Donnerstag, 28. März 2024

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"Wir sind im Klimaschutz weltweit zu langsam"

Deutschland baue eine vollständig neue Energieversorgung auf, sagt Jochen Flasbarth, Präsident des Umweltbundesamtes. Deshalb werde Strom auch etwas teurer. Betrachte man jedoch die Umweltkosten, seien die Erneuerbaren langfristig weitaus günstiger.

Jochen Flasbarth im Gespräch mit Georg Ehring | 06.10.2013
    Georg Ehring: Herr Flasbarth, der Klimawandel geht weiter – mit Hitzewellen, mit mehr Wetterkatastrophen und einem schnelleren Anstieg des Meeresspiegels. Diese Botschaft hat der Weltklimarat IPCC vor einer Woche verbreitet, ganz ähnlich wie 2007, nur dass wir das jetzt ein bisschen genauer wissen. Die CO2-Emissionen steigen trotzdem weiter, im vergangenen Jahr auch in Deutschland. Wie haben Sie denn den neuesten Sachstandsbericht aus Stockholm aufgenommen?

    Jochen Flasbarth: Ja, der IPCC, der Weltklimarat, hat in der Tat das bestätigt, was er beim letzten Mal, allerdings mit etwas größerer Unsicherheit, auch schon gesagt hat. Das bedeutet, wir bekommen keine wesentlichen neuen Erkenntnisse, aber das, was an Aussagen getroffen wird, wird immer zuverlässiger, belastbarer. Inzwischen sagt der Weltklimarat, seine Aussagen treffen mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit zu.

    Ehring: Hat Sie das überrascht oder bestätigt?

    Flasbarth: Das kann ich so überhaupt nicht sagen. Das ist ja nicht so, dass man auf die Ergebnisse mit einem bestimmten Ziel wartet, sondern wir wollen gerne wissen: Ist das, was an Klimaschutznotwendigkeiten gesehen wird weltweit, tatsächlich so gegeben oder haben die Wissenschaftler, in dem Fall ja wieder über 800, die beteiligt waren, irgendwelche anderen Erkenntnisse, die unsere Aufmerksamkeit möglicherweise in eine andere Richtung lenken. Und das, muss man sagen, ist nicht gegeben. Die Frage der Ozeane stand diesmal mehr im Mittelpunkt, ein offenbar noch schnelleres und deutlicheres Ansteigen des Meeresspiegels ist zu befürchten. Das ist etwas, das haben wir so in den letzten Jahren nicht im Mittelpunkt der Betrachtungen gehabt.

    Ehring: Dass alles so weitergeht wie vorher vermutet, liegt ja auch daran, dass die Emission von Treibhausgasen weiter steigt. Da hat man ja keine Konsequenzen heraus gezogen, zumindest weltweit. Wie sehen Sie das denn – auch mit Blick auf Deutschland?

    Flasbarth: Ja, wir sind im Klimaschutz weltweit zu langsam, das ist eine Tatsache. Wir müssten viel schneller in kohlenstoffarme Wirtschaftsweisen eintreten. Wir wissen ja auch schon aus früheren Analysen des Weltklimarates, dass wir nur noch wenige Jahre haben, bis wir den Gipfel der CO2- oder der Treibhausgasemissionen erreicht haben dürfen. Dann muss es wirklich global wieder zurückgehen auf die Hälfte zur Mitte des Jahrhunderts. Das ist eine Herkulesaufgabe, bei der wir leider viel zu langsam sind.

    "Da darf es kein Zurück zur Kohle geben"
    Ehring: Aber Deutschland hat im internationalen Vergleich ja recht ehrgeizige Klimaziele, und jetzt stoppt Bundeskanzlerin Angela Merkel die CO2-Vorgaben für Autos, um die heimische Autoindustrie zu stützen. Nehmen wir unsere eigenen Klimaziele überhaupt noch ernst?

