Burkhard Müller-Ullrich: Herr Liessmann, Sie haben ja bei der Themenwahl stets essayistisches Genie bewiesen, diesmal geht es um den Wert des Menschen - Untertitel: An den Grenzen des Humanen - das klingt natürlich sehr nach Bio-Ethik…
Konrad Paul Liessmann: Was mich an dem Thema natürlich interessiert, das war sicher auch die Entwicklung der letzten Jahre, die ja ganz deutlich gezeigt haben, dass wir zunehmend Schwierigkeiten bekommen zu definieren, was den Menschen eigentlich ausmacht, worin sein Wert besteht, wie es mit der Würde des Menschen bestellt ist. Das waren Dinge, die wir so im aufklärerischen Denken und vor allem unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg für selbstverständlich erachtet haben, dass man zum Beispiel die Frage "Gibt es lebensunwertes Leben?" nicht diskutiert. Seit geraumer Zeit wird wieder darüber diskutiert, gerade im Zusammenhang mit Euthanasie, in dem Zusammenhang taucht plötzlich wieder diese Frage auf: Ist jedes menschliche Leben gleich wert wie ein anderes oder ist ein menschliches Leben, das gesund ist, das kräftig ist, das arbeitsfähig ist, nicht doch um einiges wertvoller als schwaches, krankes, altes oder nicht entwicklungsfähiges Leben?
Müller-Ullrich: Und die definitorischen Schwierigkeiten beginnen ja eigentlich schon bei der Betrachtung des Lebens selbst. Man weiß heute weniger denn je, wann es eigentlich beginnt und wann es aufhört. Das sind natürlich Dinge, die durch naturwissenschaftliche Entdeckungen oder Entwicklungen getrieben werden.
Liessmann: Das ist genau der für mich spannende Punkt, dass das Fragen sind, die natürlich zum Teil in der philosophischen Tradition gar nicht auftauchen konnten. Wenn man dort also etwa Geburt und Tod als Naturgegebenheiten hinnehmen musste oder hingenommen hat und sich durch diese Entwicklung in der Naturwissenschaft und der Medizin, der Biotechnologien jetzt plötzlich Bandbreiten auftun und Möglichkeiten auftun, die nach völlig neuen Versuchen verlangen mit dieser Frage: Was ist überhaupt menschliches Leben, wann entsteht es, wann kommen ihm sozusagen dann die vom Gesetz und vom Staat geschützten Rechte zu? Das alles ist natürlich bis zu einem gewissen Grad extrem geworden durch unsere technischen Möglichkeiten, einerseits in die Entstehung des Lebens einzugreifen, auf der anderen Seite haben wir natürlich das Problem, dass wir menschliches Leben auch dann wenn es nicht mehr bewusst ist, wenn es nicht mehr uns lebenswert erscheint, trotzdem maschinell unglaublich lange Zeit am Leben erhalten können, und wir eigentlich nicht wissen, welchen Status hat dieses Leben.
Müller-Ullrich: Sie haben gerade auf eine Art Selbstverständlichkeitsverlust hingewiesen, als Sie sagten, nach dem zweiten Weltkrieg seien solche Fragen ja eigentlich nicht weiter erörterungsbedürftig gewesen, auf der anderen Seite hat damals Ihr Landsmann Günter Anders ein Buch geschrieben, das sehr berühmt wurde, "Die Antiquiertheit des Menschen". Da ging es natürlich um eine Sache vor allem, nämlich die Atombombe, das heißt, dass die Möglichkeit zur Selbstvernichtung auch einen ganz anderen Horizont über diese Diskussion spannt. Haben wir seither keinen Schritt vorwärts gemacht?
Liessmann: Also wenn ich jetzt Günter Anders weiterdenken würde, würde ich sagen, wir haben schon einen gewaltigen Schritt vorwärts gemacht, allerdings in die aus der Perspektive von Anders falsche Richtung. Was wir heute erleben, das ist ja auch also zunehmend die Frage, ob das Menschliche, so wie es etwa in der philosophischen, auch in den religiösen Traditionen, über Jahrtausende hindurch wie eine Selbstverständlichkeit gehandelt worden war, dass das zunehmend fraglich wird im Günter Anders'schen Sinn zu einer antiquierten Kategorie wird.
Müller-Ullrich: Besteht nicht die Gefahr, dass weil so eine Entgegensetzung gegenüber ökonomischen und naturwissenschaftlichen Zwängen da gegeben ist, dass man auf einem Philosophikum sich natürlich sehr einig ist, der Begriff der Menschenwürde, der Menschlichkeit, das ist ja im Grunde so ein strahlender und eigentlich indiskutabler Begriff, weil niemand auftreten wird und sagen: Ich bin dagegen.
Liessmann: Natürlich würde auch niemand, der eintritt für Euthanasie wie Peter Singer etwa, würde auch nicht sagen, er sei gegen die Menschenwürde. Das heutige Plädoyer für Euthanasie läuft ja weniger über das Argument sozusagen lebensunwertes Leben ausmerzen zu müssen oder zu sollen, sondern läuft ja eher über das Argument des Menschen Würde im Sterben, das hier erleichtert und ermöglich werden soll. Das heißt, auf diese Weise verzichtet niemand auf die Menschenwürde, das ist schon richtig oder es trifft beileibe nicht nur auf Philosophen zu, ganz im Gegenteil. Wir haben eine ganze Reihe von Denkern, Denkerinnen hier eingeladen, die sehr wohl Positionen vertreten, in welchen Formen, in welchen Bereichen dieser Begriff der Menschenwürde fragwürdig geworden ist und einfach auch nicht ausreicht, womit wir die Frage nach der Legitimität etwa der Embryonenforschung zu beantworten.
