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"Wir können uns auf den Weg in die Exzellenz begeben"

Deutschlandradio-Intendant Willi Steul regt an, das Deutsche Symphonie-Orchester und das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin zu einem Klangkörper zusammenzuführen. Für beide Orchester habe man zwar Planungssicherheit für drei Jahre. Man könne aber jetzt auch die Basis für ein Spitzenorchester legen. Deutschlandradio ist Hauptgesellschafter der ROC GmbH, Träger der beiden Orchester.

Willi Steul im Gespräch mit Burkhard Müller-Ullrich | 04.12.2009
    Burkhard Müller-Ullrich: Genauso umstritten wie die Frage, ob Berlin wirklich drei Opernhäuser brauche, ist seit Langem die Konstellation der Berliner Großorchester. Es gibt deren acht, angefangen von den Berliner Philharmonikern, jetzt unter Simon Rattle, bis zu den Berliner Symphonikern, die uns jetzt aber gar nicht interessieren, denn im Folgenden geht es um DSO und RSB, um das Deutsche Sinfonie Orchester Berlin (DSO) und das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin. Diesen beiden sind wir, der Deutschlandfunk, als ein Programm von Deutschlandradio besonders verbunden, und zwar einfach deshalb, weil das Deutschlandradio sie wesentlich bezahlt. Das geschieht über eine Dachorganisation namens ROC – die drei Buchstaben stehen für Rundfunk Orchester und Chöre GmbH –, zu der auch noch ein paar andere Ensembles gehören. Diese ROC diente nach dem Mauerfall erst mal dazu, die Kunst zu retten und sie nicht abzuwickeln. Professionelle Orchester und Chöre sind ja wahnsinnig teuer, und durch die Besonderheit der deutschen Teilung gab es ja alles doppelt, in gleichermaßen hoher Qualität. Da war und ist also einerseits das im Westen verwurzelte Deutsche Symphonie-Orchester, DSO, das erst beim RIAS und später beim Sender Freies Berlin angebunden war, und es gab und gibt das nicht minder traditionsreiche Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, RSB, das dem DDR-Rundfunk gehört hatte. Nun spitzt sich in Zeiten der allgemeinen Finanzkrise die Frage zu: Können wir uns das wirklich alles so weiterhin leisten? Und mit wir meine ich, wie gesagt, den Sender, den Sie gerade hören. Deshalb begrüße ich im Studio jetzt den Intendanten des Deutschlandradios, Willi Steul. Herr Steul, wie man hört, denken Sie über Strukturveränderungen in der ROC nach?