    Flasbarth: Wir müssen sie auch wieder ernster nehmen, Deutschland ist im Klimaschutz sicherlich in der vorderen Reihe dabei. Wir haben sehr ehrgeizige Ziele, ein nationales Ziel bis 2020 von 40 Prozent. Das ist einzigartig bei einer Industrienation unserer Art. Und das ist gut so, weil wir davon überzeugt sind in Deutschland, dass wir auf Dauer die Klimaschutzziele erreichen müssen. Und deshalb wollen wir ja auch möglichst schnell einsteigen. Das hat in den letzten Jahren etwas Verlangsamung bekommen, leicht, viel stärker im Bereich des Kraftwerkparks als beispielsweise im Verkehr. Um eine glaubwürdige Politik zu machen, muss man natürlich alle Sektoren in den Blick nehmen, und da ist der Verkehr uns in den letzten Jahren etwas durchgegangen, er mindert nicht so stark, wie er das müsste. Aber besondere Aufmerksamkeit müssen wir darauf richten: Wie entwickelt sich unser Kraftwerkspark, wie viel Kohle wird verstromt in Ergänzung zu den erneuerbaren Energien.

    Ehring: Deutschland erlebt eine Renaissance auch der Kohle, sogar der Braunkohle. Wie kommt das, und können wir uns das leisten?

    Flasbarth: Nein, wir können uns das nicht leisten, und das ist ganz wichtig jetzt auch bei den Verhandlungen für einen Koalitionsvertrag, dass die Parteien, die dann eine Regierung bilden, sich nicht nur darauf verständigen: Wie fördern wir die erneuerbaren Energien weiter? Das ist ein wichtiger Baustein, aber es geht auch darum: Wie setzt sich der übrige Kraftwerkspark zusammen, der dann die weitere Strommenge produziert, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht? Da darf es kein Zurück zur Kohle geben, sondern wir brauchen etwas mehr Gas, als wir das im Augenblick haben. Das nimmt dann ja zusammen über die Jahre auch ab, wenn wir dann zur Mitte des Jahrhunderts vollständig erneuerbare Energien als Basis haben wollen.

    "Knapp zwei Milliarden Zertifikate müssen schnellstmöglich dauerhaft vom Markt"
    Ehring: Aber wir haben ja festgelegte Klimaziele, die Kraftwerke beteiligen sich am Emissionshandel. Muss man da dirigistisch eingreifen, um die Braunkohle noch weiter zurückzudrängen? Die zahlen ja für ihre CO2-Emissionsrechte.

    Flasbarth: Ja, aber der europäische Emissionshandel funktioniert im Augenblick nicht richtig. Das ist ein sehr gutes Instrument, weil es sehr marktnah operiert, aber es ist natürlich auch anfällig gegenüber Interventionen. Und die haben - leider Gottes - zu Beginn der Einführung des Emissionshandels und dann zur nächsten Handelsperiode stattgefunden mit sehr, sehr vielen Ausnahmetatbeständen, mit zu vielen kostenlosen Zuteilungen und letztendlich zu vielen Schlupflöchern. Das will man jetzt in Brüssel korrigieren, und dazu hat es in den letzten Monaten keine gemeinsame Überzeugung des Umweltministers und des Wirtschaftsministers in Deutschland gegeben. Umweltminister Peter Altmeier war ja dafür angetreten, dass es eine kräftige Reform des Emissionshandels gibt, das ist auch das, was das Umweltbundesamt empfiehlt, und das war aber nicht einigungsfähig in Deutschland. Und ich hoffe, dass dies jetzt korrigiert wird, sodass wir in Brüssel nicht länger schweigen müssen, wenn es um diese sehr, sehr wichtige Stellschraube für den europäischen Klimaschutz geht.

    Ehring: Muss man denn darüber hinaus noch zusätzlich Gaskraftwerke fördern, Kohlekraftwerke zurück drängen? Oder regelt das ein verbesserter Emissionshandel von selber?

