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"Wir sind ebenso überrascht wie schockiert"

Die gerichtliche Abberufung der Suhrkamp-Geschäftsleitung sei noch nicht rechtskräftig, betont die Pressesprecherin des Verlags, Tanja Postpischil. Man werde in Berufung gehen. Zudem gebe es eine "unglaubliche Solidarität" der Autoren.

Das Gespräch führte Dina Netz | 11.12.2012
    Dina Netz: Auf der Internet-Seite gratuliert der Suhrkamp-Verlag heute noch Peter Handke, der am 6. Dezember 70 Jahre alt geworden ist. Könnte sein, dass der 10. Dezember 2012 bald als das wichtigere Datum in die Verlagsgeschichte eingeht, denn: Gestern hat das Landgericht Berlin entschieden, dass die Geschäftsführung von Suhrkamp abberufen werden muss. Hintergrund ist eine Klage des Minderheitsgesellschafters Hans Barlach, der Ulla Unseld-Berkéwicz unter anderem vorwirft, Privates und Geschäftliches vermischt und damit dem Haus geschadet zu haben. Die Geschäftsführung muss 280.000 Euro Schadenersatz zahlen. Das Urteil setzt außerdem rückwirkend einen Gesellschafterbeschluss von November 2011 in Kraft, wonach Unseld-Berkéwicz "als Geschäftsführerin aus wichtigem Grund abberufen wird". Frage an die Leiterin der Suhrkamp-Pressestelle, Tanja Postpischil: Gestern gab es keine Stellungnahme von Verlagsseite außer der, dass man "schockiert und überrascht" sei über das Urteil. Wie ist denn die Stimmung heute, mit einer Nacht Abstand?

    Tanja Postpischil: Ja, nach einer Nacht Abstand hat sich tatsächlich nicht sehr viel geändert. Wir sind ebenso überrascht wie schockiert – das waren wir gestern, das sind wir heute. Was anderes ist nach einem derartigen Urteil auch eigentlich nicht zu erwarten.

    Netz: Ihr Autor Alexander Kluge äußert heute in der FAZ, so könne ein Gericht nicht mit einem Verlag umgehen. Fühlen Sie sich auch ungerecht behandelt?

    Postpischil: Ja, das tun wir. Es ist auch ein Urteil, mit dem nicht zu rechnen war. Was toll ist, jetzt, wo Sie Alexander Kluge erwähnen: Es gibt eine unglaubliche Solidarität, was die Autorenschaft angeht. Es kommen E-Mails, es kommen Briefe, es kommen Anrufe noch und nöcher, es werden viele Autoren noch Stellung beziehen, auch bei Ihnen unter anderem, aber auch auf anderen Sendern, in Zeitschriften, in Zeitungen. Also, die Solidarität unter den Autoren ist beeindruckend.

    Netz: In welchem Punkt genau fühlen Sie sich denn ungerecht behandelt durch dieses Urteil?

    Postpischil: Na ja, ungerecht ist natürlich eine Frage, die nicht wirklich eine juristische Kategorie ist. Es ist so, dass die Geschäftsführung verurteilt ist zu einem Schadensersatz, persönlich verurteilt, das heißt, die drei einzelnen Geschäftsführer, und dieser Schadensersatz bezieht sich auf einen Ort, der angemietet wurde. Jetzt ist es so, dass der Verlag im Grunde immer Räume angemietet hat, und das waren meistens Räume in privaten Wohnungen. Wir hatten in Frankfurt – das werden Sie wissen – die Klettenbergstraße, dort finden immer noch unsere Buchmessen-Empfänge statt in jedem Jahr in Frankfurt. Wir hatten in Berlin, als es das Haus der Verlegerin noch nicht gab, die Fasanenstraße, dort hatten wir eine Wohnung angemietet und in der fanden literarische Salons statt. Das ist ein ganz integraler Bestandteil der Arbeit dieses Hauses, Autoren zu versammeln, Kritiker zu versammeln, Freunde des Hauses zu versammeln und über die Themen, die den Verlag angehen, die die Bücher angehen, zu diskutieren.