    Willi Steul: Ja, und zwar weil ich als Vertreter des Hauptgesellschafters Deutschlandradio den Auftrag dazu habe. Und ich will Ihnen gleich sagen, den Auftrag nehme ich nicht wahr als Sparauftrag, und wir kürzen auch nicht, im Gegenteil: Sowohl Deutschlandradio finanziert die ROC GmbH mit einer Erhöhung die nächsten drei Jahre, mit einer deutlichen Erhöhung – wir reden insgesamt über sechs Millionen. Der zweite Gesellschafter, der Bund, und zwar der Staatsminister Bernd Neumann, hat noch einmal mehr Geld dazugegeben, und auch das Land Berlin, es wird am Donnerstag darüber abstimmen und im Kulturetat widmet der Kultursenator und regierende Bürgermeister auch der ROC GmbH mehr Geld. Dies ist nun eine Situation, in der wir Planungssicherheit für drei Jahre haben. Wir haben andererseits beim DSO den Weggang des Spitzendirigenten Ingo Metzmacher – einem guten Orchester schulden Sie auch einen Nachfolger. Dies muss entschieden werden bis Januar, Februar. Dirigenten dieser Preisklasse finden Sie auch nicht auf der Straße. Und wir haben gleichzeitig einen Moment, wo wichtige Positionen, etwa bei den Bläsern oder in anderen Stimmgruppen, in beiden Orchestern nicht besetzt sind, wo man also Nachfolger suchen muss. Und jetzt schlage ich vor, dies ist mein Vorschlag an die Gesellschafter, die beiden Orchester zusammenzuführen. Wir haben exzellente Musiker, die beiden Orchester sind sehr, sehr gut. Und mittlerweile, dank Marek Janowski, ist auch das RSB auf die Höhe des DSO gekommen, und es gibt die Chance, dass man sozusagen zwei exzellente Teile zusammenführen kann und die Basis legen kann für ein Spitzenorchester. Ich bin fest davon überzeugt, dass dies in erster Linie künstlerisch inhaltlich ein Sprung nach vorne ist, und man legt zumindest die Basis für eine solche Entwicklung. Ich fürchte einfach: Wir können jetzt die nächsten drei Jahre diese beiden wunderbaren Sinfonieorchester finanzieren, ich sehe angesichts der Entwicklung in unserem Land, angesichts der Entwicklung der Steuereinnahmen sehe ich, dass das danach immer schwerer wird. Und wenn wir jetzt eine solche Situation, einen solchen Kairos haben, um gestaltend, zukunftsgestaltend zu handeln, dann sollte man das tun. Das muss diskutiert werden, das muss selbstverständlich diskutiert werden mit dem Bund und mit Berlin und auch in der Öffentlichkeit. Ich persönlich halte dies für den einzig zukunftsfähigen Weg.

    Müller-Ullrich: Und da sind wir jetzt gerade dabei, indem wir es an die Öffentlichkeit geben. Sie sagen, Sprung nach vorn. Selbstverständlich wird man Ihnen entgegenhalten, das ist die Axt an die Wurzel der Kultur gelegt.

    Steul: Ja. Ja. Also wissen Sie, so Fragen habe ich als Journalist als Pawlow'schen Reflex auch gestellt. Das Gegenteil ist der Fall. Wir erhöhen im Moment die Mittel. Mit der Erhöhung der Mittel können wir entweder das Ganze so weiterführen und wir sehen in drei Jahren, dass wir dann nicht mehr hinkommen. Oder aber wir können uns auf den Weg in die Exzellenz begeben. Wenn Sie so wollen, wollen wir mit einem Orchester dauerhaft in die Champions League oder werden wir in wenigen Jahren mit zwei Orchestern um den Erhalt in der Bundesliga bangen.

    Müller-Ullrich: Passen die beiden Orchester denn auch zueinander?

    Steul: Die beiden Orchester haben im Moment unterschiedliche Farben, sie haben unterschiedliche Programme, sie haben auch unterschiedliche Dirigenten, daran wird man arbeiten müssen. Sie können aus zwei Orchestern eins machen, haben Sie nicht sofort ein exzellentes Orchester. Es muss sich auch seine eigene Farbe erarbeiten. Und gerade weil die Musiker so exzellent sind und gerade weil das Potenzial da ist, ich bin fest davon überzeugt, dass wir die Basis zu einem weiteren absoluten Spitzenorchester legen können, und das könnten wir auch finanzieren.

    Müller-Ullrich: Wie geht es jetzt weiter? Sie haben Sie sagen ein Denkmodell vorgelegt, weil die Gelegenheit eben günstig ist. Das Denkmodell wird jetzt breit diskutiert werden, und was ist der nächste Schritt?

    Steul: Ich wünsche mir, dass wir innerhalb von zwei Monaten vielleicht diese Entscheidung tatsächlich treffen. Die Gesellschafter brauchen dazu Mut. Mir ist klar, dass ich verprügelt werde, ich glaube aber auch, dass ... nein, nicht ich glaube auch, ich empfinde als Hauptgesellschafter der ROC GmbH die Pflicht, da auch in Vorleistung zu gehen. Ich habe auch den Auftrag dazu, mir Gedanken zu machen, und ich setze da auch auf die Kraft der Argumente.