    Flasbarth: Nein, aber ein verbesserter Emissionshandel wird einen wichtigen Beitrag dazu leisten. Wir haben knapp zwei Milliarden Zertifikate im Markt zu viel, und darum besteht der Grund, dass es einen immer stärkeren Preisverfall gibt. Nun ist es nicht Sinn des Emissionshandels künstlich hohe Preise zu schaffen, aber wenn das Marktsignal so gering ist mit vier bis fünf Euro im Augenblick, dann löst das eben die Investitionen in den Energieeffizienztechniken nicht aus. Also, diese knapp zwei Milliarden Zertifikate müssen schnellstmöglich dauerhaft vom Markt. Dann ist das ein Beitrag. Aber allein das wird auch noch nicht reichen, um das Verhältnis von Gas- und Kohlekraft in Deutschland dauerhaft in eine richtige Proportion zu bekommen.

    Ehring: Was muss denn zusätzlich passieren?

    Flasbarth: Wir dürfen vor allem das richtige Vom-Markt-gehen veralterter Kohlekraftwerke nicht künstlich begrenzen. Das ist sehr wichtig. Wir haben in Deutschland insgesamt eher Überkapazitäten, und die müssen schrittweise abgebaut werden. Das ist ein natürlicher Prozess. Was uns fehlt, sind neue flexible Gaskraftwerke, die schnell sich an das flexible Stromangebot von Wind und Sonne anpassen können. Und da gibt es in der Tat im Augenblick große Investitionszurückhaltung. Unter Umständen wird man hierfür auch ein verändertes Marktdesign brauchen und zukünftig auch darüber nachdenken müssen, wie kann man solches Kapazität-Vorhalten eigentlich wieder anreizen. Wir im Umweltbundesamt raten, zunächst noch etwas abzuwarten und eine strategische Reserve aufzubauen – einige Gigawatt vor allem in Süddeutschland, wo demnächst ja noch weitere Atomkraftwerke vom Netz gehen. Diese Gaskraftwerke sollen dann operieren, wenn der Bedarf an Strom nicht gedeckt werden kann durch den herkömmlichen Strom im Kraftwerkspark.

    "Eine deutlich kompliziertere Lage"
    Ehring: Der Ausbau erneuerbarer Energien ist ja in den vergangenen Jahren in Deutschland stürmisch vorangekommen. Stößt das durch die starken Schwankungen der Stromproduktion irgendwann an Grenzen?

    Flasbarth: Wir sind jetzt in eine Phase angelangt, wo der Zubau von erneuerbaren Energienkapazitäten nicht mehr einfach nur so funktioniert wie in der Vergangenheit. Die ersten 10, 20, 25 Prozent konnte man ganz einfach zubauen, und dann hat man daneben den anderen Kraftwerkspark gehabt. Und jetzt kommen wir in die Phase, in der die erneuerbaren Energien schrittweise auch den Markt dominieren, zu bestimmten Zeiten fast die gesamte Stromnachfrage decken können. Und das bedeutet, dass wir in eine deutlich kompliziertere Lage kommen, als das vorher war. Wir lernen sehr viel, und das müssen wir jetzt schrittweise gestalten, indem wir den erneuerbaren Energien auch zusätzliche Aufgaben zuweisen, nämlich wie sie auch zur Systemstabilität, zur Regelenergieleistung, also die dann abgerufen werden kann, wenn sie gebraucht wird, beitragen können.

    Ehring: Können Sie das überhaupt? Man kann ja den Wind nicht abrufen, wenn Strom gebraucht wird.

    Flasbarth: Nein, aber es gibt schon technische Möglichkeiten, wie die erneuerbaren Energien genau diese Systemleistungen mit übernehmen können. Wenn es da in Richtung einer Vollversorgung geht, dann wird das nicht ohne Speicher geschehen. Aber für die nächsten Jahre sind die Speicher noch nicht die zentrale Herausforderung, sondern es wird vor allem darum gehen, wie wir das Netz zügig ausbauen können und wie wir die erneuerbaren Energien auch so regeln können, dass sie sich stärker an Angebot und Nachfrage ausrichten. Und schließlich wird es darauf ankommen, auch auf der Nachfrageseite das Potential zu nutzen. Es muss ja nicht eine bestimmte Nachfrage immer zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt erfüllt werden, das lässt sich auch zeitlich etwas schieben. Und damit können wir viel besser Angebot und Nachfrage aufeinander abstimmen.