Konrad Paul Liessmann: Was mich an dem Thema natürlich interessiert, das war sicher auch die Entwicklung der letzten Jahre, die ja ganz deutlich gezeigt haben, dass wir zunehmend Schwierigkeiten bekommen zu definieren, was den Menschen eigentlich ausmacht, worin sein Wert besteht, wie es mit der Würde des Menschen bestellt ist. Das waren Dinge, die wir so im aufklärerischen Denken und vor allem unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg für selbstverständlich erachtet haben, dass man zum Beispiel die Frage "Gibt es lebensunwertes Leben?" nicht diskutiert. Seit geraumer Zeit wird wieder darüber diskutiert, gerade im Zusammenhang mit Euthanasie, in dem Zusammenhang taucht plötzlich wieder diese Frage auf: Ist jedes menschliche Leben gleich wert wie ein anderes oder ist ein menschliches Leben, das gesund ist, das kräftig ist, das arbeitsfähig ist, nicht doch um einiges wertvoller als schwaches, krankes, altes oder nicht entwicklungsfähiges Leben?
Müller-Ullrich: Und die definitorischen Schwierigkeiten beginnen ja eigentlich schon bei der Betrachtung des Lebens selbst. Man weiß heute weniger denn je, wann es eigentlich beginnt und wann es aufhört. Das sind natürlich Dinge, die durch naturwissenschaftliche Entdeckungen oder Entwicklungen getrieben werden.
Liessmann: Das ist genau der für mich spannende Punkt, dass das Fragen sind, die natürlich zum Teil in der philosophischen Tradition gar nicht auftauchen konnten. Wenn man dort also etwa Geburt und Tod als Naturgegebenheiten hinnehmen musste oder hingenommen hat und sich durch diese Entwicklung in der Naturwissenschaft und der Medizin, der Biotechnologien jetzt plötzlich Bandbreiten auftun und Möglichkeiten auftun, die nach völlig neuen Versuchen verlangen mit dieser Frage: Was ist überhaupt menschliches Leben, wann entsteht es, wann kommen ihm sozusagen dann die vom Gesetz und vom Staat geschützten Rechte zu? Das alles ist natürlich bis zu einem gewissen Grad extrem geworden durch unsere technischen Möglichkeiten, einerseits in die Entstehung des Lebens einzugreifen, auf der anderen Seite haben wir natürlich das Problem, dass wir menschliches Leben auch dann wenn es nicht mehr bewusst ist, wenn es nicht mehr uns lebenswert erscheint, trotzdem maschinell unglaublich lange Zeit am Leben erhalten können, und wir eigentlich nicht wissen, welchen Status hat dieses Leben.
Müller-Ullrich: Sie haben gerade auf eine Art Selbstverständlichkeitsverlust hingewiesen, als Sie sagten, nach dem zweiten Weltkrieg seien solche Fragen ja eigentlich nicht weiter erörterungsbedürftig gewesen, auf der anderen Seite hat damals Ihr Landsmann Günter Anders ein Buch geschrieben, das sehr berühmt wurde, "Die Antiquiertheit des Menschen". Da ging es natürlich um eine Sache vor allem, nämlich die Atombombe, das heißt, dass die Möglichkeit zur Selbstvernichtung auch einen ganz anderen Horizont über diese Diskussion spannt. Haben wir seither keinen Schritt vorwärts gemacht?
Liessmann: Also wenn ich jetzt Günter Anders weiterdenken würde, würde ich sagen, wir haben schon einen gewaltigen Schritt vorwärts gemacht, allerdings in die aus der Perspektive von Anders falsche Richtung. Was wir heute erleben, das ist ja auch also zunehmend die Frage, ob das Menschliche, so wie es etwa in der philosophischen, auch in den religiösen Traditionen, über Jahrtausende hindurch wie eine Selbstverständlichkeit gehandelt worden war, dass das zunehmend fraglich wird im Günter Anders'schen Sinn zu einer antiquierten Kategorie wird.
Müller-Ullrich: Besteht nicht die Gefahr, dass weil so eine Entgegensetzung gegenüber ökonomischen und naturwissenschaftlichen Zwängen da gegeben ist, dass man auf einem Philosophikum sich natürlich sehr einig ist, der Begriff der Menschenwürde, der Menschlichkeit, das ist ja im Grunde so ein strahlender und eigentlich indiskutabler Begriff, weil niemand auftreten wird und sagen: Ich bin dagegen.
Liessmann: Natürlich würde auch niemand, der eintritt für Euthanasie wie Peter Singer etwa, würde auch nicht sagen, er sei gegen die Menschenwürde. Das heutige Plädoyer für Euthanasie läuft ja weniger über das Argument sozusagen lebensunwertes Leben ausmerzen zu müssen oder zu sollen, sondern läuft ja eher über das Argument des Menschen Würde im Sterben, das hier erleichtert und ermöglich werden soll. Das heißt, auf diese Weise verzichtet niemand auf die Menschenwürde, das ist schon richtig oder es trifft beileibe nicht nur auf Philosophen zu, ganz im Gegenteil. Wir haben eine ganze Reihe von Denkern, Denkerinnen hier eingeladen, die sehr wohl Positionen vertreten, in welchen Formen, in welchen Bereichen dieser Begriff der Menschenwürde fragwürdig geworden ist und einfach auch nicht ausreicht, womit wir die Frage nach der Legitimität etwa der Embryonenforschung zu beantworten.