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"Wir Frauen haben uns ein bisschen mehr unten gefühlt"

In Bonn war die Republik noch gemütlich. Politiker machten Fehler, sie hatten Geliebte, doch darüber wurde gemunkelt – nicht berichtet. Für die Frauen war Bonn weniger gemütlich, sagt Ursula Kosser. Sie war in den 80er-Jahren als junge Journalistin für den "Spiegel" in der Bundeshauptstadt.

Von Brigitte Baetz | 02.04.2012
    Bonn, am Abend des 5. Mai 1983. Die Abgeordnete der Grünen Waltraud Schoppe hält eine Rede, die nicht nur vielen ihrer männlichen Kollegen noch lange im Gedächtnis bleiben wird, weil sie ein Tabuthema berührt:

    "Wir fordern die Bestrafung bei Vergewaltigung in der Ehe. Wir fordern Sie auf, endlich zur Kenntnis zu nehmen, dass auch die Frauen ein Selbstbestimmungsrecht haben über ihren Körper und ihr Leben. Wir fordern Sie alle auf, den alltäglichen Sexismus hier im Parlament einzustellen."

    Zwischenrufe und Beifall

    "Und dann schwenkt die Kamera so auf die Männer, ein paar Frauen, aber hauptsächlich Männer, die schenkelklopfend da sitzen und so Dinge schreien: Du willst es doch nur besorgt bekommen. Und: hohoho, das sind die, die es sowieso nie kriegen, und nicht direkt in der Replik, aber in ähnlicher Situation gibt es dann einen Heiner Geißler, damals Generalsekretär der CDU, der vor dem Deutschen Bundestag folgenden Satz sagt: Meine Damen und Herren, wissen Sie, wir haben gar nichts gegen alte Männer, wir haben auch nichts gegen alte Frauen, wir haben noch nicht einmal was gegen junge Frauen. Manche von denen sehen ja auch ganz nett aus."

    Solche Bemerkungen und Reaktionen waren keine Einzelfälle. Die Journalistin Ursula Kosser beschreibt in ihrem Buch "Hammelsprünge" das Bonner Bundesdorf der 80er- und 90er-Jahre als Treibhaus für Chauvinismus und sexuelle Übergriffe. In diese nicht nur in räumlicher Hinsicht enge Welt der politischen Klasse zog es zu dieser Zeit immer mehr junge, gut ausgebildete Journalistinnen, unter anderem auch Ursula Kosser. Die wenigen Berichterstatterinnen, die es bis dahin gegeben hatte, waren zumeist Seiteneinsteigerinnen mit Exotenstatus gewesen. Der Nachwuchs, auch und gerade weil er nie mehr als zehn Prozent der Medienvertreter ausmachte, galt, so schreibt Ursula Kosser, als Störfaktor, gegen den viele Männer, nicht nur Politiker, ebenso Journalistenkollegen, ihre Macht ausspielten. Frauen wurden nicht in die wichtigen Hintergrundkreise eingeladen und mussten sich jede Menge Belästigungen gefallen lassen – verbaler und nonverbaler Art.

    Der Interviewreigen zum Thema "Aufklärungsflüge" hatte schon begonnen. Als Erste kamen wie meistens die Journalisten von der ARD zum Zuge. (Die Hörfunkreporterin) Christa tauchte unter dem letzten im Wege stehenden Kollegen der schweigenden Zunft hindurch und stand jetzt unmittelbar hinter den anderen Öffentlich-Rechtlichen, die dem Verteidigungsminister gerade ihre großen, mit Plüsch geschützten Mikrofone entgegenhielten. Christa tippte dem Vordermann auf die Schulter und fragte höflich: "Stört es dich, wenn ich von hinten mit aufnehme?" Amüsiert beobachtete der Herr Minister den Auftritt der einzigen Frau im Knäuel. Statt des Kollegen antwortete der Minister selber in einer Lautstärke, dass es auch in den hintersten Reihe zu verstehen war. "Stört gar nicht, schöne Frau", tröstete der als Frauenfreund in ganz Bonn bekannte Herr der Hardthöhe. "Sie wissen ja: Männer kommen immer gerne von hinten."

    Die betretene Stille nach diesem Satz des Ministers löst sich alsbald im dröhnenden Gelächter der Männermeute. Ursula Kosser beschreibt in klarer und bisweilen drastischer Sprache viele solcher Szenen. Als Rahmenhandlung wählt sie die Geschichte eines fiktiven Frauenklubs, dessen Mitglieder sich in der Eifel treffen und sich gegenseitig von ihren Bonner Erfahrungen berichten. Dieser Kunstgriff erlaubt auch den ein oder anderen humorvollen Seitenhieb - und die Schilderung höchst unschöner und noch heute empörender Details, die man mit den richtigen Namen so manches Politikers oder Journalisten nicht veröffentlichen dürfte. Fiktion und wirklich Erlebtes lassen sich dabei leicht auseinanderhalten. Und: Kenner der politischen Szene jener Jahre werden allerdings so manchen Protagonisten wiedererkennen.