    Ehring: Aber das kostet alles dann wieder zusätzlich Geld, wenn man jetzt Anreizregulierung für das Vorhalten von Kraftwerkskapazitäten schafft, wenn man die Erneuerbaren Energien per Einspeisevergütung weiter fördert. Wird der Strom dann nicht irgendwann zu teuer – auch im internationalen Vergleich?

    Flasbarth: Es kommt drauf an, welche Phase man betrachtet. Wir sind jetzt in einer Phase des Investierens. Wir bauen eine vollständig neue Energieversorgung auf. Das sind tatsächlich Investitionen, die zu Buche schlagen. Und deshalb wird der Strom auch etwas teurer. Mittelfristig ist das die Voraussetzung dafür, dass Deutschland eine der wettbewerbsfähigsten Nationen der Welt wird. Ich bin davon überzeugt, dass der Umstieg auf erneuerbare Energien die Schlüsselkompetenz für Deutschland ist, um den Wettbewerb weltweit bestehen zu können und ganz an der Spitze zu marschieren.

    Ehring: Aber die Solaranlagen kommen jetzt aus China.

    Flasbarth: Ja, aber das ist letztendlich ja auch gut so, dass wir einen globalen Markt haben, der auch globalen Wettbewerb auslöst. Ob der immer fair ist, ist eine andere Frage. Aber wir profitieren natürlich auch von dieser Entwicklung des globalen Marktes, weil wir in den letzten Jahren einen Preisverfall bei Solarmodulen erlebt haben, der es ja auch wieder billiger gemacht hat, diesen Zubau zu organisieren. Schließlich und endlich gibt es für einzelne Komponenten bei Solarmodulen beispielsweise für Wechselrichter deutsche Anbieter, die fast den gesamten Weltmarkt bedienen. Also ich rate dazu, nicht zu sehr nach innen zu gucken, sondern auch die Vorteile dieses wettbewerblichen Geschehens am Weltmarkt mit zu sehen.

    Braunkohle vierzigmal teurer als Wind
    Ehring: Sie hören im Deutschlandfunk das Interview der Woche mit Jochen Flasbarth, den Präsidenten des Umweltbundesamtes. Herr Flasbarth, Kohle und Gas haben auch Umweltkosten, die sich unter Umständen im Preis nicht so richtig widerspiegeln. Kann man das anders beziffern als durch Emissionsrechte?

    Flasbarth: Ja, also im Augenblick ist es jedenfalls so, dass die Umweltkosten durch die Preise des Emissionshandels nicht gedeckt sind. Umweltkosten liegen deutlich höher. Wenn Sie das mal vergleichen zwischen Braunkohle und Windenergie: Windenergie hat natürlich auch Umweltkosten, nehmen Sie den Lärm, die Verschattungseffekte, über die sich ja die Bevölkerung, wenn sie davon betroffen ist, auch gelegentlich beklagt. Aber wenn man diese Kosten mal in eine Beziehung setzt, das haben unsere Ökonomen getan, dann sieht man, dass Braunkohle vierzigmal so hohe Umweltkosten hat wie beispielsweise Windenergie. Und das ist derzeit nicht gedeckt am Markt.

    Ehring: Das heißt, aus der Braunkohle müssten wir schnellstmöglich aussteigen?

    Flasbarth: Die Braunkohle wird jedenfalls eine abnehmende Rolle für Deutschland spielen. Sie ist die einzige heimische fossile Ressource, die wir im größeren Umfang haben, deshalb wird sie sicherlich auch noch einige Jahre genutzt. Aber die Vorstellung, dass Braunkohle jetzt sozusagen die Lücke des Atomstroms füllt, das ist nicht vereinbar mit den Klima- und Umweltschutzzielen, die Deutschland hat.

