Archiv


"Wir lassen keine Soldaten im Feld zurück"

Nach dem Austausch des Soldaten Gilad Schalit gegen rund 1000 palästinensische Gefangene sei Israel gespalten, sagt Arye Sharuz Shalicar, Sprecher der israelischen Armee. Neben der Freude über die Rückkehr bestehe auch die Sorge vor erneuten Terroranschlägen der Freigelassenen.

Arye Sharuz Shalicar im Gespräch mit Volker Wagener |
    Jasper Barenberg: Einer gegen 1.000, so lautet die krude Formel für den Gefangenenaustausch, der gestern Gilad Schalit nach fünf Jahren Geiselhaft bei der Hamas die Freiheit brachte. Im Gegenzug kamen auch über 470 inhaftierte Palästinenser frei, 500 weitere sollen in einem weiteren Schritt folgen. In Israel feierten Tausende die Rückkehr Schalits mit großem Jubel.
    Über diesen spektakulären Gefangenenaustausch konnte mein Kollege Volker Wagener gestern am späten Abend mit einem Sprecher der israelischen Armee reden. Welchen Stellenwert hat die Rückkehr von Gilad Schalit in der Geschichte der Streitkräfte? Das hat er Arye Sharuz Shalicar gefragt.

    Arye Sharuz Shalicar: Es ist heute ein sehr intensiver Tag gewesen, ein Tag, auf den alle Soldaten und Offiziere der israelischen Armee gewartet haben, seit fünfeinhalb Jahren jetzt fast schon, und nicht nur die israelische Armee und deren Soldaten, sondern auch das ganze Volk, und es ist ein historischer Tag. Es ist einerseits sehr freudig, wenn man ihn endlich zu Gesicht bekommen hat nach vielen Jahren der Ungewissheit, in denen man denkt, dass er im Kerker eingesperrt war. Er sah auch sehr schwach aus, bleich, hat wahrscheinlich die Sonne nicht gesehen die ganzen Jahre über. Man ist glücklich, dass man ihn endlich wieder da hat, er ist einer von uns. Andererseits jedoch ist das Volk auch irgendwo gespalten in der ganzen Freude, weil man weiß, dass man über 1.000 palästinensische Gefangene herauslässt, wovon circa ein Viertel Blut an den Händen hat. Das soll heißen, dass circa 300 Israelis getötet wurden von einem Viertel dieser palästinensischen Gefangenen, und die sind heute auf freien Fuß gesetzt worden und haben wieder angekündigt, Terror zu machen.

    Volker Wagener: Herr Shalicar, wie war der Informationsstand der israelischen Armee in all den Jahren über das Schicksal Schalits?

    Shalicar: Darauf kann ich leider keine Auskunft geben. Das Gilad-Schalit-Case war in Israel und ist in Israel in höchsten Rängen behandelt worden über all die Jahre und in erster Linie von der Politik und nicht von der Armee. Das ist ein Thema, was hier in der Politik seit Jahren besprochen wurde, aber die Armee und der Generalstabschef der israelischen Armee, Benny Gantz, hat empfohlen, dass man ihn herausholen muss, weil er ist einer von uns, wir lassen keine Soldaten im Feld zurück.

    Wagener: Es gab und gibt Kritiker im eigenen Land bei Ihnen, die wollen den Tausch einer gegen 1.027 verhindern beziehungsweise wollten ihn verhindern. Auch in den Reihen der Armee?

    Shalicar: Nein! In den Reihen der Armee war man sich sicher, man muss alles tun, um unseren Soldaten herauszuholen, und natürlich ist man auch in der Armee gespalten in Sachen, ob dieser Deal zu 100 Prozent passt, weil man spricht hier von einem jungen Soldaten gegenüber 1.027 palästinensischen Gefangenen, wie gesagt viele mit Blut an den Händen, Terroristen, Mörder. Das ist für jeden klar, dass das kein in dem Sinne "fairer Deal" ist. Aber man weiß auch, dass Gilad Schalit hätte ich sein können und es hätte mein Bruder sein können und es hätte mein Nachbar sein können, und somit fühlt das ganze Land mit. Jede Mutter, jeder Vater, jeder Opa fühlt mit der Schalit-Familie und jeder Soldat fühlt mit diesem Soldaten. In dem Sinne ist man stolz, dass die Armee und das Land diesen Weg eingegangen ist und diesen Deal, auch wenn er schmerzt, unterschrieben hat, um ihn nach Hause zu bekommen, Gilad Schalit zurück in die Freiheit.

    Wagener: Was sagt uns das, Herr Shalicar, mit Blick auf die israelische Gesellschaft, einer gegen tausend? Welche Wertschätzung genießt ein Soldat in der israelischen Gesellschaft im Vergleich zu anderen Staaten?

