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"Wir haben sehr viele gut ausgebildete Frauen"

Frauenquote, Gleichstellungsberichte, teilweise weniger Gehalt als Männer in der gleichen Position - zu Beginn des dritten Jahrtausends und 101 Jahre nach dem ersten Weltfrauentag sei es an der Zeit, Geschlechterrollen neu zu definieren, sagt die Schriftstellerin Ulrike Draesner.

Ulrike Draesner im Gespräch mit Katja Lückert | 08.03.2012
    Katja Lückert: Nun also der Internationale Frauenkampftag heute, ein Tag, der so einige Kuriositäten mit sich bringt, wie etwa eine "Bild"-Zeitung, in der heute nur die Männer arbeiten, die Frauen haben frei – fraglich allerdings, ob man das der morgigen Ausgabe der Zeitung anmerken wird, sagt die Frau am Mikrofon, da müsste wohl statt des täglichen halbnackten "Bild"-Girls ein Mann in Unterhosen her, wir sind gespannt.
    Die "Tageszeitung" aus Berlin sinnt über das Thema Unterwerfung nach, und in der Schweiz gibt es seit gestern den ersten Männerbeauftragten. Der soll für Gleichstellung sorgen und dafür, dass Männer in Zukunft auch das tun können, was Frauen tun und so fort. - Am Telefon ist jetzt die Schriftstellerin Ulrike Draesner. Was bewegt Sie eigentlich am Internationalen Frauentag so gedanklich?

    Ulrike Draesner: Ich höre mit Interesse, was alles passiert, und denke natürlich selbst darüber nach, was ich alles erlebt habe. Ich bin Jahrgang '62, 50 Jahre als Frau in dieser Gesellschaft. Ich dachte, so als Kind beobachtete ich die Emanzipation vor mir, in den Generationen vor mir, und dachte, wunderbar, die Frauen kämpfen das durch, ich muss mich da nicht mehr drum kümmern, und in dem Moment, wo ich dann an der Uni war, dämmerte mir, dass das nicht ganz so sein würde.

    Lückert: Heute wurde ja auch im Bundestag über eine gesetzliche Frauenquote diskutiert, die ja besonders die Bundesfrauenministerin Kristina Schröder ablehnt. Erstmals in der Parlamentsgeschichte wurde von der Bundesregierung ein Gleichstellungsbericht vorgelegt, und der kam zu dem ernüchternden Schluss, dass neun Jahre freiwillige Vereinbarungen in der Wirtschaft zu keiner grundlegenden Veränderung der Geschlechterverteilung in Führungspositionen geführt haben. Was glauben Sie, ist Gleichberechtigung wirklich regelbar in einem staatlichen Sinne?

    Draesner: Man hat das ja anders versucht. Ich war eigentlich immer gegen Quoten und dachte, das sei nicht nötig. Die neuen Zahlen sind erschreckend, auch dass Deutschland da das Schlusslicht innerhalb Europas bildet. Offensichtlich sitzen einfach auch Klischees, Vorstellungen sehr, sehr tief in den Köpfen. Ich denke gar nicht, dass das immer unbedingt nur willentliche Diskriminierungen sind, und bin dezidiert inzwischen für eine Quote, weil Veränderungen einfach auch schneller geschehen müssen als neun Jahre Stillstand.

    Lückert: Wenn man von Geschlechterunterschieden spricht, gerät man ja immer leicht in die Ecke der ewig gestrigen. Mütter kriegen aber immer noch Kinder – trotz Gleichstellung, oder?

    Draesner: Ja. Ich meine, das Interessante an diesem Frauentag ist ja eigentlich, dass er eine Frage aufwirft, die uns alle gleichermaßen angeht, egal welchen Geschlechtes wir sind, aber dass wir einmal über Geschlechter und Rollenzuweisungen nachdenken, und ich meine, dass das in Zeiten biotechnischen Fortschrittes, großer Fragen nach Produktion und Reproduktion und in Zeiten sich so wahnsinnig verändernder Lebensdauer einfach auch ganz, ganz wichtig ist. Es sind ja nicht nur die Frauenrollen, die da drin sind, sondern wirklich die Rollen für jeden. Ich meine, ich würde ja nicht tauschen wollen, das wollte ich noch nie, aber auch deswegen würde ich nicht tauschen wollen, weil es ja auch nicht einfach ist, Mann zu sein oder auch damit umzugehen, dass das Leben sich in so lange Strecken spannt. Und wenn wir jetzt noch mal auf den Frauenkörper schauen sozusagen, da ist dann die Reproduktionsphase, verlängert sich. Trotzdem: Babys, die heutzutage geboren werden, haben eine Lebenserwartung von 100 Jahren. Das heißt, man ist auch 50 Jahre lang sozusagen jenseits der Reproduktion. Was sind das für Lebensstrecken, die einen da erwarten, und wie werden die gefüllt mit Partnerschaften, mit Lieben, mit Familien, mit Familienveränderungen und natürlich mit Beruf. Und ich denke, wenn man da hinschaut und sich überlegt, wie soll dieses Land eigentlich 2050 aussehen und was haben wir auf der anderen Seite an Möglichkeiten und Ressourcen – wir haben sehr, sehr viele gut ausgebildete Frauen -, da ist natürlich auch ganz viel Handlungsbedarf, aber auch viel Material, Möglichkeit, etwas zu entwickeln. Und es kann sich keine Gesellschaft leisten, einfach auch so viel brachliegen zu lassen. Wenn man das dann eben noch mal hört, wie sehen tatsächlich die Zahlen aus, wo sind Frauen heute, was verdienen sie, wie sind sie ausgebildet, wie klafft das auseinander, das ist eine unglaubliche Verschwendung.

    Lückert: Auch in unserer Branche, dem Journalismus, gibt es gerade eine Initiative von Journalistinnen, die fordern, dass mindestens 30 Prozent der Führungspositionen in den Redaktionen im Laufe der nächsten fünf Jahre mit Frauen besetzt werden. Halten Sie so etwas für realistisch?

    Draesner: Ja, auf jeden Fall. Also ich glaube nicht, dass es daran liegt, dass diese Frauen nicht da sind. Die alte elende Frage, wie vereinbare ich Kind und Beruf!

    Lückert: Ein Frauentag ist ja eigentlich auch immer ein Männertag, denn ohne die Männer lässt sich ja nicht über die Frauen nachdenken. Wo krankt es in Ihrer Ansicht nach im Geschlechterverhältnis zu Beginn des dritten Jahrtausends, mal so ganz groß gesagt?

    Draesner: Ja, ganz groß gesagt. Ich denke an vielen Stellen, und zwar beobachte ich eine große Verunsicherung eigentlich auf beiden Seiten, sowohl bei Männern als auch bei Frauen darüber, wie kann das zusammenkommen, wie definiere ich mich als dieses geschlechtliche Wesen, dann als körperliches Wesen, als ein Wesen, das einen Beruf hat, der sozusagen in einer globalisierten Arbeitswelt stattfindet, und eigentlich – und das finde ich gut an diesem Tag – eine Aufforderung, darüber nachzudenken und auch darüber nachzudenken, warum haben wir denn eigentlich immer noch so wenig Kinder in Deutschland. Es liegt ja offensichtlich nicht nur an geldlichen Fragen, sondern an dem ganzen Umfeld, was bereitet ist oder eben auch nicht bereitet ist.

    Lückert: Die Schriftstellerin Ulrike Draesner hat sich für uns Gedanken gemacht zum Internationalen Frauentag.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.