    Ehring: Ein anderer Punkt der Energiewende ist die Einsparung von Energie. Hier sind wir bei den Zielen relativ weit zurück. Wie kommt das, und was kann man dagegen tun?

    Flasbarth: Ja, wir sind bei der Energieeffizienz zwar vorangekommen, aber längst nicht so schnell, wie es hätte sein müssen. Wir haben leider Gottes auch die Vorschläge, die es aus Brüssel in den letzten Jahren gab, nicht immer beherzt unterstützt, das wäre besser gewesen – beispielsweise einen bestimmten Umfang an Energieeinsparung bei den Verbrauchern, auch den Energieversorgern aufzuerlegen. Und dann ist es so, dass immer dann, wenn es ganz konkret wird beim Energiesparen, sich auch Widerstand regt. Also denken Sie an die aus meiner Sicht völlig überhöhte Debatte um Energiesparlampen, was war das für ein Aufstand. Und so wird es jetzt bei weiteren elektrischen Geräten gehen, bei denen wir eine Menge Strom einsparen können, aber die auch immer etwas Veränderung bedeuten. Nehmen Sie so etwas wie Duschköpfe, wassersparende Duschköpfe, die ja nicht deshalb von der Kommission eingeführt werden, weil sie Wasser sparen, sondern im Wesentlichen, weil sie Energie sparen beim Warmwasser.

    Ehring: Umweltschutz setzt sehr stark immer mehr auf Gebote, auf Verbote. Und das kommt bei der Bevölkerung auch nicht unbedingt gut an. Die Grünen haben es zum Beispiel im Wahlkampf mit dem Vorschlag eines Veggie-Days erlebt, also eines Tages, an dem man in Kantinen nur vegetarische Gerichte servieren sollte. Kann man die Bürger noch weiter mit Verboten und Geboten belasten, oder muss man da andere Wege finden?

    Flasbarth: Also ich glaube, dass es immer einen Mix an Instrumenten geben muss. Ich sehe auch gar nicht, dass wir in einer großen Phase von Ge- und Verboten sind. Das waren im Wesentlichen die 70er und 80er Jahre, als der Umweltschutz neu auf die Tagesordnung gekommen ist. Danach haben wir sehr viel mit marktwirtschaftlichen Instrumenten gearbeitet. Nehmen Sie den Emissionshandel, der aus meiner Sicht völlig unbegreiflicherweise von der Industrie so stark kritisiert wird. Das ist ein marktliches Instrument, wenn man das nicht hätte, dann müsste man in der Tat Gebote und Verbote aussprechen, man müsste bestimmte Techniken vorschreiben, Grenzwerte festlegen. Also ich glaube, dass die Umweltpolitik im Augenblick einen guten Mix hat. Es wird immer dann kritisch aus Sicht der Bevölkerung, wenn der Staat sich in das Freizeit- und – Sie haben es eben erwähnt – das Essverhalten der Bevölkerung einmischt. Ich glaube, das ist ein Bereich, in dem der Staat gut beraten ist, zwar zu informieren, aber es am Ende dann aus dem gesellschaftlichen Diskurs zu überlassen, wie man sich in der Freizeit und am Essenstisch verhält.

    Ehring: Für die Wärmedämmung gilt das nicht? Da gibt’s ja auch eingreifende Vorschriften, beispielsweise auch die Vorschrift, erneuerbare Energien bei der Sanierung eines Hauses mitverwenden zu müssen. Übertreibt da der Staat nicht auch ein bisschen?

