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"Wir haben eine zu hohe Studienabbrecherzahl"

Immer weniger Studienanfänger, das ist eine Tendenz, die aktuelle Zahlen des Statistischen Bundesamtes belegen. Finanzierungssorgen und die Unüberwindbarkeit von NCs werden unter Abiturienten als mögliche Gründe genannt. Der Wissenschaftsrat fordert angesichts dieser Entwicklung Gegenmaßnahmen. Für Qualitätsverbesserungen seien öffentliche Mittel in Höhe von 1,1 Milliarden notwendig.

Peter Strohschneider im Gespräch mit Kate Maleike | 11.08.2008
    Kate Maleike: Hochschuldeutschland gehen die Studienanfänger aus. Zumindest lassen das die Zahlen vermuten, die das Statistische Bundesamt vor kurzem vorgelegt hat. Demnach hat in diesem Jahr zwar die Zahl der Hochschulzugangsberechtigten zugenommen, aber von ihnen entschieden sich 3,5 Prozent weniger für ein Studium. Man macht eben lieber eine Lehre. Als Gründe wurden vor allem Finanzierungssorgen und die zunehmende Einführung von NCs genannt. Der Wissenschaftsrat nennt dies eine besorgniserregende Entwicklung und hat jetzt Gegenmaßnahmen gefordert. Peter Strohschneider ist Vorsitzender des Wissenschaftsrates. Guten Tag nach München.

    Peter Strohschneider: Guten Tag, Frau Maleike.

    Maleike: Warum ist denn die geringe Studienanfängerzahl aus Ihrer Sicht so problematisch?

    Strohschneider: Also, sie ist problematisch, weil die Entwicklungen der Arbeitsmärkte, der wissenschaftlich-technischen Zivilisation überhaupt eine verstärkte Nachfrage nach akademisch gebildeten Berufstätigen erzeugen. Und dass es eine ganze Reihe von Bereichen gibt, in denen das deutsche Hochschulsystem im Moment diese Nachfrage nicht zu befriedigen in der Lage ist wegen einer gesunkenen Studierneigung, das ist ja auch in der öffentlichen Debatte längst bemerkt worden. Stichworte wie Fachkräftemangel, wie Lehrermangel, sind solche Stichworte, die man in diesem Zusammenhang nennen müsste.

    Maleike: Aber vielleicht denken wir da an das falsche Ende. Wir denken jetzt über den Anfang, klar mit Perspektive, aber wir haben auch eine sehr hohe Abbrecherquote in Deutschland, zum Teil mit 46 Prozent, zum Beispiel im Maschinenbau und Physik. Das zeigt doch, dass wir eigentlich woanders ansetzen müssen. Warum wird das nicht verstärkt betrieben?

    Strohschneider: Also, ich glaube, man muss an der einen und an der anderen Stelle ansetzen. Ich glaube im Übrigen, wenn ich mir das erlauben darf, Frau Maleike, dass die Zahlen, die Sie jetzt gerade für den Maschinenbau und die Physik genannt haben, momentane Aufnahmen sind, die kommen aus einer Untersuchung, die eine Momentaufnahme macht, deren Belastbarkeit ist jedenfalls strittig. Aber das ist nicht wirklich Ihre Frage gewesen.

    Wir haben eine zu hohe Studienabbrecherzahl, zu hohe Studienabbrecherzahlen in vielen verschiedenen Fächern an den Universitäten, aber auch an den Fachhochschulen. Die würde ich aber eher als einen Indikator für Qualitätsprobleme in der akademischen Ausbildung in Studium und Lehre bewerten, denn als Indikator dafür, dass wir zu viele Studierende hätten. Also, ich glaube, dass die Abbrecherquote nicht zeigt, dass wir genug Studierende haben, sondern, wenn ich jetzt mal so einen Kalauer bringen darf: Wir haben zu viele Studierende, die genug vom Studium haben. Das zeigt die Abbrecherquote.

    Maleike: Ich wollte ja auch noch darauf hinweisen, dass wir diese Studierenden haben, aber nicht vernünftig mit ihnen umgehen. Sie haben auch gefordert, dass man eine andere Lehrkultur in Deutschland etablieren sollte. Wie kann das passieren? Zum Beispiel mit dieser Qualitätsmaßnahme, Qualifizierungsmaßnahme?