    Shalicar: Ich glaube nicht nur, dass das eine Frage eines Soldaten ist oder an sich des Menschen in Israel an sich. Wir leben hier in einer Demokratie von einem freien Volk, endlich nach vielen Jahren der Verfolgung, und es ist uns sehr wichtig, einander beizustehen. Das heißt nicht, dass wir das perfekte Land sind, es gibt hier sehr viele Probleme und es gibt hier sehr viele Sachen, die man verbessern muss, aber in Krisensituationen halten wir zusammen, und das sieht man in dieser Situation. Gilad Schalit – in Jedi’ot Acharonot, das ist die meist verbreitete Zeitung Israels, wurde eine Statistik bekannt gegeben, in der wirklich bis 80 Prozent des Landes gesagt haben, wir sind für dieses Abkommen. Das heißt, dass das Land, obwohl man weiß, dass so viele Terroristen frei kommen, dennoch dafür ist, dass man für diesen einen jungen Mann so viele Terroristen herauslässt, und das spricht für sich. Ich bin mir nicht sicher, ob es ein anderes Land auf dieser Welt gibt, das solch einen Deal unterschreiben würde.

    Wagener: Immer noch gibt es knapp 5.000 Palästinenser, die sich in israelischer Haft befinden. Korrigieren Sie mich, wenn die Zahl nicht ganz stimmen sollte. Ist das ein Faustpfand, eine Art Lebensversicherung für möglicherweise erneut gefangen genommene israelische Soldaten?

    Shalicar: Es wurde ja auch schon von einigen dieser palästinensischen Gefangenen, die auf freien Fuß gesetzt wurden, wieder angekündigt, man hat das im israelischen Fernsehen sich angucken können, es wurde live gezeigt, wie einige von denen wirklich gesagt haben, wir wollen weiterhin Soldaten entführen, wir wollen weiterhin Terror machen, wir wollen gegen die Zionisten, gegen die Juden, gegen Israel kämpfen, wir tragen den Terror weiter fort. Und in dem Sinne wir wissen, dass ein Teil dieser Gefangenen – ich kann jetzt noch nicht sagen Minderheit oder Mehrheit -, dass zumindest ein Teil definitiv wieder zurück zum Terror gehen wird, und wir müssen uns darauf vorbereiten. Das heißt, aufgrund dieses Abkommens kann es wirklich dazu kommen, dass irgendwann in naher oder in ferner Zukunft unsere Bürger, unser Land wieder einigen Gefahren ausgesetzt wird. Aber die israelische Armee und andere Organisationen im Land, Sicherheitsorganisationen, müssen darauf vorbereitet sein, und das ist Teil unserer Aufgabe, unserer tagtäglichen Aufgabe, unsere Bürger zu schützen.

    Wagener: Herr Shalicar, Deutschland soll über seinen Bundesnachrichtendienst am zustande kommen dieses Austausches mitgewirkt haben. Allerdings ist relativ wenig im Detail hier bei uns bekannt. Können Sie uns etwas mehr über die Rolle Berlins bei diesem Abkommen berichten?

    Shalicar: Als Armeepressesprecher habe ich leider keine Befugnis, über internationale Deals zu sprechen, denn das ist eher in der Politikrichtung. Ich kann nur sagen, so weit ich weiß, waren einige Länder über die Jahre mit verwickelt in dieser ganzen Sache, und wir alle wünschen, es hätte früher geklappt und zu einem einfacheren Preis. Aber im Endeffekt: Man hat Gilad Schalit zu Hause und das ganze Land sieht diesem jungen Mann heute in die Augen und man hat ihn bei seinen Eltern in Mitzpe Hila, im Norden Israels, heute gesehen, wie er da ankam und zum ersten Mal mit seinen Eltern zu Abend gegessen hat, und das ist im Endeffekt, was heute zählt, und ich denke, dass die nächsten ein, zwei, drei Wochen noch sehr viele Berichte in der internationalen Presse auftauchen werden, auch in Deutschland natürlich, weil auch der deutsche Broker da seinen Teil wahrscheinlich dran hatte. Ob jetzt mehr oder weniger, das liegt nicht an mir zu sagen. Aber im Endeffekt ist das eine Nachricht, die heute um die Welt ging, und wir sind wie gesagt zum großen Teil sehr, sehr glücklich, dass wir ihn bei uns haben, zurück endlich nach fünfeinhalb Jahren in Gefangenschaft.

    Barenberg: Arye Sharuz Shalicar, einer der Sprecher der israelischen Armee, im Gespräch mit meinem Kollegen Volker Wagener.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.