    Flasbarth: Nein, das finde ich überhaupt nicht. Der Staat fördert ja auch sehr stark, das muss man ja im Zusammenhang sehen. Und einer der ganz wichtigen Bereiche ist es, dass wir unseren Gebäudebestand so klimaverträglich wie möglich ausstatten. Das wird man bei Neubauten ohnehin tun, aber der größte Teil in Deutschland ist bereits gebaut, und deshalb müssen wir an den Bestand heran in einer guten Austarierung von Fördermitteln. 1,5 bis zwei Milliarden sind es im Augenblick, das muss auch so bleiben, eher etwas mehr werden. Aber es gibt auch Anforderung, wenn jemand eine alte Immobilie besitzt und sie grundlegend saniert, dass er dann auch etwas mehr für die Energieeffizienz tut.

    Ehring: Derzeit liegt die Sanierungsrate bei einem Prozent pro Jahr und sie müsste auf zwei Prozent steigen, um im Gebäudebereich die Klimaziele zu erfüllen. Wie kann man das hinkriegen?

    Flasbarth: Ja, die Förderung eher ausweiten, sie vor allem noch stärker fokussieren auf den Mietwohnungsbau. Das ist dann auch der Bereich, in dem es in der mittleren Frist für die Bevölkerung wichtig ist, dass wir hier besser isolierte Gebäude haben, weil das natürlich die Heizkosten enorm nach unten bringt. Und wenn sie jetzt sehen - in diesem Winter, demnächst kommen die Heizkostenrechnungen vom letzten Winter, da wird so mancher staunen, wie das angestiegen ist, weil wir eben einen kalten Winter hatten und die Preise für Öl und Gas auch gestiegen sind. Also es ist wichtig, dass wir hier frühzeitig investieren.

    "Die Lkw-Maut, ist das richtige Instrument"
    Ehring: Ich möchte noch mal auf den Verkehr zurückkommen. Da wird im Moment diskutiert über die Ausweitung der Maut. Kann das den Verkehr umweltverträglich lenken, ist das das richtige Instrument und was muss da passieren?

    Flasbarth: Ja, die Maut, die Lkw-Maut, ist das richtige Instrument. Sie wirkt auch, sie lenkt den Verkehr und sie reduziert die Emissionen. Allerdings ist der Lenkungseffekt noch nicht optimal. Es gibt immer noch Ausweichverkehre, weil nicht alle Straßen mit der Mautpflicht versehen sind. Deshalb plädiert das Umweltbundesamt dafür, dass die Lkw-Maut vom Netz her ausgeweitet wird auf sämtliche Straßen und dass sie auch für kleinere LKW schon angewendet wird. Auf die Weise kriegt man dann tatsächlich den vollständigen Effekt. Und man sollte sie auch schrittweise immer mal wieder erhöhen, um damit die Umweltkosten am Ende vollständig einzufangen.

    Ehring: Was beim LKW funktioniert, könnte doch auch beim PKW klappen?

    Flasbarth: Ja, wir haben im Umweltbundesamt verschiedene Möglichkeiten einer Pkw-Maut untersucht und versucht, herauszufinden, wie die denn nun auch unter Umweltaspekten wirkt. Und da kann man ganz klar sagen, eine Vignetten-Maut, also die man für einen Monat oder für ein Jahr erwirbt, wirkt umweltpolitisch überhaupt nicht. Das mag eine Einnahmequelle für den Staat sein, aus der Umweltsicht spricht nichts für eine Vignette. Sie könnte sogar im Extremfall so was Ähnliches wie einen Anreiz bei einer Flatrate bieten, wenn man sich das gekauft hat, dann sagt man sich möglicherweise: Dann fahre ich jetzt auch oder ich nehme dann eben nicht den Zug. Denn die Maut, die hat er eh schon bezahlt. Anders wäre es, wenn man eine leistungsabhängige Maut einführt, also wenn man erfasst: Wie viel ist gefahren worden und danach dann abrechnet. Damit könnte man sehr gut steuern, man könnte auch nach Straßensystemen steuern, also besonders belastete Straßen stärker besteuern oder einbeziehen in die Mauthöhe oder zu bestimmten Zeiten, im Berufsverkehr, es etwas anheben. Also das sind schon Möglichkeiten, mit der eine Pkw-Maut wirken könnte. Allerdings muss man sich immer fragen: Lohnt der Kostenaufwand der Errichtung eines solchen Systems, ist der Datenschutz hinreichend gesichert im Vergleich zu der sehr viel einfacheren Möglichkeit, die Mineralölsteuer zu erhöhen?

