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"Wir sind dabei, den Kampf gegen die Erderwärmung zu verlieren"

Dass der CO2-Anteil in der Atmosphäre die 400-ppm-Marke überschritten habe, sei ein "Alarmsignal", sagt der Meteorologe Mojib Latif vom Kieler Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung. Bei der nächsten Klimakonferenz in Polen müssten endlich die Zeichen der Zeit erkannt werden.

Mojib Latif im Gespräch mit Georg Ehring | 13.05.2013
    Georg Ehring: Kohlendioxid stellt nur einen winzigen Anteil an der Erdatmosphäre, doch das farb- und geruchlose Gas hat durchaus seine Funktion. Pflanzen brauchen es für ihren Stoffwechsel, außerdem erwärmt es die Luft, das ist der Treibhauseffekt. Seit Beginn des Industriezeitalters ist der Anteil von CO2 an der Atmosphäre immer weiter gestiegen. Am Wochenende wurde bekannt, dass zum ersten Mal seit Langem die Marke von 400 ppm überschritten wurde. ppm steht für parts per million, also Teile pro Million Moleküle Luft.

    Vor dieser Sendung habe ich Professor Mojib Latif vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel gefragt, was das für unser Klima zu bedeuten hat.

    Mojib Latif: CO2 ist ja der Hauptgrund dafür, dass sich in den letzten 100 Jahren unser Klima um ein knappes Grad erwärmt hat, und inzwischen ist der Wert so hoch, wie er noch nie gewesen ist, seit wir Menschen auf diesem Planeten leben. Das heißt, seit fast einer Million Jahren nicht mehr.

    Ehring: Das heißt, vor einer Million Jahre war der Wert schon mal ungefähr so hoch. Wie war es denn dann klimatisch auf der Erde?

    Latif: Na ja, wir müssen schon noch weiter zurückgehen. Eine Million, das bezog sich auf die Geschichte der Menschheit. Wir müssen wahrscheinlich schon 10, 20, 30 Millionen Jahre zurückgehen, um solche Werte zu finden, und damals waren eben ganz andere Verhältnisse: Die Dinosaurier haben gelebt. Das ist aber eigentlich gar nicht das Problem; das Problem ist die Geschwindigkeit, mit der alles passiert. Wissen Sie, im Moment steigt der CO2-Gehalt hundertmal schneller an, als er es je getan hat in der Erdgeschichte, und das macht uns Sorgen, weil das macht doch einen gewissen Anpassungsdruck für viele Lebewesen.

    Ehring: Wo stand denn der Wert vor Beginn des Industriezeitalters, also im 19. Jahrhundert?

    Latif: Damals lag er ungefähr bei 280 ppm. Seit da ist er kontinuierlich angestiegen. Und 400 ppm, das ist so eine psychologische Marke, muss man sagen. 400 ppm, das heißt schon, dass wir immer mehr dabei sind, den Kampf gegen die Erderwärmung zu verlieren.

    Ehring: Wie geht es denn weiter? Was würde eine Verdopplung des CO2-Gehalts in der Atmosphäre bedeuten und ist sie zu befürchten?

    Latif: Ja. Im Moment sieht alles danach aus, dass sie zu befürchten ist. Das Ganze – das möchte ich auch noch mal sagen – vollzieht sich aber langsam. Das heißt, man darf jetzt nicht glauben, dass nächste Woche oder nächstes Jahr irgendjemand den Schalter umlegt und dann ist die Klimakatastrophe da. Wir sprechen bei einer CO2-Verdopplung von Temperaturänderungen von etwa drei, vielleicht vier Grad. Das könnte der Fall sein gegen Ende des Jahrhunderts, denke ich. Dann würden tatsächlich Hitzeperioden deutlich zunehmen, Dürreperioden deutlich zunehmen, aber auch Starkniederschläge. Das heißt also, unser Klima würde extremer werden.

    Ehring: Die Klimawissenschaft hat ja mit jeder Menge Unsicherheiten auch noch zu kämpfen. Wird der CO2-Einfluss möglicherweise auch überschätzt, zum Beispiel verglichen mit Ruß? Ruß sorgt ja ebenfalls für eine Klimaerwärmung, zumindest der schwarze Ruß.

    Latif: Ja es gibt natürlich Unsicherheiten, das will auch gar keiner in Abrede stellen. Aber wir wissen doch so viel, dass man schon Maßnahmen einfordern muss, denn wir dürfen nicht vergessen: Wir gehen hier ein großes Risiko ein. Wenn wir erst einmal hohe CO2-Werte haben, dann kriegen wir die über Jahrtausende gar nicht mehr raus. Selbst heute würde es vermutlich schon tausend Jahre dauern, bis sich der CO2-Gehalt wieder normalisiert hätte. Wie gesagt, wir gehen ein großes Risiko ein. Das ist völlig gegen unsere alltägliche Lebenspraxis. Stellen Sie sich vor, Sie wollen in Urlaub fliegen, am Ende der Gangway steht ein Schild: Dieses Flugzeug stürzt mit einer Wahrscheinlichkeit von zehn Prozent ab. Niemand würde da reingehen. Insofern: Wir wissen genügend. Absolute Sicherheit wird es nie geben, aber das braucht es auch nicht.

    Ehring: In den vergangenen Jahren hat die Klimaerwärmung doch scheinbar nachgelassen. Es ist nicht mehr mit dem gleichen Tempo wärmer geworden, wie es vorher der Fall war.

    Latif: Ja, das ist völlig normal. Ich selber habe ja in einer Studie im Magazin "Nature" schon darauf hingewiesen 2008, dass es so eine Atempause geben wird. Das sind einfach die natürlichen Klimaschwankungen, die arbeiten mal mit, mal gegen die globale Erwärmung. Aber langfristig pendelt sich das aus und langfristig wird einfach die Temperatur ansteigen. Deswegen noch mal: Nächstes Jahr, übernächstes Jahr, das bedeutet gar nichts, selbst wenn die Temperatur nicht weiter steigen würde. Wir haben immer 2050, 2100 im Blick, das heißt die langfristige Entwicklung.

    Ehring: Trauen Sie sich denn eine mittelfristige Prognose für die nächsten Jahre zu?

    Latif: Nein. Da sind wir noch ganz am Anfang. Wie gesagt, ich habe es nur einmal probiert 2008, das scheint ja ganz in Ordnung gewesen zu sein, bisher jedenfalls. Wir haben gesagt, bis 2015 wir die Erderwärmung nicht weitergehen. Ich denke mal, dann werde ich mich aufraffen mit meinen Kollegen zusammen und dann werden wir wieder neue Prognosen machen. Mal sehen, wie es dann aussehen wird.

    Ehring: Wird das Überschreiten dieses Schwellenwertes denn Ihrer Ansicht nach Einfluss auf die Klimapolitik haben, oder ist das nur eine Hausmarke?

    Latif: Na ja, ich denke, dass man nie die Flinte ins Korn werfen sollte. 400 hört sich natürlich schon anders an als 399. Das wissen wir auch von den Preisen her beispielsweise, die ja oft sozusagen unter eine volle Zahl gedrückt werden. Ich hoffe wirklich, dass das ein Alarmsignal ist und dass jetzt bei der nächsten Klimakonferenz in Polen Ende des Jahres endlich die Zeichen der Zeit erkannt werden.

    Ehring: Mojib Latif war das vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung. Das Interview haben wir kurz vor der Sendung aufgezeichnet.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.