    Strohschneider: Also, das ist ein ganz wichtiger Punkt und auch einer, der den Wissenschaftsrat ja in den letzten Wochen im Juli viel Aufmerksamkeit eingetragen hat. Wir haben ein Papier, "Empfehlungen zur Qualitätsverbesserung von Studium und Lehre an deutschen Hochschulen", veröffentlicht, das viel öffentliche Aufmerksamkeit gefunden hat, wo wir einen ganzen Fächer von Maßnahmen vorschlagen, von der Qualifizierung der Lehrenden, über sozusagen einen Kultur- oder Mentalitätswandel in den Hochschulen, der darauf hinauslaufen sollte, müsste, wie ich meine, dass die Lehre dieselbe Bedeutung sozusagen, dass die Reputationsasymmetrie, die im Moment besteht zwischen Forschung und Lehre, dass die aufgelöst wird, aber eine Empfehlung, in der auch drin steht, dass nur für Qualitätsverbesserungen, noch nicht für den Kapazitätsausbau der Hochschulen, dass nur für Qualitätsverbesserungen öffentliche Mittel in der Höhe von etwas über 1,1 Milliarden pro Jahr in der ganzen Republik erforderlich sein werden.

    Maleike: Sie haben auch das Engagement der Wirtschaft noch mal massivst eingefordert, vor allem bei finanziellen Unterstützungen im Stipendienwesen tut sich da ja auch schon ein bisschen was im Moment, es sollen sogar Kombilöhne in Baden-Württemberg für exzellente Professuren entstehen. Ist da der Staat nicht zu weit draußen?

    Strohschneider: Also, der Staat ist, oder andersherum gesagt, die Wirtschaft engagiert sich noch nicht in einer Weise, und das wird sie auch nicht können, prinzipiell, glaube ich, wird sie das nicht können, die den Staat aus seinen Verpflichtungen entlässt. Man braucht das eine und man braucht das andere. Die Wirtschaft hat von gut ausgebildeten Fachkräften erhebliche Vorteile. Deswegen ist die Forderung glaube ich ganz naheliegend, dass sie sich an der Ausbildung dieser Fachkräfte auch substanzieller beteiligt, als das gegenwärtig der Fall ist. Aber das kann auf gar keinen Fall den Staat entlasten, die Länder also insbesondere im Bereich der Lehre entlasten von den Finanzierungsverpflichtungen. Und es ist klar und unstrittig, dass das deutsche Hochschulsystem seit über einer Generation strukturell ernsthaft unterfinanziert ist und dass sich das ändern muss.

    Maleike: Der Wissenschaftsrat ist ja beratendes Gremium der Bundesregierung und auch der Länder in Hochschul- und Forschungspolitik. Jetzt gucken wir mal ein bisschen weiter in den Oktober, zum Bildungsgipfel, der dort stattfinden soll in Dresden. Was ist Ihre wichtigste Forderung vonseiten des Wissenschaftsrates an diese Zusammenkunft?

    Strohschneider: Also, meine wichtigste Bitte, da ich ja dem beratenden Gremium vorstehe …

    Maleike: Sehr diplomatisch.

    Strohschneider: … meine wichtigste Bitte ist, zu bedenken, dass es eine Mehrzahl gleichermaßen gewichtiger Finanzierungsanforderungen des Wissenschaftssystems gibt. Es muss die außeruniversitäre und die Forschungsförderung im Pakt für Forschung und Innovation auskömmlich finanziert werden, es muss der Kapazitätsausbau an den Hochschulen nachdrücklich vorangetrieben werden. Das Instrument dafür ist insbesondere der Hochschulpakt II. Wie das sozusagen im Jargon heißt, es geht darum, die Exzelleninitiative weiterzuentwickeln und noch einmal durchführen zu können und dafür die Mittel bereitzustellen. Und es geht darum, für die Qualität der Lehre, davon habe ich gerade gesprochen, in beträchtlichem Umfang zusätzliche Mittel zur Verfügung zu stellen. Und das muss vernünftig ausbalanciert werden. Was wirklich schrecklich wäre für das deutsche Wissenschaftssystem wäre, wenn eines dieser Ziele und Instrumente zulasten der anderen in den Vordergrund gerückt würde. Das sind gleichermaßen wichtige Aufgaben gesamtstaatlicher Wissenschafts- und Hochschulförderung.

    Maleike: Und das alles an einem Tag. Denn der Bildungsgipfel soll erstmal nur einen Tag sein. Dankeschön. Peter Strohschneider war das. Der Vorsitzende des Wissenschaftsrates zum nachlassenden Studieninteresse deutscher Abiturienten.