    Ehring: Ließe sich das aus Ihrer Sicht bewerkstelligen, oder sind Sie mehr für die Mineralölsteuer?

    Flasbarth: Wir stellen fest, dass die Neigung in der Politik, die Mineralölsteuer zu erhöhen, ausgesprochen gering ist. Das ist keine Maßnahme, die in der Bevölkerung besonders beliebt ist. Es kommt hinzu, dass man das auch im europäischen Kontext tun müsste, um Tanktourismus zu vermeiden. Und deshalb ist eine Pkw-Maut eine Möglichkeit, die Kosten besser anzulasten. Das geht aus meiner Sicht aber nur, und das ist die entscheidende Schwelle, wenn ganz zuverlässig der Datenschutz geklärt ist. Niemand will, dass man nachvollziehen kann beim Staat, wann ich zu welchem Supermarkt oder sonst wo hingefahren bin.

    "Wir brauchen ambitioniertere O2-Grenzwerte"
    Ehring: Kann es sich Deutschland leisten aus Ihrer Sicht, die CO2-Grenzwerte, die Senkung der CO2-Grenzwerte für Autos zu verzögern?

    Flasbarth: Also, das Umweltbundesamt hat hier zu eine ganz klare Meinung, die ich auch vertrete. Wir brauchen ambitioniertere O2-Grenzwerte. Die deutsche Automobilindustrie war nie gut beraten, wenn sie sich bei solchen Innovationen zu sehr auf die Bremse begeben hat. Und deshalb rate ich sehr dazu, das auch noch mal neu zu überdenken und schneller zu niedrigeren CO2-Grenzwerten zu kommen.

    Ehring: Thema Feinstaub, hat ja auch was mit dem Verkehr zu tun. Die Umweltzonen werden nach und nach verschärft. Treibt man dadurch nicht kleine Gewerbetreibende mit geringem Budget aus den Städten?

    Flasbarth: Jedenfalls muss man das mit beachten, dass wir natürlich die Gewerbestruktur auch gerade mit kleinen und mittelständischen Betrieben nicht verdrängen wollen aus den Städten. Das wird man aber nicht schaffen, indem man einen Umweltkredit gibt, so zusagen beide Augen zu drückt, damit diese Unternehmen nicht betroffen sind, sondern die Förderung solcher Unternehmen muss auf andere Weise erfolgen.

    Ehring: Der Flächenverbrauch ist immer ein Thema, das in Deutschland diskutiert wird, aber eher stiefmütterlich. Nach wie vor werden ungefähr 80 Hektar pro Tag zugebaut, das sind ungefähr 100 Fußballfelder von der Fläche her. Wie kann man da erfolgreicher werden, den Flächenverbrauch zu verringern?

    Flasbarth: Also, jedenfalls ist das eines der großen Umweltschutzdefizite, die wir in Deutschland noch haben. Wir sind ja in vielen Bereichen, was die Luftbelastung angeht, sehr, sehr erfolgreich gewesen in den letzten Jahrzehnten, aber beim Flächenverbrauch eben nicht. Und bei einer schrumpfenden Bevölkerung ist es kein Ausweis von besonderer Intelligenz, das immer breiter in die Landschaft hinaus zu walzen, immer mehr zu versiegeln. Und deshalb ist es ganz wichtig, dass wir mit einem ganzen Bündel an Maßnahmen an dieses Thema herangehen, vor allem die Abstimmung zwischen den Kommunen verbessern, eine bessere regionale Planung zu ermöglichen oder zu erreichen. Denn es macht ja keinen Sinn, dass mehrere Gemeinden miteinander im Wettbewerb liegen, Gewerbeflächen ausweisen und dann zu Ramschpreisen anbieten. Das ist nicht vernünftig, und hier müssen wir zu einer besseren Kooperation kommen.