    Netz: Das ist aber ja vielleicht nicht das eigentliche Problem, diese Schadenersatzzahlung, sondern eigentlich ist das Problem für Sie doch jetzt eher der zweite Teil, nämlich die Abberufung der Geschäftsführer, oder?

    Postpischil: Ja. Das ist das für den Verlag deutlich größere Problem: die Abberufung der Geschäftsführung. Zunächst muss man dazu sagen: Die Geschäftsführung ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht abberufen.

    Netz: ... , solange das Urteil nicht rechtskräftig ist.

    Postpischil: Genau. Es gibt ein Urteil, das ist nicht rechtskräftig, und bis zu diesem Zeitpunkt, wenn es zu diesem Zeitpunkt überhaupt kommt, ist die Geschäftsführung im Amt.

    Netz: Nun ist ja die Frage, wann wird das Urteil rechtskräftig. Sie können in die nächste Instanz gehen. Wird Suhrkamp das tun?

    Postpischil: Natürlich. Wir werden, was beide Urteile angeht, in die Berufung gehen. Das heißt, mit einer rechtskräftigen Urteilsverkündung ist im Augenblick noch nicht zu rechnen.

    Netz: Der Anwalt Peter Raue hat schon gesagt: Selbst wenn die Geschäftsführung abberufen würde, sei das ja gar nicht das Ende des Verlags – man werde einen anderen Geschäftsführer einsetzen, wenn es denn so käme. Aber Suhrkamp ist ja kein x-beliebiges Wirtschaftsunternehmen, bei dem man dann einfach jemanden einsetzen kann. Außerdem bliebe der Zwist mit Hans Barlach ja bestehen. Was gibt es denn da für eine Perspektive?

    Postpischil: Es gibt eine Geschäftsleitung, diese Geschäftsleitung ist in ihrer Rolle aktiv hier im Haus und wird unterstützt. Sie wird von den Mitarbeitern des Hauses unterstützt, sie wird von den Autoren unterstützt.

    Netz: Wird es außer dem gerichtlichen Weg jetzt auch noch andere Versuche geben, sich mit Hans Barlach zu einigen, vielleicht auch außergerichtlich? Gibt es da irgendwelche Lösungsbestrebungen nach diesem Urteil gestern?

    Postpischil: Da sieht es im Augenblick nicht nach aus. Hans Barlach hat ja auch, wie Sie und auch ich den Medien entnehmen konnten, geäußert, dass es eigentlich keine Verständigungsebene mehr mit der Verlagsleitung, mit der jetzigen Verlagsleitung geben würde, und das ist von unserer Seite nicht deutlich anders zu sehen.

    Netz: Einige kritisieren jetzt: Hätte man Hans Barlach ein oder zwei Geschäftsführer-Posten bei Suhrkamp von Anfang an zugestanden und ihn nicht immer wieder wie einen Underdog behandelt, dann wäre es so weit gar nicht gekommen, die Situation nicht so eskaliert. Sind da im Umgang mit Hans Barlach von Frau Unseld-Berkéwicz und der Geschäftsführung auch Fehler gemacht worden?

    Postpischil: Das ist zum jetzigen Zeitpunkt sehr schwer zu beurteilen. Als Herr Barlach damals die Anteile erworben hat, hat die Verlegerin versucht, Kontakt mit ihm aufzunehmen. Also es gab den einen oder anderen Versuch, mit Herrn Barlach ins Gespräch zu kommen. Die Versuche sind gescheitert, dafür gab es unterschiedlichste Gründe, und inzwischen haben sich die Fronten verhärtet.

    Netz: Orakeln Sie doch bitte mal mit mir, Frau Postpischil: Wenn wir uns in einem Jahr noch mal sprechen – wie steht es dann um Suhrkamp?

    Postpischil: Gut.

    Netz: Ein kurzes Orakel von Tanja Postpischil, der Leiterin der Pressestelle des Suhrkamp-Verlags.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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