    "Sehr viele Menschen, von denen ich da erzähle, auch von Sauereien, auch von Durchstechereien, sind in Berlin noch aktiv. Die haben alle gesagt: Du, gerne, ich erzähl’ Dir was, aber unter den berühmten "Drei", ich möchte nicht mit Namen genannt werden, weil die Geschichten sind unangenehm, ich möchte damit nicht in irgendwelchen Zeitungen stehen."

    28 bekannte Journalisten und Politiker beiderlei Geschlechts, reichern das Buch mit ihren eigenen Erfahrungen an. Männer mussten sich oft genug "fremdschämen" für das Verhalten ihrer Kollegen, wie z. B. Reimar Oltmanns, ehemals "Stern"-Redakteur in Bonn. Er beschreibt unter anderem, wie das Verhältnis von Kanzler Willy Brandt zu einer Redakteurskollegin von der Illustrierten ausgenutzt wurde. Nach jedem Treffen musste die Journalistin ihrem Vorgesetzten Rede und Antwort stehen.


    Am nächsten Tag hatte Frau Ihlefeld ihrem Bonner Büroleiter Horst Knape Bericht zu erstatten. Kanzler-Rapport. Da blieb die Tür für Stunden geschlossen, kein Anruf wurde durchgestellt. Vor der Tür lauerten so manche Kollegen, auch ich, spitzten die Ohren bis zur Halsstarre. Alles war mucksmäuschenstill. Als Willy Brandt stürzte, waren auch die Tage der Kollegin Heli Bolesch-Ihlefeld in der Bonner Stern-Redaktion gezählt. Ihr Hamburger Ressort-Chef, der spätere "Stern"-Chefredakteur Peter Koch sagte zum Abschied: "So ist das nun Mal in unserem Beruf. Informant weg, Gehalt alle alle.

    Zynismus und Sexismus gingen Hand in Hand. Das wird einem klar, wenn man Ursula Kossers Buch liest. Erst als die Zahl der Frauen insgesamt stieg, sowohl unter den Journalisten als auch im Bundestag, entwickelte sich im Bonner Glashaus ein wenig mehr Gleichberechtigung. Vor allem auch, weil sich fraktionsübergreifend unter den Politikerinnen Bündnisse für Gesetze fanden, die zur Gleichstellung von Frauen beitrugen. Erst 1994 wurde so sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz unter Strafe gestellt. Bis dahin, so die Autorin, hielten Frauen die Übergriffe einfach aus - aus Angst um ihren Ruf und ihren Arbeitsplatz. Aber auch das weibliche Selbstbewusstsein war, so legt ihr Buch nahe, bis in die 90er-Jahre hinein nicht besonders stark entwickelt. Kosser.

    "Wir hatten schon so ein Autoritätsgefühl. Da gab’s irgendwie so ein oben und unten, und aus irgendeinem Grunde haben wir Frauen uns da ein bisschen mehr unten gefühlt. Wenn Sie so Bilder sehen, Fernsehbilder von Angela Merkel, wie die da als das Mädchen von Kohl auftauchte. Da gibt es so Bilder, wie der Kohl sie so auf nen Stuhl setzt, der Blüm daneben sie so ein bisschen antatscht: Komm mal her, Mädel, zeig’ Dich mal, wir positionieren Dich mal jetzt hier so vor der Fernsehkamera. Man merkt, wie unendlich peinlich ihr das ist. Und sie lächelt das immer weg. Die sagt nie: Lass’ mal die Finger von mir. Und das haben wir uns alle nicht getraut."

    Eine Einstellung, die sich noch nicht lange überlebt hat, obwohl aus der Bonner längst die Berliner Republik geworden ist. Ursula Kossers höchst lesenswertes Buch ist keine Ansammlung anrüchiger Anekdoten. Es erzählt die Geschichte eines drastischen Machtungleichgewichts und seiner Folgen und ist damit fast so etwas wie eine Streitschrift für eine Frauenquote in Politik und Journalismus.

    Ursula Kosser
    Hammelsprünge. Sex und Macht in der deutschen Politik.
    Dumont Buchverlag, 250 Seiten, 18,99 Euro
    ISBN: 978-3-832-19656-1