrempeln des Lebens. Sex spielt in dieser Ode an die Freundschaft kaum eine Rolle, ganz im Gegensatz zu De Carlos Roman "Arcodamore", in dem die Liebe mit ihrer ganzen Rausch-und Triebhaftigkeit zum Mittelpunkt wurde:
"Meine Figuren spiegeln in großen Maße mein Leben wieder. Ich habe mich nicht willentlich dafür entschieden, keine längeren Liebesbeziehungen einzugehen, aber ich mußte immer wieder feststellen, daß es sehr schwierig ist, sie zu führen. Vielleicht ist deshalb die Freundschaft in "Wir drei" stärker als die Liebe, sie dauert länger und überwindet eine Reihe von Hindernissen, die die Liebe eben nicht bewältigen könnte. Da gibt es Stolz und verletzte Gefühle, die verhindern, daß eine Beziehung überleben kann. Ich weiß nicht, ob Freundschaft generell stärker ist, natürlich ist die Liebe eine Kraft, die mit nichts anderem vergleichbar ist, aber sie eben auch sehr verletzbar, ein sehr zarte Kraft, die fragile Bereiche hat, und deshalb geht sie schnell in die Brüche. Freundschaft hat manchmal die Fähigkeit zu größerer Toleranz, sie erträgt zuweilen Abwesenheit, Beleidigungen, Enttäuschungen, auch Distanzen. Die Liebe ist viel anspruchsvoller."
Mit einem Film beginnt und endet die Geschichte, denn zum Schluß beschließen die drei, noch einmal einen Film über Italien zu drehen, so amateurhaft wie damals in den 70er Jahren. Dem Establishment und dem schnellen, korrupten und irgentwie lebensfremden Filmgeschäft wollen sie sich entziehen. Dann unterschreibt Mario den Vertrag mit einer amerikanischen Produktionsfirma, was wieder zum Zerwürfnis zwischen den Freunden führt. Doch nach wenigen Tagen kündigt er und bricht mit Livio zu einer Reise auf, die die drei Freunde wieder zusammen führen soll. De Carlo:
"Ich finde es sehr schwer, über meine Bücher zu reden, ich habe nicht so einen distanzierten Blick auf sie. Manchmal treffe ich Schriftsteller, die fast wie Kritiker über ihre eigenen Bücher sprechen. Sie haben eine ziemlich klare Vorstellung von ihren Motiven, der Wahl der Personen und so weiter. Ich habe dazu eher ein instinktives Verhältnis. Ich denke über eine Geschichte nach, und diese Geschichte beginnt sich in mir immer weiter auszuprägen, dann beginne ich zu schreiben. Natürlich ist das auch ein bewußter Prozeß, aber in dieser Bewußtheit gibt es viel dunkle, mir selbst unklare, unerforschte Bereiche, die ein Leser vielleicht besser dechiffrieren kann, als ich selbst. - Meine Themen sind vielleicht immer dieselben. Im Mittelpunkt steht jedesmal eine Untersuchung von Beziehungen, das Verhältnis zwischen den Geschlechtern, zwischen Individuen und der Welt, die Suche nach einer Identität. Das wiederholt sich immer wieder in meinen Büchern."
Die Gefühle und Gedanken der Figuren erschließen sich für den Leser durch die Perspektive von Livio, der noch am wenigsten neurotisch zu sein scheint. Bis auf seine ungewöhnliche körperliche Ausstattung: er ist asymetrisch, hat zwei verschiedenfarbige Augen und brüllt bei jeder Gelegenheit los. Aus seiner Sicht und aus einigen Briefen von Mario und Misia erfährt der Leser vom jeweiligen Aufenthaltsort und den Lebensumständen der anderen. Bei allen Versuchen beruflichen Weiterkommens, Livio als Maler, Marco als Regisseur und Misia als Schauspielerin, treffen die Protagonisten immer wieder auf die Mechanismen des Kulturbetriebs mit seinen Korruptheiten. Bereits in seinem vor acht Jahren erschienenen Roman "Techniken der Verführung" hat Andrea De Carlo ein scharfes Bild des italienischen Kunst- und Literaturbetriebs gezeichnet. Seine eigenen Erfahrungen beschreibt der Schriftsteller so:
"Seit ich festgestellt habe, wie diese Welt der Kulturschaffenden und der Verleger funktioniert, und ich glaube, das ist in jedem Land ziemlich ähnlich, habe ich gemerkt, daß ich absolut nichts mit dem Mechanismus der Literaturpreise, dem gegenseitigen Ausstausch von Gefallen und Bevorzugungen zu tun haben wollte. In Italien arbeiten fast alle Literaturkritiker für Verlage, sie sind dort Berater, oder Mitarbeiter, manchmal auch Autoren. Viele von ihnen schreiben Romane, niemand liest sie, aber trotzdem werden sie verlegt. Meist geht es dabei hauptsächlich um Macht und Eitelkeit. Ich entdeckte, daß es da eine perverse Interessenverknüpfung gibt. Seitdem schreibe ich nur noch Bücher."
Manchmal wünschte man sich, die Figuren würden etwas weniger äußerliche Wechsel erfahren und dafür eine wie immer geartete Haltung zu dem Erlebten einnehmen. Die ewigen Dialoge über den Antagonismus von Konventionalität und sogenanntem "echten Leben" beginnen zu langweilen, wirken infantil. Der Tod der Großmutter bringt Livio zu der Einsicht, daß es Betrug sei zu glauben, ein Mensch würde im Laufe seines Lebens reifer. Nur nutzlose Informationen, abgenutzte Leidenschaft, verspätete Einsichten könne er wie Abfall auf einem Holzkarren ansammeln, der jedoch bei jedem Schlagloch auseinander bräche. Und so durchlaufen Livio, Marco und Misia keine wirkliche Entwicklung, wie in einem Roadmovie sind sie immer irgendwo hin unterwegs, treffen sich, um in entgegengesetzte Richtung wieder aufzubrechen. Und mittendrin die Freundschaft.