    Ehring: Reicht da der Aufruf an die Gemeinden, besser zu kooperieren?

    Flasbarth: Nein, das kann man auch gesetzlich noch festlegen, wir können auch weitere Anforderungen, beispielsweise im Naturschutzgesetz, vornehmen oder in den Baugesetzen, indem eine Neuversiegelung außerhalb der Siedlungsbereiche nur erlaubt wird, wenn es keine Flächenreserven mehr in den Städten gibt, also wenn nicht eine Revitalisierung von alten Brachen, beispielsweise Industriebrachen, vorgenommen werden kann. Und das, was wir im Augenblick im Umweltbundesamt erproben, ist der Handel von Flächenzertifikaten, also etwas Analoges zum Emissionshandel. Das ist aber noch ein Stück Zeit hin, bis wir das überhaupt wissenschaftlich genügend aufbereitet haben.

    "Wir müssen im Klimaschutz wieder etwas zulegen"
    Ehring: Deutschland stellt sich auf eine neue Regierung ein. Was ist denn aus Ihrer Sicht für die Umwelt in den nächsten vier Jahren zu erreichen?

    Flasbarth: Zunächst mal ist es ja wirklich gut, dass der Umweltschutz mit dem Klimaschutz in der Mitte der Parteien angekommen ist. Es ist gut, dass die Parteien im Grundsatz sich einig sind, wo wir im Klimaschutz hin müssen. Und das ist jetzt auch ganz wichtig, wir müssen im Klimaschutz wieder etwas zulegen. Das waren zwar nur wenige Prozentpunkte, die wir wieder angestiegen sind, aber der Trend ist natürlich nicht gut und der muss wieder umgekehrt werden. Und das ist auch die Voraussetzung dafür, dass wir wieder eine kraftvolle Stimme im Klimaschutz in Europa und mit Europa in der Welt werden. Denn die Klimaprobleme sind global, und wir brauchen am Ende ein globales Abkommen zum Klimaschutz.

    Ehring: Sie sind schon lange im Umweltschutz aktiv. Hat sich in der Zeit, in den Jahrzehnten, die Lage der Umwelt insgesamt aus Ihrer Sicht verbessert oder nicht?

    Flasbarth: Sie hat sich – das Wort "dramatisch” ist dann ja immer ganz falsch – sie hat sich ganz enorm verbessert, und zwar in einer erfreulichen Weise, wie ich das früher gar nicht so hätte voraussehen können. Als Kind bin ich im Ruhrgebiet groß geworden, da konnte man die Umweltbelastung sehen, riechen, schmecken, fühlen. Das waren schon schlimme Zustände. Das haben wir weit hinter uns gelassen, da können wir auch ganz stolz drauf sein.

    Ehring: Und Sie meinen, dass das so weitergeht?

    Flasbarth: Ja, die Probleme sind heute nicht mehr so offensichtlich, wie sie in meiner Kindheit gewesen sind. Da hat man das an umkippenden Seen, an den dreckigen Flüssen gesehen. Heute haben wir Themen wie Klimaschutz. Den kann man nicht wirklich unmittelbar selbst sehen, da kann man ein Gefühl für kriegen vielleicht. Aber das sind auch lange Zeiträume. Wir haben das Thema Feinstaub, das sieht man auch nicht so ohne Weiteres, das bildet sich in Statistiken von Lungenkranken ab. Also, das sind noch Aufgaben, aber der Staat und diejenigen, die im Umweltschutz wirken, müssen sich noch mehr Mühe geben, dies auch der Bevölkerung zu vermitteln, ohne moralischen Zeigefinger und ohne Untergangsstimmung, aber eben auch mit der notwendigen Ernsthaftigkeit.

    Ehring: Herr Flasbarth, herzlichen Dank für das Gespräch.

    Flasbarth: Bitte schön.


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