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Wir müssen mal nach den Rechten sehen

In der Evangelischen Kirche gibt zunehmend Aktivitäten gegen Rechtsextremismus. Sie berücksichtigen auch, dass es Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in den eigenen Reihen geben kann.

Von Michael Hollenbach | 24.07.2012
    In der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus – gerade in den östlichen Bundesländern – nimmt die evangelische Kirche eine besondere Rolle ein, sagt die Potsdamer Generalsuperintendentin Heilgard Asmus. Sie ist zugleich Vorsitzende des Brandenburgischen Aktionsbündnisses gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. Vor allem auf dem Land seien Kirchengemeinden so etwas wie Kulminationspunkte gegen rechts:

    "In den Pfarrsprengeln – manchmal sind es zehn Dörfer zusammen – ist es so, dass die Kirche als die einzige öffentliche gesellschaftliche Kraft überhaupt noch vorhanden ist."

    Besonders engagiert ist die evangelische Kirche in den Kleinstädten der östlichen Bundesländer - zum Beispiel im brandenburgischen Zossen. Superintendentin Katharina Furian berichtet von Auseinandersetzungen, die vor vier Jahren begannen, als vor einem Haus sogenannte Stolpersteine in Erinnerung an ermordete Juden verlegt wurden. Immer wieder versuchten Neonazis, die Stolpersteine zu überdecken. Doch vor allem Mitglieder der Kirchengemeinde blieben beharrlich und sorgten dafür, dass die Erinnerungssteine gut sichtbar blieben. Katharina Furian nennt ein weiteres Beispiel: Als Neonazis eine Demonstration auf dem Marktplatz veranstalten wollten, reagierte der Gemeindekirchenrat mit einer ungewöhnlichen Aktion.

    "Dann haben wir die Glocken angestellt, das sind drei und die sind sehr laut. Und sie hatten solche Flüstertüten zum Sprechen, aber das haben sie nicht ausgehalten. Zehn Minuten, 20 Minuten. Nach 20 Minuten sind sie Richtung Bahnhof wieder abgezogen und damit war es beendet."

    Die eindeutige Position der Kirche war den Neonazis ein Dorn im Auge. Eine Scheune, die die Kirchengemeinde der Bürgerinitiative "Zossen zeigt Gesicht" zur Verfügung gestellt hatte, wurde von Neonazis angezündet. Von ihrem Amtszimmer aus weist Katharina Furian auf die Stelle hinter dem Pfarrhaus, wo die Scheune gestanden hat.

    "Das hat lichterloh gebrannt in der Nacht. Mittlerweile ist es in Zossen ruhiger geworden, nachdem Brandenburgs Innenminister die neonazistischen "Freien Kräfte Teltow-Fläming" vor einem Jahr verboten hat."

    Auch Julia Darsser, Kreisjugendpfarrerin im benachbarten Luckenwalde, engagiert sich seit Jahren gegen neonazistische Gruppen. In der kirchlichen Jugendarbeit sieht sie eine Art Immunisierung gegen rechte Ideologien.

    "Ich denke, dass Menschen, die durch die evangelische Jugendarbeit sozialisiert sind, weniger anfällig sind für Rechtsextremismus als andere. Ich denke, das liegt auch daran, dass es hier eine bestimmte Kultur von Mitmenschlichkeit gibt."
    Doch zugleich beschreibt sie ein grundsätzliches Problem kirchlicher Arbeit: Die Kirchen erreichen oft gerade jene Jugendlichen nicht, die besonders gefährdet sind.

    "Wenn sie nach den klassischen Neonazis fragen, dann zeigt sich ja doch, dass sie nicht aus einem sozial so hoch gestellten Milieu kommen. Das ist ja eine Problemlage, die wir auch in der Kirche haben, dass wir fast nur Menschen oder Jugendliche ansprechen, die gymnasial angebunden sind. Wir sprechen eher ein sehr bildungsbürgerliches Milieu an."

    Das aggressive Auftreten der Rechtsextremen ist keineswegs nur ein Problem in den östlichen Bundesländern. Klaus Burckhardt, Beauftragter für Friedensarbeit in der hannoverschen Landeskirche, berichtet über mehrere neonazistische Übergriffe aus den vergangenen Jahren in Niedersachsen – unter anderem über einen Brandanschlag auf ein Pfarrhaus in der Nähe von Celle. Klaus Burckhardt hat auf diese Entwicklung reagiert und die "Initiative Kirche für Demokratie – gegen Rechtsextremismus" gegründet. Der Pfarrer will vor allem die eigenen Kirchenmitglieder erreichen. Denn er weiß, dass das Problem der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit nicht nur bei der NPD oder den rechtsextremistischen Kameradschaften liegt. Die latente Akzeptanz von "rechtem Gedankengut" reiche bis in die Mitte der Gesellschaft, auch in die Mitte der Kirchengemeinden:

    "Es hat eine sehr erhellende Studie gegeben zum Thema Religion und Vorurteil, die deutlich macht, dass auch Kirchengemeinden nicht davor gefeit sind, rechtsextrem-unterstützende Argumentationen zu folgen."

    Wissenschaftliche Untersuchungen belegen seit Langem, dass religiöse Menschen gegenüber anderen Gruppen sogar abwertender sind als konfessionslose. Klaus Burckhardt hat feststellen müssen, dass Menschen mit einer rechtsextremen Gesinnung sogar in Kirchenvorständen sitzen:

    "Das gibt es durchaus, dass es latente Unterstützer gibt von sogenannten Freien Bündnissen, die dann eine rechtsextreme Ideologie haben. Deswegen sind wir auch daran gegangen, einen Leitfaden zu machen für Kirchenvorstände und Ehrenamtliche zum Thema: was tun, wenn …"

    Dieser Leitfaden ist soeben erschienen unter dem Titel: "Wir müssen mal nach den Rechten sehen". Er gibt Hilfestellungen, wie die Kirchen vor Ort zum Beispiel mit rechtsextremen Gemeindemitgliedern, mit Störungen im Gottesdienst, mit Drohbriefen oder mit rechtsextremen Eltern im kirchlichen Kindergarten umgehen können.

    Eine Initiative, die für Lothar König längst überfällig ist. Der Jugendpfarrer aus Jena ist jahrelang – auch innerhalb seiner Kirche – kritisiert worden, weil er laut und deutlich vor den Neonazis in Jena gewarnt hatte. Vor jener Szene, in der sich auch die beiden Mörder der sogenannten NSU, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, bewegten.

    "Zehn Jahre wurden wir als diejenigen dargestellt, die ohne Feindbilder nicht leben können. Wir mussten uns rechtfertigen. Die haben das Problem nicht gesehen, die wollten es auch nicht sehen. Sie wollten vermitteln."

    Vermitteln, wo man eindeutig hätte Position beziehen müssen, sagt Lothar König.

    "Das Problem, was ich sehe, ist, dass wir in der Kirche insgesamt zu wenig Streitkultur haben und damit meine ich nicht nur politische Streitkultur, sondern auch theologische Streitkultur. Und man ist bemüht, jedem Streit aus dem Weg zu gehen, und heikle Themen nicht anzusprechen, mit der Folge, dass es manchmal nur noch langweilig ist."

    Mittlerweile hat sich aber innerhalb der evangelischen Kirche einiges verändert. Die Pfarrer vor Ort, die sich in ihren Gemeinden mit Rechtsextremen auseinandersetzen müssen, haben die volle Rückendeckung der gesamten Kirche, betont Pfarrer Klaus Burckhardt, der auch einer der Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus ist. Die ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft wurde vor gut zwei Jahren gegründet und wendet sich gegen Rassismus und Menschenfeindlichkeit. Zu den ersten Erfolgen der Arbeitsgemeinschaft gehört ein Beschluss der EKD-Synode im November vergangenen Jahres:

    "Die letzte war eine ganz besondere Synode, weil die Forderung, dass auch gewaltfreie Blockaden gegen Nazi-Demonstrationen möglich sind, von der Synode unterstützt wurde; das heißt, der gewaltfreie Widerstand wird auch stärker und die Synode honoriert das."

    Doch bei allen positiven Beschlüssen der Kirchenparlamente: Die konkrete, hautnahe Auseinandersetzung mit zum Teil militanten Neonazis liegt dann doch bei den Pfarrern und Kirchenvorstehern vor Ort. Und diese Auseinandersetzung erfordert Mut und Zivilcourage, wie die Kreisjugendpfarrerin Julia Darsser aus Luckenwalde betont:

    "Es geht für uns darum, uns nicht von der Angst brechen zu lassen, ich fände das auch nicht christlich. Das hört sich jetzt pathetisch an, aber es gibt in der Bibel viele Worte, wo steht: Fürchtet euch nicht. Das heißt eben, sich nicht zurückzuziehen in irgendein Schneckenloch, sondern immer wieder hinauszugehen und zu agieren."